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Mini-Atomkraftwerke: Das steckt hinter dem Hype
Mini-Atomkraftwerke sollen sicherer sein, weniger radioaktiven Müll produzieren – und das Klima retten. Tech-Konzerne investieren in SMR. Doch es ist fraglich, ob sie die Versprechen halten.
Stand:
Ob Tech-Konzerne wie Amazon und Google, der Unternehmer Bill Gates oder Frankreichs Präsident Emmanuel Macron – sie alle setzen auf Atomkraft, und zwar in Form von Mini-Reaktoren. Die sogenannten „Small Modular Reactors“ (SMR) sind derzeit schwer angesagt.
Vor allem, weil sie im Gegensatz zur herkömmlichen Nuklearenergie mehr Sicherheit, hohe Energieeffizienz und weniger radioaktiven Abfall versprechen.
Während weltweit netto mehr Atomenergie vom Netz geht, als neu installiert wird, setzen immer mehr Unternehmen und Regierungen auf die vierte Generation von Kernkraftreaktoren. Der Grund: Atomkraft ist, anders als Wind und Sonne, rund um die Uhr verfügbar und gilt in vielen Ländern im Gegensatz zu fossilen Alternativen als grüne Form der Energieerzeugung.
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Wegen immer ambitionierterer Klimaziele, der zunehmend spürbaren Folgen des Klimawandels und eines immens steigenden Energiebedarfs durch Künstliche Intelligenz hoffen viele nun auf den Durchbruch der Mini-Reaktoren – doch Kritiker warnen vor einem Hype.
Noch ist keine Anlage am Netz
Die Europäische Kommission hat eine Industrieallianz gegründet, um „die Entwicklung, Demonstration und den Einsatz von kleinen, modularen Reaktoren in Europa bis Anfang der 2030er-Jahre zu beschleunigen“. Das erklärte Ziel der Allianz ist es, bis 2050 mindestens 150 Gigawatt an nuklearer Energie zu installieren. Auch die Atomaufsichtsbehörden in den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Kanada versuchen, den Durchbruch der kleinen Nuklearanlagen voranzutreiben.
Google und Amazon werden sogar noch konkreter. Die beiden Tech-Konzerne haben Verträge mit SMR-Start-ups abgeschlossen. Der erste Strom soll schon Mitte der 2030er-Jahre fließen. Michael Terrell, Direktor für Energie und Klima bei Google, spricht von einem „neuen Weg in der atomaren Energieversorgung“.
Die jüngste Generation der Kernkraftreaktoren gehört allerdings auch zu den umstrittensten in der Energiebranche. Noch ist weltweit keine einzige Anlage am Netz. Der Erfolg der SMR ist alles andere als sicher, und die Hürden sind hoch.
Wie funktionieren Small Modular Reactors?
Es gibt mehr als 100 verschiedene Reaktortypen, die unter dem Begriff laufen. „Small Modular Reactor ist eigentlich ein Sammelbegriff für Atomkraftwerke, die weniger als 300 Megawatt elektrischer Leistung haben“, erklärt Christoph Pistner, Experte für Nuklearsicherheit am Öko-Institut in Darmstadt. Ein herkömmliches Atomkraftwerk hat in der Regel eine Leistung von mindestens 1000 Megawatt.
Die meisten SMR funktionieren nach demselben Prinzip wie die üblichen Druckwasserreaktoren, nur eben kleiner skaliert, um sie schneller bauen zu können.
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Das ist zum Beispiel das Konzept des britischen Unternehmens Rolls-Royce Power oder der US-Amerikaner von Nuscale Power. Beide setzen auf konventionelle Kühlmittel. Hier steht eher die Frage nach der Wirtschaftlichkeit im Fokus, während es bei anderen Konzepten auch noch ungelöste technische Fragen gibt.
„Oft sind es Materialfragen. Salzschmelzen oder flüssiges Blei sind hochkorrosive Materialien, die die Kühlkreise angreifen können. Kühlmittel wie Natrium können bei Leckagen zu Bränden führen“, sagt Pistner.
Natrium ist auch das Kühlmittel der Wahl bei dem Start-up Terrapower von Microsoft-Gründer Bill Gates. Dadurch muss das Mini-Kraftwerk nicht unter Dauerdruck stehen, um bei bis zu 800 Grad hohen Temperaturen Energie zu erzeugen – was das Konzept insgesamt deutlich sicherer macht als herkömmliche Reaktoren.
Ein ähnliches Konzept verfolgt das deutsch-kanadische Start-up Dual Fluid. Hier sollen die Brennstoffe mit flüssigem Blei gekühlt werden. Es bildet ein Bett für Röhren, in denen wiederum die Kernbrennstoffe Uran, Plutonium oder Thorium zirkulieren – und zwar in Form von flüssigem Metall. „Wir brauchen viel weniger Materialien und können deswegen auch auf sehr niedrige Kosten kommen“, sagt Dual-Fluid-Chef Götz Ruprecht.
