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 Deutschland diskutiert die Erhöhung des Mindestlohns.

© Imago/Bernd Friedel

Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Euro: Weg mit den ideologischen Scheuklappen!

Erneut diskutiert Deutschland den Mindestlohn. Die Erfahrung zeigt: Er hat zu mehr Beschäftigung beigetragen, Armut reduziert – und der Wirtschaft geholfen. Daher wäre eine Anhebung klug.

Marcel Fratzscher
Ein Gastbeitrag von Marcel Fratzscher

Stand:

Der Streit um die Forderung von Bundeskanzler Scholz und anderen nach einem Mindestlohn von 15 Euro legt eine wichtige politische Konfliktlinie offen. Gute Argumente sprechen gegen einen politisch verordneten Mindestlohn von 15 Euro, jedoch noch bessere Argumente sprechen dafür.

Denn auch die Wirtschaft und der Sozialstaat wären zwei große Gewinner einer solchen Erhöhung des Mindestlohns.

Zu den Fakten: Seit 2019 haben sich die Preise in Deutschland durchschnittlich um 20 Prozent erhöht, die Löhne sind durchschnittlich jedoch nur um 15 Prozent gestiegen. Dies bedeutet einen realen Verlust der Kaufkraft der Löhne um fünf Prozent.

Hinzukommt, dass die Inflation für Menschen mit geringen Löhnen und Einkommen deutlich höher war, da sie einen vergleichsweise größeren Anteil ihrer monatlichen Einkommen für die Dinge ausgeben müssen, die besonders teuer geworden sind: Energie, Lebensmittel und Mieten. Viele Menschen, vor allem mit geringeren Löhnen und Einkommen, mussten daher den Gürtel enger schnallen.

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Einmischung in Tarifautonomie? Falsche Kritik

Beschäftigte, die in den vergangenen fünf Jahren durchgehend den Mindestlohn erhalten haben, stehen etwas besser bei der Lohnentwicklung da, denn die politisch erzwungene Erhöhung des Mindestlohns der Bundesregierung auf zwölf Euro im Jahr 2022 bedeutete, dass der Mindestlohn von 9,19 Euro im Jahr 2019 auf 12,41 Euro wie derzeit um mehr als 30 Prozent gestiegen ist.

Der Mindestlohn ist das erfolgreichste Arbeitsmarktinstrument der vergangenen drei Jahrzehnte.

Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung

Die Einführung des Mindestlohns bei 8,50 Euro im Jahr 2015 und die folgenden Erhöhungen waren die wichtigste sozialpolitische Maßnahme in Deutschland der letzten 30 Jahre. Knapp zehn Millionen Beschäftigte profitieren zurzeit direkt oder indirekt vom Mindestlohn.

Der Niedriglohnsektor ist von knapp 21 Prozent aller Beschäftigten im Jahr 2015 auf heute knapp 16 Prozent gesunken, vor allem wegen des Mindestlohns. CDU/CSU und die Arbeitgeber reagieren nun empört auf die Forderung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), den Mindestlohn auf 15 Euro zu erhöhen. Die Kritiker führen drei wichtige Argumente ins Feld, die sich jedoch bei genauer Prüfung alle als falsch herausstellen.

Sie monieren eine Politisierung des Mindestlohns und eine unberechtigte Einmischung in die Tarifautonomie. Die Tarifautonomie gilt es in der Tat zu schützen, die Kritik ist jedoch trotzdem falsch, weil es im Niedriglohnbereich praktisch keine Tarifverträge gibt.

Die Notwendigkeit für einen Mindestlohn war erst dadurch entstanden, dass Menschen mit geringen Löhnen fast nie über Tarifverträge abgedeckt sind und Arbeitgeber ihre Marktmacht genutzt haben, um Löhne auf ein Minimum zu senken.

Der Mindestlohn hat dazu beigetragen, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Niedriglohnbereich nun wieder ein wenig mehr auf Augenhöhe verhandeln und Arbeitnehmer besser geschützt sind.

Mehr Arbeitslose durch Mindestlohn? Die Erfahrung zeigt was anderes

Der zweite Kritikpunkt ist, die Politik solle sich nicht in die Empfehlungen der Mindestlohnkommission einmischen und deren Unabhängigkeit respektieren. Nur ist die Mindestlohnkommission nicht unabhängig, sondern sie ist politisch, denn sie enthält vor allem Vertreter der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer – anders als beispielsweise in Großbritannien, wo dessen Mitglieder unabhängige Experten sind.

