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Schwarz-Rot ringt um Einigung: Streit um Tarifpflicht bei öffentlichen Aufträgen
Aufträge des Bundes sollen nur noch Firmen bekommen, die Tariflöhne zahlen. Arbeitgeber und Union möchten Haustarife einbeziehen – und hoffen auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs.
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Die Vorgabe aus dem Koalitionsvertrag ist eindeutig. „Tariflöhne müssen wieder die Regel werden und dürfen nicht die Ausnahme bleiben“, schreiben Union und SPD in ihrem Regierungspapier. „Deswegen werden wir ein Bundestariftreuegesetz auf den Weg bringen. Das Bundestariftreuegesetz gilt für Vergaben auf Bundesebene ab 50.000 Euro.“ Ein entsprechender Gesetzentwurf von Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) liegt vor.
In der vergangenen Woche wurden dazu die Sozialpartner angehört, kommende Woche waren Lesungen im Bundestag geplant. Doch das wird nichts. SPD und Union ringen immer noch um Einschränkungen und Ausnahmen. Arbeitgebervertreter machen Druck auf die CDU, damit das ungeliebte Gesetz möglichst wenige Unternehmen betrifft. Gewerkschafter pochen auf Umsetzung des Koalitionsvertrags.
Das sogenannte Tariftreuegesetz ist in Wahrheit ein Tarifzwangsgesetz.
Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Arbeitgeberverbände
„Unser Ziel ist eine höhere Tarifbindung“, begründet die Koalition das Gesetz. Nur noch 24 Prozent der Betriebe wenden Tarife am, weniger als die Hälfte der Beschäftigten steht unter dem Schutz eines Tarifvertrags. Aufgrund der schwindenden Tarifbindung hatte die schwarz-rote Merkel-Regierung 2015 einen gesetzlichen Mindestlohn eingeführt. Und bis auf Bayern und Sachsen wenden inzwischen alle Bundesländer Vergabe- oder Landestariftreuegesetze an. Nun soll der Bund folgen.
Im vergangenen Jahr hatte sich die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und der Ampel-Regierung auf ein Bundestariftreuegesetz (BTG) verständigt, das indes nicht verabschiedet wurde. Mit Ach und Krach brachte die SPD das Vorhaben im neuen Koalitionsvertrag unter, aber die Union setzte eine Verdopplung des Schwellenwertes, ab dem das Gesetz gilt, auf 50.000 Euro durch, ferner mehr Ausnahmen (etwa für Start-ups und Rüstungsfirmen) sowie laxere Kontrollen. Den Arbeitgebern reicht das aber nicht.
„Das sogenannte Tariftreuegesetz ist in Wahrheit ein Tarifzwangsgesetz“, schimpft BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter. Wer Betriebe in Tarifverträge zwinge, „zerstört die Grundlage echter Sozialpartnerschaft“.
Nach Angaben des Maschinenbauverbandes sind gut zwei Drittel der Unternehmen in der Branche nicht tarifgebunden, zahlen aber trotzdem ein durchschnittliches Jahresgehalt von 68.000 Euro. Ein Gesetz, von dem sich die Befürworter bessere Arbeitsbedingungen versprechen, sei also überflüssig. „Mit dem Tariftreuegesetz wird der industrielle Mittelstand abgestraft“, klagt Verbandschef Thilo Brodtmann. „Wir verstehen nicht, weshalb trotz der schlechten Wirtschaftslage solche Vorhaben auch noch prioritär umgesetzt werden.“
Der DGB hat die von der Union durchgesetzte Auftragsgrenze von 50.000 Euro zähneknirschend akzeptiert, für Vorstandsmitglied Stefan Körzell war das die „äußerste Schmerzgrenze“. Unterhalb der Schwelle lagen zuletzt rund 6000 der 22.150 Aufträge im Gesamtvolumen von 40 Milliarden Euro, die der Bund im Jahr auslobte. Abzüglich der im neuen Gesetz vorgesehenen Ausnahmen schrumpft die Gesamtauftragszahl nach DGB-Angaben auf etwa 16.000, sodass im Ergebnis mehr als ein Drittel der Aufträge nicht unter die Tarifpflicht fällt.
Trotzdem ist der Widerstand groß. Die Arbeitgeberverbände „machen sich zum Sprachrohr der schwarzen Schafe in ihren Reihen: der nicht tarifgebundenen Unternehmen“, klagte Körzell im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Das passe in die Zeit. „Manche Arbeitgeber und Arbeitgeberverbände wollen in der Krise Arbeitnehmerrechte schleifen.“
Dabei gibt es Arbeitgeber, die das Gesetz als Instrument für einen faireren Wettbewerb befürworten. Körzell verweist auf ein Schreiben der Bauwirtschaft in Hessen-Thüringen, die für die Tarifbindung bei öffentlichen Aufträgen wirbt. „Denkbar wäre, dass tarifgebundene Unternehmen einen gewissen Wertungsvorteil von beispielsweise fünf Prozent bekommen gegenüber Unternehmen, die nicht tarifgebunden sind“, heißt es in dem Brief des Bauindustrieverbandes an Körzell.
