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Nicht immer geht es auf Baustellen mit rechten Dingen zu.

© Gina Sanders/Fotolia

Illegal auf Berliner Baustellen: Den Schwarzarbeitern auf der Spur

Die Zoll-Kontrolleure kommen kaum hinterher. Daher setzt Berlins Bauwirtschaft Detektive gegen illegale Beschäftigung ein. Unterwegs mit einem Baustellenläufer.

Robert Kramer fährt auf kleinen Umwegen den Tatort an. Wo ist die Sicht gut, wo kann er einigermaßen unauffällig parken und unbemerkt Fotos schießen. Kramer sucht Schwarzarbeiter auf Berliner Baustellen. An diesem Vormittag ist er im Wedding unterwegs. „Ein Verdacht liegt vor, wenn Autos ohne Firmennamen oder -logo vor der Baustelle stehen“, erläutert der Kontrolleur. So wie hier.

Ein paar Arbeiter dämmen eine Fassade. Kramer fährt langsam an dem Haus vorbei und schießt durch die getönten Scheiben Fotos von Autos und Arbeitern. Auch am Gerüst hängt kein Hinweis auf eine Baufirma. Ein weiterer Anhaltspunkt für Schwarzarbeit: Autos mit osteuropäischen Kennzeichen. Und wenn das Gerüst mangelhaft ist und die Arbeiter keine professionelle Schutzkleidung tragen, deutet das ebenfalls auf illegale Beschäftigung hin.

Der Mindestlohn liegt bei 12,20 Euro

Kramer (Name geändert) ist Baustellenläufer in Diensten der Fachgemeinschaft Bau Berlin-Brandenburg. Der mittelständische Bauverband leistet sich seit 15 Jahren zwei „Detektive“ gegen die Schwarzarbeit. Auf Baustellen mit vielen Betrieben und Subfirmen aus diversen Ländern bemühen sich Verbände und Politik seit Jahren um Ordnung und fairen Wettbewerb.

Dazu gehört eine Sozialkasse, getragen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, mit der die Bauarbeiter abgesichert sind gegen konjunkturelle oder witterungsbedingte Ausfälle. Die Sozialkasse (SoKa) überwacht gemeinsam mit dem Zoll die Einhaltung des auf dem Bau geltenden Mindestlohns – für Angelernte liegt der bei 12,20 Euro – sowie der Tarifverträge. Das Regelwerk ist allgemeinverbindlich und gilt für alle auf deutschen Baustellen tätigen in- und ausländischen Betriebe und deren Arbeitnehmer. Wie alle Regeln funktionieren auch diese nur dann, wenn kontrolliert und sanktioniert wird.

Vom Polier zum Kontrolleur

Kramer hat in Berlin Stahl- und Betonbauer gelernt und sich dann zum Polier hochgearbeitet. Seit 2004 ist er fest angestellter Baustellenläufer der Fachgemeinschaft. Der Begriff ist etwas schief, denn Kramer läuft nicht, sondern überwacht überwiegend aus dem Auto heraus. Gut 100 verdächtige Baustellen meldet er jedes Jahr dem Zoll, der dann idealerweise anrückt und die Schwarzarbeit hochgehen lässt. „Wir haben etwas Gutes getan“, freut sich Kramer, wenn es illegale Beschäftigte erwischt hat, die – genauer deren Arbeitgeber – sich eben nicht an der Finanzierung der Sozialkasse und des Gemeinwesens beteiligen.

Kramer und seinem Kollegen stehen mehrere Dienstwagen und Fotoapparate zur Verfügung, darunter auch Brillen- und Mützenkameras. Gute Tarnung ist Voraussetzung für eine erfolgreiche Beschattung; und auch unter Sicherheitsaspekten relevant. Kramer verlässt auch schon mal das Auto und geht hinter das Haus oder in Höfe, um mögliche Fluchtwege auszukundschaften. Die Informationen bekommt der Zoll und kann dann die Razzia entsprechend durchführen.

