Wirtschaft: Je älter, desto teurer
Studie untersucht Wirkung der längeren Lebensdauer auf die Gesundheitskosten
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Berlin - Die steigende Lebenserwartung der Deutschen wird zu einer Explosion der Gesundheitsausgaben in Deutschland führen. Sollte die Politik nicht gegensteuern, drohen „Kostendämpfung und Rationierung“, warnt Christian Weber, Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der Privaten Krankenversicherungen (Wip).
Weber hat im Auftrag der Privaten untersucht, wie sich die längere Lebenserwartung der Menschen auf das Gesundheitssystem auswirkt. In einer nach eigenen Angaben bislang einmaligen Studie hat sein Institut dazu die Daten von 1,2 Millionen privat krankenversicherten Beamten ausgewertet. Weber und sein Ko-Autor Frank Niehaus analysierten, welche Kosten die Versicherten in der Zeit von 1995 bis 2004 verursachten. Ihr Fazit: Die Ausgaben sind kontinuierlich gestiegen. Der Anstieg war umso höher, je älter die Versicherten waren. „Mit dem Anstieg der Lebenserwartung geht ein eindeutiger überproportionaler Kostenanstieg einher“, fasst Weber die Studie zusammen. Der Wip-Chef hält damit die vor allem von sozialdemokratischen Gesundheitspolitikern und Vertretern der gesetzlichen Kassen unterstützte Theorie für widerlegt, dass die längere Lebenserwartung nur zu einer Verschiebung der Ausgaben ins höhere Alter, nicht aber zu einer insgesamt wachsenden Kostenbelastung führt.
Die Wissenschaftler sind sich derzeit nur in einem einig: Die Lebenserwartung steigt. Während Männer heute im Schnitt 76 Jahre und Frauen 82 Jahre alt werden, liegt die durchschnittliche Lebenserwartung im Jahr 2030 schon bei 86 Jahren (Frauen) und 81 Jahren (Männer). Was das für das Gesundheitssystem bedeutet, ist jedoch umstritten.
Das Lager, das der privaten Krankenversicherung nahesteht, geht davon aus, dass die gewonnenen Jahre überwiegend in Krankheit verbracht werden und die Kosten steigen. Sie raten zu einem Systemwechsel und fordern eine stärkere Kapitaldeckung. Die Anhänger der gesetzlichen Krankenversicherung glauben dagegen, dass die Menschen die zusätzliche Zeit überwiegend gesund verbringen, sich also an den Gesamtkosten nichts ändert. Außerdem seien die Ausgaben ohnehin sehr ungleich verteilt, meinen sie. 20 Prozent der Versicherten – meist chronisch Kranke – würden 80 Prozent der Ausgaben verantworten.
Auch damit will die Wip-Studie aufräumen. „Nur ein Teil der Patienten, die im ersten Jahr hohe Ausgaben verursachen, gehören auch in den folgenden Jahren zu den Personen mit sehr hohen Ausgaben“, sagt Niehaus. Daher sei der Ansatz der gesetzlichen Kassen, die Probleme mit speziellen Chronikerprogrammen zu lösen, zum Scheitern verurteilt.
Die privaten Krankenversicherer wollen ihre Studie jetzt an die Gesundheitspolitiker der Fraktionen schicken. Sie hoffen, dass sie sich bei der anstehenden Pflegereform und der nächsten Gesundheitsreform mit ihrem System durchsetzen können. Dafür sammeln sie jetzt wissenschaftliche Munition. Die Sozialdemokraten können sie nicht überzeugen. „Die Studie ist ein Taschenspielertrick“, sagte Gesundheitsexperte Karl Lauterbach dem Tagesspiegel. „Sie sagt nur, dass die Ausgaben steigen, aber nichts darüber, ob die Menschen gesünder oder kränker sind.“ Lauterbach, der für die SPD im Bundestag sitzt, kritisiert das Überangebot an Ärzten und Kliniken in Deutschland. Die Zahl der Ärzte habe sich in den vergangenen zehn Jahren um 25 Prozent erhöht, die Arzneimittelausgaben seien in den vergangenen acht Jahren um ein Drittel gestiegen und trotz des bereits erfolgten Kapazitätsabbaus sei in Deutschland noch jedes dritte Klinikbett überflüssig. „Wir müssen kritischer prüfen, ob wirklich jede medizinische Maßnahme sinnvoll ist“, mahnt Lauterbach. In Deutschland werde beispielsweise zweimal so viel geröntgt wie im europäischen Durchschnitt, auch die Zahl der Herzkathederuntersuchungen sei doppelt so hoch wie im europäischen Vergleich. Ein Irrweg, findet der Gesundheitspolitiker: „Die längere Lebenserwartung muss durch eine bessere Vorbeugung erreicht werden, nicht durch eine früher beginnende, längere medizinische Behandlung.“
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