
© Michelle Tantussi/Reuters
Modellfabrik aus Marienfelde: Mercedes eröffnet Digital Factory Campus
Das älteste Fabrik im Konzern soll eine Pionierrolle spielen für die digitale Transformation von insgesamt 30 Produktionswerken weltweit.
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Die jungen Pioniere sind wieder da. Nicht mit der Pioniertruppe Ernst Thälmann, in der sich zu DDR-Zeiten die Schülerinnen und Schüler versammelten, sondern an einem besonderen Ort des Kapitalismus. In Berlin-Marienfelde befindet sich die älteste Fabrik von Mercedes-Benz, und hier begrüßte am Freitag Ola Källenius, der aus Stuttgart angereiste Vorstandsvorsitzende des Konzerns, die Anwesenden mit den Worten: „Liebe Pionierinnen und Pioniere.“
Solche Tage sind Hoffnungsschimmer.
Franziska Giffey, Regierende Bürgermeisterin
Der aus Schweden stammende Källenius sprach ein Dutzend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an, die in den vergangenen zwölf Monaten von Mechanikern zu „Junior Software-Entwicklern“ weitergebildet wurden, um nun an einem ganz großen Projekt mitzuwirken: Der digitalen Transformation der Autoindustrie und dem Wechsel vom Verbrennungsmotor zum elektrischen Antrieb. Das Werk Marienfelde, 1902 gegründet, soll dabei als Modellfabrik eine „Pionierrolle“ (Källenius) übernehmen. „Wir sind stolz darauf, dass Sie hier sind“, freute sich die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) über den Weltkonzern aus Stuttgart und dessen Bekenntnis zu Berlin. „Solche Tage wie heute sind Hoffnungsschimmer.“
Giffey und Källenius waren zur Eröffnung des Digital Factory Campus gekommen, wie Mercedes das Kompetenzzentrum für Digitalisierung nennt. In Marienfelde werden Softwareapplikationen entwickelt und erprobt, die anschließend in den weltweit 30 Produktionsstätten von Mercedes-Benz Cars zum Einsatz kommen. Nach eigenen Angaben investiert der Konzern einen dreistelligen Millionenbetrag in das Werk, um es neu ausrichten. Denn die Produktion des Verbrennungsmotors, das war und ist das Kerngeschäft in Marienfelde, läuft in absehbarer Zeit aus.
Vor genau zwei Jahren schockte die Nachricht die damals noch 2500 Berliner Mercedes-Beschäftigten, dass der Konzern kein Geld mehr in die Weiterentwicklung der Benzin- und Dieseltechnologie stecken werde. Sogar die Schließung des Werks drohte, erinnerte sich Giffey am Freitag. Im Roten Rathaus und unter Mitwirkung von Giffeys Vorgänger Michael Müller wurde dann im März 2021 ein Vertrag geschlossen zwischen dem Land, Mercedes sowie Siemens über die Entwicklung des denkmalgeschützten Standortes an der Daimlerstraße: Der „Mercedes-Benz Digital Factory Campus Berlin“ war erfunden.
AMG Motoren künftig aus Marienfelde
Wiederum ein paar Monate später, im November letzten Jahres, gab es für den Produktionsstandort noch eine handfeste Zusage: In Marienfelde werden künftig Elektromotoren gebaut für die Mercedes- Tochter AMG. Nicht irgendwelche Antriebe, sondern „Ultra-High-Performance-Motoren“, wie Mercedes-Produktionsvorstand Jörg Burzer sagt.

© imago/Mike Schmidt
Aktuell arbeiten im Südwesten Berlins noch 2370 Beschäftigte für Mercedes, davon die Hälfte in der Produktion. Im Verlaufe des Jahrzehnts läuft die Produktion der Verbrennungsmotoren aus. Wie viele Mitarbeiter dann AMG-Antriebe montieren werden, ist offen. Vertraglich vereinbart wurde immerhin zwischen den Betriebsparteien die Zahl der Pioniere für die Digitale Factory: Betriebsratschef Fevzi Sikar zufolge hat sich das Unternehmen verpflichtet, bis 2030 rund 200 Produktionsbeschäftigte zu Junior Software- Entwicklern auszubilden.
„Wir wollen die begehrtesten Autos der Welt bauen, und die fahren elektrisch und digital“, sagte Mercedes-Chef Källenius. „Die begehrtesten Autos der Welt aus der großartigsten Stadt der Welt“, griff Giffey die rhetorische Vorlage auf. Gemeinsam mit Brandenburg sei Berlin eine der wachstumsstärkste Regionen in Europa mit einem „digitalen Ökosystem“, von dem Mercedes profitieren werde. „Wir wollen, dass Berlin Industriestandort bleibt“, sagte die Regierende Bürgermeisterin und versprach eine industriefreundliche Politik. „Wir möchten Sie begleiten und unterstützen“, zumal das Mercedes-Werk „ein ganz wichtiger Standort für uns ist“.
Die Transformation des Werks ist eine ganz, ganze große Chance für Berlin.
Franziska Giffey
Tatsächlich ist Mercedes neben den Siemens-Fabriken in Spandau und Moabit, dem BMW-Motorradwerk in Spandau sowie dem Zughersteller Stadler in Pankow einer der wenigen großen Industriebetriebe in der Stadt, deren industrielle Basis teilungsbedingt ziemlich dünn ist. Die Transformation des Berliner Werks, wo in den vergangenen 120 Jahren unter anderem Schiffmotoren, Fahrräder und Busse produziert wurden, sei eine „ganz, ganz große Chance für Berlin“, sagte die Regierende Bürgermeisterin. „Berlin ist Zukunftsstandort, Berlin kann das.“
Ein großer Schritt für Berlins Industrie
Ohne die Unterstützung der Politik werde die Transformation nicht gelingen, meinte Källenius und nannte als Beispiele den Aufbau der Ladeinfrastruktur für E-Autos, den Ausbau erneuerbarer Energien und ein flächendeckendes 5G- Netz. Siemens-Vorstand Cedrik Neike, in Berlin aufgewachsen und einer der Protagonisten des Innovationscampus Siemensstadt, betonte in seinem Grußwort die Rolle von Siemens als Partner von Mercedes. „Die Zukunft von heute ist die Vergangenheit von morgen“, betonte Neike, der für den Siemens-Geschäftsbereich Digital Industries zuständig ist, die Notwendigkeit ständiger Veränderung.
Nach Einschätzung der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg (UVB) ist der Digital Factory Campus „ein großer Schritt für Berlins Industrie. Das Miteinander von Mensch und Maschine mit Hilfe digitaler Prozesse bedeutet einen Effizienz- und Wettbewerbsvorsprung, der eine Blaupause für andere Unternehmen sein kann“, teilte UVB-Hauptgeschäftsführer Christian Amsinck mit. Für solche Projekte habe Berlin mit seiner Forschungslandschaft und der Start-up- Szene eine gute Basis. Entscheidend sei jedoch die Versorgung der Betriebe mit Energie und Rohstoffen, erinnerte Amsinck an die aktuelle Energiekrise.
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Das letzte Wort bei der Eröffnung der Digital Factory in einer Halle aus dem Jahr 1915 hatte der Betriebsratsvorsitzende Sikar. „Das Unsichtbare wird heute etwas sichtbarer“, sagte Sikar mit Blick auf die Roboter und die Bildschirme, auf denen alle Produktionsschritte festgehalten und sind und digital gesteuert werden. „Das Werk wird ein Leuchtturm der Transformation“, freute sich der Betriebsrat. „Wir sind bereit, weitere 100 Jahre Geschichte zu schreiben.“
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