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Geschäfte mit der Einwanderung: Verband für Fachkräftegewinnung gegründet
Für die Fachkräftesicherung in den kommenden Jahren möchte die neue Bundesregierung mithilfe einer digitalen Agentur die Prozesse beschleunigen. Private Arbeitsvermittler wünschen sich eine Einwanderungsindustrie.
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Tilman Frank kennt sich aus auf internationalen Arbeitsmärkten. 2012 begann der Mediziner, Pflegekräfte aus Spanien in Deutsch auszubilden und an Kliniken zu vermitteln; 2020 holte Frank erstmals pädagogische Fachkräfte für Kitas ins Land und später Ergo- und Physiotherapeuten für Rehakliniken.
Franks Unternehmen TalentOrange betreibt mittlerweile mit 100 Mitarbeitenden Sprachschulen in Bogota und Mexiko City, in São Paulo und im indischen Trivandrum.
Der Firmengründer ist seit ein paar Monaten Vorstandsvorsitzender des neuen „Bundesverband internationale Fachkräftegewinnung“. Der Mangel an Arbeitskräften „bringt eine neue Branche hervor“. Dabei ist das Geschäftsmodell komplex. Unternehmen gewinnen Fachkräfte im Ausland, übernehmen Sprachunterricht und gegebenenfalls fachliche Qualifizierungen und organisieren die Einreise in Deutschland.
Frank konzentriert sich auf Länder mit „Auswanderungsdruck“, derzeit vor allem die Philippinen, Indien und Myanmar. Wichtig für den Arbeitsvermittler sind die Vorbildung der potenziellen Auswanderer und dabei auch das Vorhandensein universitärer Strukturen wie in Südamerika, erläutert Frank im Gespräch mit dem Tagesspiegel.
Auftraggeber von TalentOrange müssen sich auf gut 10.000 Euro für die Beschaffung einer Arbeitskraft einstellen. Der Sprachkurs, mit dem das Niveau B2 erreicht wird, kostet Frank zufolge 4500 Euro. Übersetzungen von Dokumenten, der Flug sowie Hilfen bei den Einreise-, Anmeldungs- und Anerkennungsformalitäten kommen hinzu. Auf den gesamten Aufwand von rund 9000 Euro schlägt der Vermittler sein Honorar.
In der Rezession ist der Arbeitskräftemangel etwas in den Hintergrund gerückt, doch mit dem Renteneintritt der Babyboomer aus der ersten Hälfte der 1960er Jahre verschärft sich das Problem. Die neue Regierung möchte deshalb „alle Register ziehen, damit Fachkräftesicherung in den nächsten Jahren gelingt“.
„Work-and-stay-Agentur“ für ausländische Fachkräfte
Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit ist die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland seit 2015 um 4,1 Millionen gestiegen, fast 40 Prozent dieses Zuwachses entfallen dabei auf Beschäftigte mit ausländischer Staatsangehörigkeit, ein Großteil davon wiederum auf die EU. Aus Drittstaaten kommen vor allem Akademiker, Fachkräfte mit beruflicher Ausbildung deutlich seltener.
Wenn die Regierung ihren Koalitionsvertrag umsetzt, könnte sich das ändern. „Es gilt, bürokratische Hürden einzureißen, etwa durch eine konsequente Digitalisierung sowie die Zentralisierung der Prozesse und eine beschleunigte Anerkennung der Berufsqualifikationen.“ Dazu wird eine „Work-and-stay-Agentur“ eingerichtet als erste Andockplattform für ausländische Fachkräfte.
Anerkennungsverfahren für Berufs- und Studienabschlüsse sollen künftig in acht Wochen erledigt sein – ein schönes Ziel, das im föderalen Wirrwarr indes schwer zu erreichen ist. Die von der Ampel-Regierung vor einem Jahr eingeführte Chancenkarte bleibt unangetastet, die Westbalkanregelung dagegen bekommt ein Limit bei 25.000 Personen/Jahr.
Diese Regelung ermöglicht es Staatsangehörigen aus Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien, auch ohne formalen Berufsabschluss zur Arbeitsaufnahme nach Deutschland zu kommen, sofern sie ein konkretes Jobangebot haben und ein reguläres Visumverfahren durchlaufen.
2015 wurde diese Form der erleichterten Erwerbseinwanderung eingeführt und von der Ampel 2024 auf 50.000 Personen erweitert. Die neue Regierung zieht die Grenze wieder bei 25.000.
