zum Hauptinhalt
Prekär. Viele junge Leute müssen mit einem befristeten Arbeitsvertrag ins Erwerbsleben starten.

© dpa

Neue Arbeitsplätze in Berlin: Über die Hälfte der Jobs ist befristet

Junge, Migranten und Leute ohne Ausbildung sind besonders betroffen von Befristungen. Gewerkschaften warten auf Umsetzung des Koalitionsvertrages.

In keinem anderen Bundesland werden so viele Arbeitsverträge befristet ausgestellt wie in Berlin. Besonders betroffen sind jüngere Arbeitnehmerinnen, Beschäftigte ohne Ausbildung oder mit Migrationshintergrund sowie Hochschulabsolventen. „Wenn mehr als jede zweite Neueinstellung ein Verfallsdatum hat, ist auf Berlins Arbeitsmarkt etwas aus dem Ruder gelaufen“, kommentierte Robert Feiger, Vorsitzender der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) die Zahlen. Die Böckler-Stiftung des DGB hatte für das zweite Quartal 2020 Arbeitsmarktdaten für das gesamte Bundesgebiet analysiert und die IG BAU daraus die Situation in Berlin ermittelt. Von 133 000 Neueinstellungen, die es in der Hauptstadt im zweiten Quartal 2020 gab, waren rund 70 000 oder 52,8 Prozent befristet. Das liegt erheblich über dem Bundesdurchschnitt von 39,4 Prozent.

Risikogruppe in der Pandemie

Gerade in der Pandemie werde das Risiko der Befristungen deutlich, weil „viele Firmen Arbeitsverträge auslaufen lassen“, wie Feiger sagte. Der Gewerkschafter erinnerte die Bundesregierung an den Koalitionsvertrag, in dem eine gesetzliche Regelung zur Eindämmung von Zeitverträgen vorgesehen sei. Er forderte die Union auf, „ihre Blockadehaltung“ gegenüber dem von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) geplanten Gesetz aufzugeben. Bislang ist die Befristung eines Arbeitsvertrages ohne Angabe eines sogenannten Sachgrunds – zum Beispiel Probezeit oder Elternzeitvertretung – bis zu zwei Jahre erlaubt.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

„Wir wollen den Missbrauch bei den Befristungen abschaffen“, heißt es dazu im schwarz-roten Koalitionsvertrag. „Deshalb dürfen Arbeitgeber mit mehr als 75 Beschäftigten nur noch maximal 2,5 Prozent der Belegschaft sachgrundlos befristen.“ Bei Überschreiten dieser Quote sei jedes weitere Arbeitsverhältnis unbefristet. Und weiter ist „die Befristung eines Arbeitsvertrages ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes nur noch für die Dauer von 18 statt bislang von 24 Monaten zulässig“, heißt es im Koalitionsvertrag. Ferner sollen die Befristungen binnen der Gesamtdauer nur noch einmal statt wie bislang dreimal erlaubt sein. Wenn diese Vorgaben aus dem Vertrag mit der Union gesetzlich umgesetzt werden sollen, dann muss sich der SPD-Minister Heil beeilen. Im September wird der neue Bundestag gewählt.

Hochschulen stellen befristet ein

Zu den am stärksten betroffenen Beschäftigtengruppen teilte die Böckler-Stiftung mit, von den neu Eingestellten unter 25 Jahren hätten gut 50 Prozent einen befristeten Vertrag unterschreiben müssen. Fast 52 Prozent der Arbeitnehmer ohne Ausbildung bekamen den Job nur mit Befristung, und Hochschulabsolventen wurden mit 44,6 Prozent überdurchschnittlich häufig befristet eingestellt. Das erklären die Wissenschaftler mit den Einstellungsgepflogenheiten in den Bereichen Erziehung und Unterricht sowie Information und Kommunikation. Deshalb fallen neben Berlin auch Medien- und Hochschulstädte wie Köln mit einer Befristungsquote von 61,4 und Potsdam mit knapp 60 Prozent aus dem Rahmen.

Gesetzentwurf erwartet

„Das Gesetz ist überfällig“, appellierte IG BAU-Chef Feiger an die Bundesregierung. Es blieben nur noch zehn Wochen, „um dieses wichtige arbeitsmarktpolitische Projekt durch den Bundestag zu verabschieden“. Schließlich habe die Pandemie „strukturelle Probleme“ auf dem Arbeitsmarkt mit seiner Vielzahl prekär Beschäftigter sichtbar gemacht. Neben den kaum abgesicherten Minijobs und Leiharbeitsverhältnissen seien auch Befristungen „alles andere als krisenfest und werden für die Betroffenen zur Karrierefalle“. Besonders jüngere Arbeitnehmerinnen hätten dadurch erhebliche Probleme, in der Gesellschaft Fuß zu fassen. Sie fänden schwerer eine Wohnung oder bekämen keinen Kredit. „Am Ende muss oft sogar der Wunsch nach eigenen Kindern vertagt werden“, meinte Feiger. Nach Angaben der Böckler-Stiftung sank auch die Zahl der Neueinstellungen in der Pandemie: In Berlin wurden im zweiten Quartal 2020 rund 28 Prozent weniger sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse neu abgeschlossen als im Vorjahreszeitraum.

Zur Startseite