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Wie teuer wird es noch? Die Preise fürs Essen sind bereits in die Höhe geschossen.

© Getty Images/Istockphoto

Chef des Lebensmittelverbandes im Interview: Kostet jedes Brötchen bald einen Euro, Herr Minhoff?

Die teure Energie treibt die Preise in die Höhe. Die gesamte Branche ist betroffen, sagt Christoph Minhoff, Hauptgeschäftsführer des Lebensmittelverbands. Wo führt das hin?

Lebensmittel werden immer teurer, viele Verbraucher kaufen weniger oder steigen auf preisgünstigere Handelsmarken um. Entwarnung ist nicht in Sicht, fürchtet Christoph Minhoff, Cheflobbyist der deutschen Lebensmittelhersteller. Ein Szenario macht ihm ganz besonders Angst: Dass das Gas so knapp wird, dass die Versorgung der Bundesbürger mit Nahrungsmitteln gefährdet ist.

Herr Minhoff, verglichen mit dem Vorjahr sind Nahrungsmittel mehr als 16 Prozent teurer. Wie schlimm wird es noch?
Das hängt vor allem von der Frage ob, wie stark die Preise für Energie noch steigen, wie sich die Lieferketten entwickeln und wie sich dadurch das Konsumverhalten der Bürger sowie der Wettbewerb zwischen Zulieferern, Lebensmittelproduzenten und Handel verändern wird.

Aber sollten sich die Rahmenbedingungen nicht ändern, Energie und Rohstoffe teuer bleiben, erwarten wir weitere signifikante Preissteigerungen. Die Unternehmen stehen vor der schwierigen Frage, welchen Preis man den Konsumenten noch zumuten kann, ab wann Verbraucher ein Produkt nicht mehr kaufen. Das ist vor allem für diejenigen kleinen Hersteller schwierig, die nur ein einziges Highlight-Produkt am Markt haben.

Kann man Verbrauchern zumuten, für ein Brötchen einen Euro zu zahlen?
Es gab Zeiten, da hat ein Ei wegen der hohen Inflation eine Milliarde Mark gekostet. Aber ich hoffe doch sehr, dass wir Mittel und Wege finden werden, die Preise nicht ins Unermessliche steigen zu lassen.

Welche Lebensmittelhersteller leiden besonders unter den steigenden Kosten?
Das Problem ist die teure Energie. In der Ernährungsindustrie brauchen wir für fast alles Prozesswärme. Alles was Backen, Braten und Kochen angeht, ist also unmittelbar betroffen. Aber die Kaskadeneffekte gehen noch viel weiter. Alles ist mit allem verwoben. Niemand kommt doch auf die Idee, dass wenn die Düngemittelproduktion ins Wanken gerät, am Ende kein Sprudel mehr auf dem Tisch steht.

Wieso?
Für die Produktion von Kunstdünger braucht man Ammoniak, und ein Nebenprodukt von Ammoniak ist Kohlendioxid. Wenn also weniger Kunstdünger produziert wird, gibt es weniger CO2.

Was ist daran so schlimm? Dann trinkt man eben stilles Wasser.
Weltweit trinkt niemand so gerne Sprudel wie die Deutschen. Aber wenn es nur das wäre. Ohne CO2 können auch keine Schweine geschlachtet werden. Die Tiere werden nämlich vorher mit CO2 betäubt. Das heißt: Wir steuern auf einen Schweinestau zu. Die Bauern produzieren, aber die Schweine können nicht mehr geschlachtet werden.

Man braucht CO2 auch, um Lebensmittel mit Hilfe von gasgefüllten Verpackungen haltbarer zu machen. Oder zur Herstellung von Adblue. Adblue ist nötig, damit Lastwagen fahren dürfen. Kein AdBlue, keine LKW, kein Transport, keine Lieferung. Kein volles Regal!

Wo wird es sonst noch eng?
Die Ernährungsindustrie ist der zweitgrößte Gasverbraucher. Auf Platz vier kommen die Glashersteller, auf Platz fünf die Verpackungsindustrie. Denken Sie mal in einem Supermarkt alle Produkte weg, die im Glas oder anders verpackt sind, die gebraten, gekocht oder sonst wie erhitzt worden sind.