Mit der Chancenkarte hatte die Ampel vor einem Jahr eine Regelung auf der Basis eines Punktesystems eingeführt. Personen aus Nicht-EU-Staaten dürfen einreisen, um sich eine Arbeitsstelle zu suchen. Sie müssen keinen festen Arbeitsvertrag vorweisen, aber als Fachkraft anerkannt sein oder Punkte sammeln, die es vor allem für Berufserfahrung und Sprachkenntnisse gibt. Außerdem muss der Lebensunterhalt während des Aufenthaltes gesichert sein.
Das Punktesystem ist sinnvoll und hat zu einer hohen internationalen Wahrnehmung der Chancenkarte geführt.
Marius Tollenaere, Rechtsanwalt und Partner bei Fragomen
„Das ist ein schickes Modell, das an andere Vorgängersysteme anknüpft“, sagt Marius Tollenaere, Partner bei der Beratungsfirma Fragomen, die Unternehmen bei der Rekrutierung und Anmeldung ausländischer Arbeitskräfte unterstützt.
„Das Punktesystem ist sinnvoll und hat zu einer hohen internationalen Wahrnehmung der Chancenkarte geführt“, erläutert Tollenaere. Gut 10.000 Menschen sind im ersten Jahr mit der Chancenkarte nach Deutschland gekommen.

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Der Wille zur Erleichterung der Einreiseformalitäten ist da, doch die Verhältnisse sind kompliziert. „Wir sehen viele Projekte der Digitalisierung, aber die sind auf den unterschiedlichen föderalen Ebenen nicht verbunden und nicht aus der User-Perspektive konstruiert“, sagt Tollenaere.
Künftig soll die Work-and-stay-Agentur nach den Vorstellungen der Koalitionäre „alle Prozesse der Erwerbsmigration und der Anerkennung von Berufs- und Studienabschlüssen bündeln und mit den Strukturen in den Ländern verzahnen“. Aber wie? Derzeit sei „noch offen, ob die fachlich involvierten Ministerien und Behörden die Einrichtung der Plattform dem Digitalministerium überlassen“, berichtet Tollenaere.
Die „Gretchenfrage“ bei der Agentur formuliert der Migrationsberater so: „Wie lange dauert die Dienstleistungskette nach der Einreise?“ Tollenaere hofft auf weniger Kontaktpunkte für Arbeitnehmer und Arbeitgeber: „Wenn es jetzt fünf Portale sind, und künftig nur drei, wäre das ein Erfolg.“
Pflegebranche als Modell
Die Pflegebranche mit Unternehmern wie Tilman Frank war vor anderthalb Jahrzehnten Pionier bei der Rekrutierung im Ausland. „Wichtig waren dafür zwei Dinge“, erläutert Tollenaere: „Das Ausmaß der Not und das Vorhandensein von großen Arbeitgebern, wie Kliniken oder Pflegeheimbetreibern.“
Inzwischen haben alle Wirtschaftsbereiche Personalnöte, doch Personalbeschaffung orientiert sich unverändert im Inland. „Im Mittelstand gibt es noch immer wenig Aktivitäten, um Arbeitskräfte im Ausland zu rekrutieren“, sagt Tollenaere, dessen Firma Großunternehmen berät. Dabei sei die Wertschöpfungskette unabhängig von Branche oder Beruf immer gleich: „Menschen suchen, finden und vermitteln, sprachlich ausbilden, fachlich qualifizieren und einreisen lassen.“
Hierzulande bemüht sich vor allem der Staat respektive die Bundesagentur für Arbeit um Auslandsakquise. Die Zahl der gewerblichen, international tätigen Personalvermittler schätzt Verbandschef Frank auf etwa 200, die Branche in ihrer Vielfalt sei „unübersichtlich“.
„Andere Länder haben bereits eine Einwanderungsindustrie“, beschreibt Tollenaere das Ziel der Privaten. Der Bundesverband internationale Fachkräftegewinnung mit derzeit 20 Mitgliedern soll dazu beitragen, indem die Mitgliedschaft an Qualitätskriterien geknüpft ist. Insbesondere kleineren Firmen oder Handwerkern könnte das über Hemmschwellen helfen. „Der Bedarf ist riesengroß“, sagt Falk. Und es gibt erste Erfolge: Eine Physiotherapiepraxis hat Falk mit der Akquise im Ausland beauftragt.
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