Kramer wird bisweilen von den Arbeitern angesprochen und gefragt, was er suche. Eine Wohnung, antwortet der Detektiv, deshalb schaue er sich die Gegend an. Richtig brenzlige Situationen hat er bislang nicht erlebt. Gefährlich war dagegen die Arbeit in Potsdam und Neuruppin, wo die Fachgemeinschaft zeitweise auch Baustellenläufer im Einsatz hatte. In der überschaubaren Bauszene der Kleinstädte wurden die Detektive enttarnt. Jetzt machen Kramer und sein Berliner Kollege gelegentliche Kontrollfahrten in Brandenburg.

Kontrolle gibt es nur sporadisch

Ein halbes Dutzend Mal inspizieren die Baustellenläufer eine verdächtige Baustelle, schießen Fotos und schreiben Protokolle. Das Überwachungsmaterial geht dann zum Zoll, sofern es nach Einschätzung Kramers hinreichend Anhaltspunkte für Schwarzarbeit gibt. Rund die Hälfte der Eingaben wird vom Zoll aufgegriffen, schätzt Kramer. Die Hinweise der Baustellenläufer seien „von guter inhaltlicher Substanz“, heißt es beim Zoll.

Das zweite Überwachungsobjekt an diesem Vormittag ist ein Dachgeschossausbau. Vor dem Haus steht ein Schild mit dem Namen einer Baufirma – die es aber nirgendwo gibt: Weder bei der Sozialkasse, noch im Handelsregister oder im Internet. Das riecht nach illegaler Beschäftigung. Ein Pkw mit polnischen Kennzeichen steht vor der Tür, vier bis sechs Leute sind hier tätig. „Diese Baustelle wird gemeldet“, sagt Kramer. Dann liegt alles weitere in der Hand des Zolls. Und ob die Hand sich rührt, ist fraglich. Für Christian Stephan von der Berliner IG BAU ist das Kontrollsystem „löchrig wie ein Käse“. Der Zoll sei eine Behörde, die sich mit Erfolgsmeldungen in der Öffentlichkeit gut zu verkaufen suche, aber in Wirklichkeit viel zu wenig kontrolliere.

"Qualität vor Quantität" - sagt der Zoll

Die Beamten der „Finanzkontrolle Schwarzarbeit“ haben im vergangenen Jahr rund 1600 Arbeitgeber in Berlin überprüft, das waren 100 mehr als im Jahr zuvor. Der Zoll reklamiert für sich den Grundsatz „Qualität vor Quantität“ und will dadurch vor allem „organisierte Formen der Schwarzarbeit“ treffen. Das bedeutet, dass die Kontrollen auf der Baustelle beginnen und im Büro fortgesetzt werden: Welche Güte haben Rechnungen, wird wirklich Mindestlohn bezahlt, gibt es Scheinselbstständigkeit? So genannte IT-Forensiker untersuchen Datenströme.

Neben dem Bau sind die Berliner Zöllner vor allem in Hotels- und Gaststätten, in der Transportbranche sowie im Reinigungsgewerbe unterwegs. Die vom Zoll verhängten Buß- und Verwarnungsgelder summierten sich 2018 auf 1,4 Millionen Euro – das ist nicht viel, zumal die Zollbeamten eine volks- oder sozialwirtschaftliche Schadenssumme von 88,6 Millionen Euro ermittelt haben. 2017 waren es fast 100 Millionen Euro, 2016 aber nur 71 Millionen.

49.000 Euro Strafe weil kein Mindestlohn gezahlt wurde

Straftatbestände sind vor allem Betrug, das Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt sowie Steuerhinterziehung. Ein Bauarbeitgeber machte sich in diesen Punkten schuldig, wurde erwischt und zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Deutlich weniger schmerzhaft ist die Unterschreitung des Mindestlohns, weil es sich um eine Ordnungswidrigkeit handelt. Aber es kann teuer werden. Nach Angaben des Hauptzollamts wurde gegen einen Arbeitgeber in Berlin, der über einen Zeitraum von 23 Monaten einer Thekenkraft den gesetzlichen Mindestlohn nicht gezahlt hatte, ein Bußgeld in Höhe von 49.000 Euro verhängt.

„Es ist besser geworden, auch durch den Mindestlohn“, blickt Kramer auf 15 Jahre Baustellenlauferei zurück. „Und es gibt auch Firmen, die jetzt legal arbeiten“, freut er sich über die Wirkung seiner Arbeit, deren Wert sich nicht wirklich messen lässt: Wie groß die Schwarzarbeit tatsächlich ist, weiß kein Mensch.

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