Dann wären die Regale ganz schön leer. Sollte es zu einem Zusammenbruch der Gaslieferungen an die Unternehmen kommen, stehen wir schnell vor dem Kollaps. Da hilft auch allein kein Entlastungspaket. Wenn die Lieferketten zusammenbrechen, die Energiepreise weiter explodieren und die Ernährungsindustrie implodiert, wird es in Deutschland unangenehm.

Christoph Minhoff war Journalist und ist jetzt Cheflobbyist der Lebensmittelwirtschaft.
Christoph Minhoff war Journalist und ist jetzt Cheflobbyist der Lebensmittelwirtschaft.

© © Matthias Martin

Was sagt denn die Politik?
Einige Teile der Politik scheinen das Problem verdrängen zu wollen. Man hat das Gefühl, die Politik fährt auf gefährliche Weise auf Sicht, in der Hoffnung, dass sich alles wie ein Wunder fügt. Aber wir sehen manche Entwicklungen früher als andere, und ich glaube nicht an Wunder als Lösungsansatz.

Welche Alternativen hätte die Politik?
Sagen wir mal so: Bundesagrarminister Cem Özdemir hat kürzlich intensiv für die Einstufung der schwäbischen Brezel als Kulturgut gekämpft. Das ist sicher lobenswert. Aber wir erleben gerade die größte Herausforderung der Lebensmittelindustrie seit 70 Jahren. Es wäre hilfreich, wenn der eigentlich für die Ernährungssicherheit zuständige Minister sich genauso intensiv um die Probleme der Hersteller kümmerte.

Bundesernährungsminister Cem Özdemir (Grüne) zeigt auf dem Marktplatz seines Geburtsorts nach dem Besuch einer Bäckerei eine Brezel. Er möchte, dass die schwäbische Brezel Weltkulturerbe werden soll.
Bundesernährungsminister Cem Özdemir (Grüne) zeigt auf dem Marktplatz seines Geburtsorts nach dem Besuch einer Bäckerei eine Brezel. Er möchte, dass die schwäbische Brezel Weltkulturerbe werden soll.

© dpa/Marijan Murat

Haben Sie ihm das gesagt?
Das würde ich gern, aber man lässt uns nicht vor. Wir sind bis heute nicht ins Ministerium zu einem persönlichen Gespräch eingeladen worden. Dabei arbeiten 638.000 Menschen in der Ernährungsindustrie, wir sind der viertgrößte Industriezweig, wir müssen die „Mittel zum Leben“ produzieren.

Özdemir hat sich aber frühzeitig dafür einsetzt, die Ernährungsindustrie für systemrelevant zu erklären. Sie bekämen auch dann Gas, wenn nicht genug für alle da ist.
Zur „kritischen Infrastruktur“ werden wir schon seit der Corona-Krise gezählt. Der Dank unserer Branche gilt derzeit vor allem Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Auch wenn der gerade harsch kritisiert wird, unsere Sorgen und Nöte hat er sich zu einem sehr frühen Zeitpunkt angehört, hat uns Teilhabe an Lösungen ermöglicht, konstruktiv und transparent. Auch Klaus Müller, der Chef der Bundesnetzagentur, kennt unsere Branche bestens aus seiner früheren Tätigkeit. Er weiß, was für uns und damit für alle Konsumenten auf dem Spiel steht. Er hat sich früh zu einer Priorisierung der Ernährungswirtschaft bekannt.

Dabei hat die Bundesnetzagentur auch offen kommuniziert, dass es nicht in allen Fällen gelingen kann, diese Priorisierung auch durchzusetzen. Das liegt an den technischen Rahmenbedingungen oder ganz individuell an der örtlichen Lage der Gasversorgung im Mangelfall. Ich kann mir vorstellen unter welchen Druck Klaus Müller hier steht, zumal sich jede Branche und jedes Unternehmen für systemrelevant hält.

Es wäre hilfreich, wenn sich Cem Özdemir kümmern würde.