Die Hauptkritik ist jedoch, dass eine Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Euro Arbeitslosigkeit verursachen würde. Dies ist ein Argument, das die Kritiker auch 2015 schon vehement ins Feld geführt haben. Sie wurden mehrfach widerlegt.

Die Einführung des Mindestlohns und die Erhöhung des Mindestlohns haben nicht die Arbeitslosigkeit erhöht, sondern die Arbeitslosigkeit ist in den vergangenen zehn Jahren gesunken. So zeigt eine wissenschaftliche Studie, dass der Mindestlohn vor allem zu einer Verschiebung der Arbeitsplätze geführt hat.

Beschäftigte werden produktiver

Beschäftigte im Niedriglohnsektor sind somit von weniger produktiven Jobs mit geringeren Löhnen in produktivere und besser bezahlte Jobs gewechselt. Aus der Sicht einzelner Unternehmen, die einen höheren Mindestlohn nicht zahlen können, mag dies bitter sein.

Für die Beschäftigten und für die Wirtschaft dagegen ist dies durchweg positiv, denn Arbeitsplätze werden produktiver, die Einkommen steigen und damit auch die Nachfrage und der wirtschaftliche Wohlstand für die Gesellschaft als Ganzes.

Es gibt zwei weitere wichtige Argumente für eine deutliche Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Euro. So kann ein höherer Mindestlohn auch positiv für die Unternehmen und die Wirtschaft als Ganzes sein.

Menschen, die im Niedriglohnsektor arbeiten, haben oftmals Probleme, über die Runden zu kommen. Ein höherer Mindestlohn könnte hier Abhilfe schaffen.

© picture alliance/dpa/Jens Büttner

Zum einen führen höhere Löhne zu mehr Motivation und Loyalität und zu einem geringeren Arbeitsplatzwechsel von Beschäftigten und somit zu geringeren Kosten für die Unternehmen. In anderen Worten, höhere Löhne rechnen sich zumindest teilweise für die Unternehmen, weil sie helfen, die eigenen Beschäftigten produktiver zu machen.

Zudem dürften höhere Mindestlöhne auch die Beschäftigung verbessern, da es sich für mehr Menschen lohnt, mehr Stunden zu arbeiten. Dadurch könnte der erhebliche Arbeitskräftemangel in Deutschland zumindest zu einem kleinen Teil behoben werden.

Sozialausgaben könnten reduziert werden

Es ist eine Ironie, dass viele der Kritiker eines Mindestlohns von 15 Euro auch häufig diejenigen sind, die fordern, Arbeit müsse sich wieder mehr lohnen, also der Lohnabstand zwischen denen, die arbeiten und denen, die nicht arbeiten, müsse größer werden. Genau dies würde eine deutliche Anhebung des Mindestlohns tun.

Meist sind es auch diese Kritiker, die bemängeln, der Sozialstaat sei zu groß, und die Bundesregierung müsse bei den Sozialausgaben sparen. Ein höherer Mindestlohn wäre eine der effektivsten Instrumente, um Sozialausgaben zu reduzieren.

Denn viele der sogenannten Aufstocker, die also arbeiten, aber so wenig verdienen, dass sie ihren Lebensunterhalt nicht bestreiten können, würden von einem höheren Mindestlohn profitieren und dadurch weniger soziale Leistungen, wie Wohngeld oder Kinderzuschlag, benötigen.

Man fragt sich, worum es den Kritikern wirklich geht – um eine Verbesserung der Löhne und Einkommen oder um eine Kürzung der Sozialleistungen?

Der Mindestlohn war und ist das erfolgreichste Arbeitsmarktinstrument und eines der effektivsten Maßnahmen des Sozialstaats der vergangenen drei Jahrzehnte.

Er hat zu mehr Arbeit und Beschäftigung beigetragen, hat den Niedriglohnsektor und damit das Armutsrisiko für viele reduziert und er hat die Unternehmen produktiver gemacht.

Statt mit ideologischen Scheuklappen an die Diskussion um den künftigen Mindestlohn heranzugehen, brauchen wir einen sachlichen Dialog, wie der Mindestlohn und andere Arbeitsmarktinstrumente klug miteinander kombiniert werden können, sodass Beschäftigte wie auch Unternehmen davon profitieren.

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