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Viele Milliarden werden für die Modernisierung der Schiene benötigt.

© Rolf Vennenbernd/dpa

Exklusiv

Gegen die Zerschlagung der Bahn: Betriebsräte wenden sich an künftige Koalitionäre

In einem Positionspapier schlagen Arbeitnehmervertreter aus verschiedenen Branchen Alarm: „Leistungsfähigkeit des Schienenverkehrs ist akut gefährdet“.

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Der Appell ist nicht besonders originell, die Absender jedoch sind ungewöhnlich. Betriebsräte und Gewerkschaften aus verschiedenen Branchen und Unternehmen wenden sich mit Alarmrufen an die Politik – in der Hoffnung auf Gehör in den laufenden Koalitionsverhandlungen.

„Beherztes Umsteuern und Handeln“ sei notwendig, denn die Leistungsfähigkeit von Bahn und Bahnindustrie „ist akut gefährdet“, schreiben die Arbeitnehmervertreter in einem Positionspapier, das dem Tagesspiegel vorliegt.

Adressat der Botschaft sind die Verhandler von Union und SPD, insbesondere die Arbeitsgruppen für Wirtschaft/Industrie sowie Verkehr/Infrastruktur. Ohne das reklamierte „Umsteuern“ seien neben den Klimazielen der Deutschlandtakt der Bahn, das Deutschlandticket, die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene sowie die Modernisierung der Infrastruktur gefährdet.

„Wir sind ein zentraler Erfolgsgarant für Deutschlands wirtschaftliche Spitzenstellung“, schreiben die Betriebsräte von mehreren Stahlunternehmen, der bundeseigenen Deutschen Bahn (DB), den Zugherstellern Alstom und Siemens Mobility sowie die IG Metall und die Eisenbahnverkehrsgewerkschaft EVG. „Die Branche bekommt zum ersten Mal eine Klammer“, heißt es bei den Betriebsräten über die neue Schienenverkehrslobby.

Wir beraten über die Fortsetzung des Deutschlandtickets sowie den Ausbau und die Modernisierung des Öffentlichen Personennahverkehrs.

Sondierungspapier von Union und SPD

Seit Jahren ist die Struktur der DB umstritten. Die Union möchte die Bahn „zukunftsfähig aufstellen“; dazu sollten „Infrastruktur- und Transportbereich stärker als bisher voneinander getrennt werden“. So steht es im Wahlprogramm. Die EVG, der Bahnvorstand und die SPD sind dagegen. Die Betriebsräte auch: „Die Deutsche Bahn kann nur im Systemverbund die Herausforderungen der Mobilitätswende stemmen.“

Konkret argumentieren die Arbeitnehmervertreter, dass Innovationen durch Digitalisierung und Technik, der unternehmensübergreifende Arbeitsmarkt, einheitliche Tarif- und Sozialleistungen sowie Aus- und Weiterbildung und überhaupt Synergien „ihre gewünschten Effekte nur entfalten, wenn sie aus einer Hand gezielt gesteuert werden“.

Im Sondierungspapier von Union und SPD taucht die Bahn nicht explizit auf. „Wir beraten über die Fortsetzung des Deutschlandtickets sowie den Ausbau und die Modernisierung des Öffentlichen Personennahverkehrs“, schreiben die Parteien zum Thema Verkehr. Ferner soll der grenzüberschreitende Verkehr zu Polen und Tschechien ausgebaut werden. Kein Wort zur Bahn.

Dass die Arbeitsgruppe Verkehr unter der Leitung der CDU-Politikerin Ines Scharrenbach, Heimat- und Bauministerin in Nordrhein-Westfalen und bislang mit verkehrs- oder gar bahnpolitischer Expertise nicht aufgefallen, eine Zerschlagung der Bahn beschließt, ist so wahrscheinlich wie ein pünktlicher Zug.

Es ist sinnvoll und möglich, mindestens 50 Prozent eines Zuges und der Infrastruktur in Deutschland herzustellen.