Christoph Minhoff

Und alle rufen jetzt die Netzagentur an.
Inzwischen ist es schon so, dass branchenferne Unternehmen die Systemrelevanz der Ernährungsindustrie als Grund nennen, warum sie wiederum priorisiert werden müssen. Die Logistiker sagen, dass sie die Lebensmittelindustrie versorgen müssen, und die Glashersteller verweisen darauf, dass es ohne Glas viele Lebensmittel nicht verpackt wären. Gänzlich falsch ist das nicht. Übrigens würden wir uns bei den Kennzeichnungspflichten für Verpackungen ein Moratorium wünschen. Hilfsreicher wäre es, neue Kennzeichnungspflichten nicht gerade in der Krise aufzusetzen.

Dass Milch und Mehl systemrelevant sind, ist klar. Aber Chips und Schokoriegel doch nicht!
Man sollte jetzt nicht anfangen, innerhalb einer Branche zu priorisieren. Im Überlebenspaket der Bundeswehr – dem Ein-Mann-Paket EPA – und im Prepper-Set im Fachhandel stecken Schokolade und Kekse. Aus gutem Grund. Lebensmittel dienen nicht nur zur Aufrechterhaltung körperlicher Grundfunktionen. Es geht auch um Stimmung und Genuss. Als Innenministerin Nancy Faeser und Außenministerin Annalena Baerbock geflüchtete Mütter und Kinder aus der Ukraine begrüßt haben, verteilten sie Schokoriegel und Gummibärchen – und keine Biomöhren.

Faeser und Baerbock haben an geflüchtete Mütter und Kinder Schokoriegel verteilt und keine Biomöhren.

Christoph Minhoff

Die Verteilung von Gas ist das eine, der Preis das andere.
Ja, viele Unternehmen rechnen, ob sich die Produktion überhaupt noch aufrechterhalten lässt oder lohnt. Außerdem haben sie immer wieder mit bürokratischen Hürden zu kämpfen. Ich kenne Firmen, die stellen sich einen Öltank-Lastwagen auf den Hof, weil sie zeitnah und unbürokratisch gar keine Genehmigung für eine neue, festverbaute Anlage bekämen.

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Das neue Entlastungspaket verspricht energieintensiven Unternehmen eine Förderung. Das müsste Ihnen doch helfen.
Ja, grundsätzlich schon. Da gilt es auch Danke zu sagen! Wir werden uns das am Ende genau anschauen und hoffen, dass hier nicht auf Umwegen andere ernährungspolitische Ideen forciert werden.

Die Bundesbürger sparen: Im Supermarkt greifen sie zu billigeren Produkten.
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© dpa/Fabian Sommer

Die Verbraucher kaufen weniger Markenprodukte, sondern preisgünstigere Handelsmarken. Ist das für Sie schlecht?
Da kann der Markenverband sicher Erkenntnisse besteuern. Uns geht es darum, dass die Ernährungsindustrie in der Summe gut dasteht. 90 Prozent unserer Mitglieder sind kleine und mittlere Unternehmen, darunter auch viele, die Handelsmarken produzieren.

Edeka und Rewe haben den großen börsennotierten Lebensmittelunternehmen den Kampf angesagt. Sind die Preisverhandlungen schwieriger geworden?
Einkäufer und Verkäufer waren für diese Verhandlungen schon immer gut gerüstet, wenn sie eine Einzelkämpferausbildung absolviert haben. (lacht) Der Mangel verschiebt möglicherweise die Gefechtslage. Einige Hersteller hoffen darauf, Kostensteigerungen durch Preiserhöhungen in der Krisen- und Mangellage eher durchsetzen zu können, als vor drei, vier Jahren. Der Handel sieht das natürlich anders.

Unilever hat im ersten Halbjahr fünf Milliarden Euro verdient, Nestlé 5,3 Milliarden Euro. Wäre da nicht ein wenig Preiszurückhaltung in diesen Zeiten angemessen?
Man muss immer genau schauen, wo und wie die Gewinne erwirtschaftet werden. Das hängt auch vom Produktportfolio ab. Uns ist es wichtig, dass weiterhin auch die kleinen und mittelständischen Unternehmen eine Chance haben. Wir als Verband mischen uns aber grundsätzlich nicht in die Market-Interessen von Einzelunternehmen ein.

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