Das flüssige Blei kann außerdem nicht nur große Mengen Wärme abführen, es schirmt auch die radioaktive Strahlung ab und wird dabei selbst so gut wie nicht radioaktiv.
Wann geht der erste Reaktor ans Netz?
Aktuell baut Nuscale seine erste Pilotanlage in Rumänien. Bis 2028 soll sie fertig sein. Dual Fluid hat sich dagegen für Ruanda entschieden. „Die Behörden in der westlichen Welt sind weder erfahren noch beweglich, wenn es um neue Reaktorkonzepte geht. Das ist einer der Gründe, warum wir unsere Demonstrationsanlage in Ruanda bauen“, sagt Chef Ruprecht.
Terrapower hat seinen Spatenstich im US-Bundesstaat Wyoming erst im Juni gefeiert. Gründer Gates sagte dazu: „Ich glaube, dass Terrapowers nächste Atomgeneration die Zukunft unserer Nation mit Strom versorgen wird – und die Welt.“ Eine Genehmigung für den Bau hat das Unternehmen allerdings noch nicht.
Auch in Kanada, Frankreich, Großbritannien, China, Russland und Südkorea wird mit Forschung und ersten Pilotprojekten an der Entwicklung eines SMR gearbeitet.
Wie teuer ist das Ganze?
Dual Fluid verspricht Kosten zwischen 2,1 und 2,7 Cent die Kilowattstunde, selbst ohne Subventionen. Das wäre günstiger als Kohle, Gas, herkömmliche Atomkraft und Windenergie.
Erst einmal muss das Start-up allerdings die nötigen Fertigungstechnologien entwickeln. Bis zu der ersten Demonstrationsanlage ist es noch ein langer Weg. Aktuell kämpft Dual Fluid um neue Investitionen.
Andere mit ähnlichen Versprechen sind dagegen schon jetzt an der Wirtschaftlichkeit gescheitert. So wird das im US-Bundesstaat Idaho geplante Nuscale-Kraftwerk aufgrund zu stark gestiegener Kosten nicht gebaut.
Statt wie ursprünglich geplant mit 5,3 Milliarden US-Dollar rechnete Nuscale am Ende mit über neun Milliarden Dollar für den Bau der Anlage. Das hätte die Kosten für eine Megawattstunde auf 89 Dollar katapultiert (inklusive Milliardensubventionen von der US-Regierung). Zum Vergleich: Die Kosten von Solarenergie plus Batterie liegen mit 45 Dollar pro Megawattstunde deutlich darunter.
Schon ein Jahr zuvor hatte der Energiethinktank Institute for Energy Economics and Financial Analysis kritisiert, der Reaktor von Nuscale sei für die Energiewende „zu spät, zu teuer, zu riskant und zu unsicher“.
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„Die Lücke zwischen dem Hype um SMR und der Realität wächst weiter“, heißt es auch in dem kürzlich erschienenen World Nuclear Industry Status Report (WNISR).
„Auf die Leistung bezogen sind SMR zunächst teurer als die großen Atomkraftwerke. Es bräuchte Hunderte bis Tausende in Serienproduktion, damit sich das vielleicht ändert“, sagt Atomexperte Pistner. Bislang gäbe es die Konzepte nur auf dem Papier. Selbst große Atomkraftwerke sind bis heute unökonomisch und deutlich teurer als grüne Alternativen in Kombination mit Speichern. „Von kommerzialisierbaren Systemen sind wir noch mindestens ein bis zwei Jahrzehnte entfernt“, sagt Pistner.
Und bei den wenigen Pilotprojekten ufern die Kosten trotz Subventionen schon bei Baubeginn aus: Die Gesamtkosten der Terrapower-Pilotanlage belaufen sich laut eigenen Aussagen von Gates auf knapp zehn Milliarden US-Dollar. „Bei einer Leistung des Natrium-Reaktors von circa 380 Megawatt müssten die Kosten pro Einheit rein rechnerisch bei über 26.000 US-Dollar pro Kilowatt liegen“, rechnen die Experten des WNISR vor. Und wären damit nur knapp unter den Kosten des gecancelten Nuscale-Projekts in den USA.
„SMR hat nicht den Größenvorteil, und daher wird jeder Strom, den sie produzieren, teurer sein. Das zeigen auch die wenigen vorhandenen Kostenschätzungen“, resümieren die Autoren des WNISR-Reports.
Für den Kampf gegen den Klimawandel kommt die Technologie so oder so laut Meinung vieler Experten zu spät. Frühestens in den 2040er-Jahren könnte sie eine Rolle spielen und der „Gamechanger“ werden, von dem Gates spricht – vorausgesetzt, die Preise stimmen dann auch.
(Dieser Text ist zunächst im Handelsblatt erschienen)
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