Positionspapier der Betriebsräte und Gewerkschaften

Wenn Busse und Züge und Bahntechnik mit Steuergeld finanziert werden, dann sollte ein Großteil der Aufträge in deutschen Fabriken landen, meinen die Betriebsräte. „Öffentliche Aufträge dürfen nicht allein auf den niedrigsten Einkaufspreis abzielen, wie dies gängige Praxis in der Bahnbranche ist“, heißt es im Positionspapier.

SPD fordert höhere Tarifbindung

Stattdessen seien auch soziale und ökologische Kriterien in der Ausschreibungspraxis von Bund und Ländern zu berücksichtigen. „Es ist sinnvoll und möglich, mindestens 50 Prozent eines Zuges und der Infrastruktur in Deutschland herzustellen.“ Dazu seien ein neues Bundesvergabegesetz und ein Bundestariftreuegesetz erforderlich.

Zu diesem Punkt haben die Sozialdemokraten eine deutliche Formulierung im Sondierungspapier untergebracht: „Unser Ziel ist eine höhere Tarifbindung. Deswegen werden wir ein Bundestariftreuegesetz auf den Weg bringen.“

CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz mit Zweifeln an der Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff für die Erzeugung grünen Stahls Irritationen erzeugt.

© dpa/Marcus Brandt

Bereits im Koalitionsvertrag der Ampel hatten die drei Parteien die Vergabe von Aufträgen des Bundes nur noch an Firmen festgeschrieben, die ihren Beschäftigten einen Tariflohn zahlen. Nach einem Vorschlag von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hätte die Vorschrift ab einem Auftragswert von netto 25.000 Euro gegolten. Die FDP verhinderte die Verabschiedung des Gesetzes vor dem Ampel-Aus.

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Anders als die FDP haben die Sondierungsparteien keine Angst vor Industriepolitik. So möchten die künftigen Koalitionäre „Leitmärkte für klimaneutrale Produkte schaffen, z.B. durch Quoten für klimaneutralen Stahl, eine Grüngasquote oder vergaberechtliche Vorgaben“.

Der Teufel steckt indes im Detail, darauf weisen die Betriebsräte hin. „Für die Errichtung grüner Leitmärkte ist eine klare Definition des Begriffs grüner Stahl zentral“, heißt es im Positionspapier. Im Wahlkampf hatte CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz mit Zweifeln an der Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff für die Erzeugung grünen Stahls Irritationen erzeugt.

Koalition will Bürokratiekosten um 25 Prozent reduzieren

Die Betriebsräte plädieren für einen „Product Carbon Footprint“, der CO₂-Emissionen sichtbar mache, sowie „ein einfaches Label-System, um Investitionen in grüne Herstellungsverfahren zu fördern“.

Ob das alles ohne zusätzlichen bürokratischen Aufwand zu bewerkstelligen ist? Im Sondierungspapier jedenfalls möchten die künftigen Koalitionäre die Bürokratiekosten für die Unternehmen in den kommenden vier Jahren um 25 Prozent reduzieren.

Erheblich einfacher (und teurer) lassen sich Energiekosten senken. „Die Verkehrswende und der Ausbau erneuerbarer Energien sind Voraussetzung für die Transformation“, schreiben die Arbeitnehmervertreter in ihrem Papier und fordern dazu „kurzfristige Maßnahmen“. Neben einem Brückenstrompreis „sind Entlastungen bei Netzentgelten und der europaweit höchsten Stromsteuer für Schienenbahnen unbedingt notwendig“.

Damit tragen die Arbeitnehmervertreter Eulen nach Athen. „Für schnelle Entlastungen um mindestens fünf Cent pro kWh wollen wir in einem ersten Schritt die Stromsteuer für alle auf das europäische Mindestmaß senken und die Übertragungsnetzentgelte halbieren“, heißt es im Sondierungspapier. Wann und wie genau das passiert, ist Gegenstand der Koalitionsverhandlungen.

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