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Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Update

Große Auswirkungen für Industrie und Verbraucher: Bund kurz vor Alarmstufe des nationalen Notfallplans Gas

Die Bundesregierung bereitet die Branche auf die Ausrufung der zweiten Stufe des Notfallplans Gas vor. Sie würde die Regeln an den Gasmärkten stark verändern.

Von Jakob Schlandt

Die Bundesregierung stimmt die Energiebranche hinter den Kulissen darauf ein, dass innerhalb weniger Tage die zweite von drei Knappheitsstufen des Notfallplans Gas ausgerufen werden könnte.

Einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, dass es schon am 8. Juli soweit sein könnte, wurde vom Wirtschaftsministerium am Mittwoch widersprochen. „Wir entscheiden nach aktueller Lage und aktuellem Lagebild“, heißt es dort.

Klar ist aber: Die Alarmstufe hätte gravierende Auswirkungen auf den Gasmarkt.

Die jüngst vom Bundestag verabschiedete Novelle des Energiesicherungsgesetzes (EnSiG) erlaubt im Falle der „Alarmstufe“ sehr zügige Preiserhöhungen bis auf das aktuelle Marktniveau – unter Missachtung bestehender Verträge (Background berichtete).

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Gesetzliche Voraussetzung ist neben Ausrufung der zweiten Stufe, dass die Bundesnetzagentur erhebliche Importmengenreduzierungen feststellt. Diese Lage ist faktisch eingetreten.

Das Recht, hohe Preise sofort weiterzugeben

Das resultierende Recht, hohe Preise quasi sofort weiterzugeben, betrifft Verträge mit Händlern, Industrie, Gewerbe und privaten Verbrauchern gleichermaßen. Viele Kunden, aber auch Zwischenhändler, sind durch langlaufende Kontrakte und Kündigungsfristen etwas geschützt und werden derzeit lediglich schrittweise und stark verzögert mit dem hohen Preisniveau konfrontiert.

Die Zeitung „Welt“ hatte gestern Abend berichtet, dass die Branche laut Bundesregierung „davon ausgehen“ solle, dass die Ausrufung der Alarmstufe demnächst erfolge. Wirtschaftsstaatssekretär Patrick Graichen habe mit dieser Ankündigung die 55 Mitglieder des Vorstands des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) adressiert.

Bei dem Verband hieß es, Gremiensitzungen seien grundsätzlich nichtöffentlich: „Über Verlauf und Inhalte solcher Sitzungen informiert der BDEW daher grundsätzlich nicht und kommentiert keine diesbezüglichen Spekulationen.“ Auch das BMWK teilte mit: „Für die Stufen des Notfallplans Gas gelten die gesetzlichen Regelungen und Vorgaben. Nach diesen Vorgaben entscheiden wir und spekulieren nicht darüber.“

Regierungskreise: Bericht korrekt, aber Entscheidung noch nicht gefallen

Mehrere Personen aus Regierungskreisen bestätigten die „Welt“-Darstellung im Gespräch mit Tagesspiegel Background noch am Abend. Die Ausrufung der Alarmstufe werde tatsächlich sehr ernsthaft erwogen. Eine Quelle betonte, eine endgültige Entscheidung sei ihres Wissens noch nicht gefallen. Eine andere Person unterstrich hingegen, sehr vieles zeige in Richtung der Verschärfung. Die „Welt“ schrieb, Graichen habe vorgetragen, die Versorger sollten sich darauf vorbereiten, dass die Ausrufung der Alarmstufe innerhalb von fünf bis zehn Tagen erfolge.

Die Lage am Gasmarkt ist seit der Drosselung des russischen Gasflusses vergangene Woche noch angespannter als zuvor. Gazprom hatte für die geringeren Lieferungen durch Nord Stream 1 technische Gründe und Sanktionen genannt, diese Erklärung hält die Bundesregierung allerdings für vorgeschoben. Der Lagebericht der Bundesnetzagentur zeigte gestern weiterhin drastisch gesunkene Lieferungen nach Deutschland.

Hohe Preise ohne Turbulenzen an Gasmärkten

Das BMWK kann eigenmächtig die Alarmstufe ausrufen und richtet sich dabei nach einem nicht genau objektivierbaren Kriterienkatalog. Einer der genannten Punkte: Eine „hohe Gefahr langfristiger Unterversorgung“. Gegen die Ausrufung der Alarmstufe spricht, dass die Lage an den Handelsplätzen nicht dramatisch eskaliert ist. Gas zur Lieferung im Juli kostete gestern Abend in den Niederlanden (TTF) 126 Euro pro Megawattstunde.

Das sind knapp 50 Euro mehr als vor gut einer Woche, allerdings mussten Anfang März zeitweise deutlich über 200 Euro gezahlt werden. Die Winterkontrakte sind derzeit günstiger als die Juli-Lieferung, die Märkte antizipieren also auch keine Eskalation in der Kälteperiode.

Die drei Stufen des Notfallplans

Die Stufe eins des Notfallplans („Frühwarnstufe“) wurde Ende März aktiviert und führt vor allem zu einer genaueren Beobachtung der Lage. Die Stufe zwei sieht ein noch deutlich verschärftes Monitoring auch durch die Netzbetreiber und die Abstimmung mit der Europäischen Kommission vor.

Wichtiger: Die Ferngasleitungsbetreiber greifen mit einigen Maßnahmen ein. Das Netz soll als Puffer genutzt werden, um Schwankungen auszugleichen. Die Transportkapazitäten sollen zudem gezielt optimiert und externe Regelenergie kann angefordert werden. Mit Abstand die einschneidendste Maßnahme – die schnelle Weitergabe hoher Preise laut EnSiG – ist wie erwähnt erst neuerdings mit dieser Stufe verbunden.

Stufe drei („Notfallstufe“) ist für den Fall vorgesehen, dass die preisbasierte Verteilung durch die Märkte aufgrund von extremer physischer Knappheit de facto kollabiert – Essenz ist, dass die Bundesnetzagentur als „Bundeslastverteiler“ Gas wenn nötig hoheitlich zuteilt. (mit dpa)

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