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Der Gewerbehof der Kulturbrauerei in Prenzlauer Berg einmal ohne Menschen.

©  Promo L&H Verlag

Stadtlandschaften: Als Berlin der Hof gemacht wurde

Ein einzigartiges Erbe wird in einem neuen Buch erstmals umfassend gewürdigt. Vom Hinterhof der Mietskasernen bis zum Schulhof schildert der Schriftsteller Wolfgang Feyerabend ein Phänomen.

Jeder kennt sie, einige lieben sie – andere wollen nie wieder in einem wohnen: Berlins Hinterhöfe können Qualen auslösen, aber auch Lust. Umso erstaunlicher ist es, dass sich Historiker, Architekten, Denkmalschützer und Berlins Verwaltung bis dato kaum mit diesem Phänomen der Stadtkultur beschäftigt hat, das die Wohnverhältnisse annähernd jeden Berliners und jedes Zugezogenen ein- oder mehrmals berührt (hat). Im wissenschaftlichen Raum ist der Berliner Hinterhof Terra incognita – eine Dissertation zur Baugeschichte gibt es bislang nicht, soziale Untersuchungen nur in Einzelfällen.

Dabei sind Berlins Hoflandschaften weltweit einzigartig. Nirgendwo sonst wurde flächendeckend nach dem Hobrecht-Plan so dicht gebaut, wie zu Zeiten nach der einsetzenden Industrialisierung. Berlin wurde die größte Mietskasernenstadt der Welt und blieb es auch nach dem 1925 verfügten Verbot, Seitenflügel und Quergebäude zu errichten.

Die Palette der Erscheinungsformen reicht von Vorstadthöfen des 18. Jahrhunderts mit ehemaligen Remisen, Werkstätten und Stallungen über Hofanlagen aus dem frühen 19. Jahrhundert, bis hin zur schier unüberschaubaren Zahl gründerzeitlicher Mietskasernen mit drei, vier Höfen und ihren seinerzeit zu Recht beklagten Wohnverhältnissen. Sie führten letztlich zu einer Neufassung der Berliner Bauordnung.

Von der königlich preußischen Residenzstadt bis zur Gartenstadt

Erstmals beschäftigt sich nun ein umfangreiches – nicht hochwissenschaftlich angelegtes – Werk mit dieser Bauform und ihren unterschiedlichen Ausprägungen. Der Schriftsteller Wolfgang Feyerabend setzt nach zweijähriger Recherche mit dem soeben erschienenen Band „Berliner Hinterhöfe“ ein kräftiges Ausrufezeichen in die stadtgeschichtliche Forschungslandschaft.

Sieben Kapitel zeigen die Entwicklung der Hinterhoflandschaften. Neben den bereits erwähnten frühen Hofanlagen der königlich preußischen Residenzstadt wird die Welt der Remisen beleuchtet, Feyerabend schreitet den Weg zum Großstadthof ab, zeigt – ebenfalls mit vielen Beispielen – den Wohnhof, zeigt Gewerbe- und Fabrikhöfe, widmet sich Schulen, Kirchen und Ballhäusern und endet schließlich mit einem Kapitel über die Entwicklung vom Gartenhof zur Gartenstadt.

Eine komplette Übersicht zu allen Berliner Hinterhöfen will und kann Feyerabend nicht liefern: Schließlich ist nicht jeder Hinterhof zugänglich, gelegentlich muss auch erst die Zustimmung der Eigentümer- respektive Hausgemeinschaft eingeholt werden. Dennoch wurde der im Berliner L&H-Verlag erschienene Band ein Opus magnum.

"Zuhause ist ein fernes Land"

Feyerabend ist nicht der einzige, der Berlins Stadtlandschaften mit neugierigen Blick durchstreifte: Bilder der Fotografin Gundula Schulze Eldowy, die von 1977 bis 1990 das alte Ostberlin durch ihren Sucher betrachtete, sind unter dem Titel „Zuhause ist ein fernes Land“ im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig zu sehen. Sie hielt in ihren Bildern die letzten Spuren des im Untergang begriffenen alten Berliner Milieus fest, zu dem der Hinterhof als Konstante und einzigartiges Erbe unzweifelhaft gehört.

In manchen Höfen muss man auch heute noch den Kopf in den Nacken legen, um ein Stückchen Himmel zu sehen.
In manchen Höfen muss man auch heute noch den Kopf in den Nacken legen, um ein Stückchen Himmel zu sehen.

© Jörg Farys

Ist es nicht wunderbar, dass viele Höfe nun saniert sind? Stadtspaziergänger Feyerabend zögert: „Ich sehe es mit gemischten Gefühlen. Die Restaurierung und Sanierung der Höfe war unabdingbar. Doch was da zum Teil entstanden ist, muss als eine Verödung der Höfe bezeichnet werden.“ Zumal früher auch jede Hinterhoffassade ihr eigenes Gesicht hatte. Doch der Denkmalschutz erstreckt sich – wenn überhaupt – nur auf die Vorderhäuser.

Der Autor der Pionierarbeit weist zudem darauf hin, dass Haus und Hof nicht nur sprachlich zusammengehören und – im Gegensatz zu mancher Großanlage – einen menschlichen Maßstab zur Grundlage hatten. Trotz aller Beengtheit. Die Höfe seien eben auch Lebensräume gewesen. Dort wurde gespielt, gelegentlich auch musiziert, es wurden Teppiche geklopft, Mülleimer geleert. Und bei alledem wurde miteinander gesprochen – mal mit vielen, mal ohne Zuhörer, mal leise, mal viel zu laut.

Wolfgang Feyerabend: Berliner Hinterhöfe. L&H Verlag, Berlin 2015, Hardcover, ca. 160 Seiten mit zahlreichen, farbigen Abbildungen 16,5 × 21 cm, 19,80 Euro.

Die Ausstellung "Zuhause ist ein fernes Land" ist noch bis August 2016 geöffnet.

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