„Handwerk und Mittelstand müssen sich gut überlegen, ob sie sich weiter einem ruinösen Vergabewettbewerb aussetzen wollen“, meint der Gewerkschafter zu dem Umstand, dass bislang vor allem der Preis zählt bei der Auftragsvergabe.

© dpa/Kay Nietfeld
In öffentliche Kassen könnte das neue Gesetz nach Berechnungen des DGB rund 190 Millionen Euro pro Jahr spülen. Durch die in der Regel höheren Tariflöhne – der DGB geht von zehn Prozent aus –, kassierten die Sozialversicherungen 120 Millionen und der Fiskus 70 Millionen Euro mehr. Dem stünden Kosten für Überwachung, Kontrolle und Vergabe von einmalig 7,4 Millionen Euro sowie jährlich drei Millionen Euro gegenüber.
Aber das Gesetz „legt den Betrieben Fesseln an, statt ihnen den Freiraum zu geben, fair und flexibel zu handeln“, argumentiert BDA-Kampeter. Auf den letzten Metern vor der Verabschiedung des Gesetzes versucht der Arbeitgebervertreter deshalb eine Erweiterung zugunsten von Haustarifverträgen durchzusetzen. Bislang war Konsens, dass als Referenzgröße für die Höhe der Tariflöhne der für eine Branche repräsentative Tarifvertrag gilt.
Eine Ausnahme vom Bundestariftreuegesetz für Unternehmen mit Haustarifverträgen ist nach Auffassung der Bundesregierung unionsrechtlich unzulässig.
Bärbel Bas, Bundesministerium für Arbeit und Soziales
Vor drei Wochen kamen die Arbeitgeber dann mit dem Wunsch, Haustarifverträge anzuerkennen. Das ist für den DGB eine Zumutung, da solche betrieblichen Tarife häufig unter dem Niveau des Branchentariflohns liegen. Juristen und sogar die schwarz-rote Regierung machen rechtliche Bedenken geltend.
„Eine Ausnahme vom Bundestariftreuegesetz für Unternehmen mit Haustarifverträgen ist nach Auffassung der Bundesregierung unionsrechtlich unzulässig, insbesondere da diese Abweichungsmöglichkeit Arbeitgebern mit Sitz im Ausland nicht gleichermaßen gewährleistet werden kann und insofern eine Diskriminierung vorläge“, schreibt eine Referatsleiterin aus dem Bundesarbeitsministerium an Pascal Meiser, Bundestagsabgeordneter der Linken.
„Es muss endlich Schluss sein mit Tarifflucht und Lohndumping bei der Erledigung öffentlicher Aufträge“, findet Meiser. Die Versuche der Union, „das Gesetz mit offenkundig rechtswidrigen Vorschlägen zu torpedieren“ findet er „absolut respektlos gegenüber all den hart arbeitenden Menschen“.
Da die mutmaßliche Rechtswidrigkeit weder Arbeitgebervertreter noch manche Unionsabgeordnete störte, vermutet Körzell vom DGB Kalkül: Ein BTG inklusive Haustarife würde vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) gekippt werden. Und die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände hätte ihr Ziel erreicht.
Noch aus einem anderen Grunde kommt dem Europäischen Gerichtshof erhebliche Bedeutung für die Tarifverhandlungen der Koalitionäre zu: Am kommenden Dienstag verkündet der EuGH sein Urteil zur Klage Dänemarks gegen die EU-Mindestlohnrichtlinie. Neben der Lohnhöhe ist ein weiteres Ziel der Richtlinie die Stärkung der Tarifbindung in den Mitgliedsländern.
Vergabegesetz und Tariftreuegesetz hängen zusammen
Staaten, in denen weniger als 80 Prozent der Beschäftigten durch Tarifverträge geschützt sind, müssen einen Aktionsplan zur Förderung von Tarifverhandlungen vorlegen. Das BTG gehört gewissermaßen zu dem deutschen Aktionsplan. Wenn die Richtlinie keinen Bestand hat, spielt das in die Karten der Gegner des Gesetzes.
Den Befürwortern bleibt in jedem Fall die Drohung mit dem Vergabebeschleunigungsgesetz, das gemeinsam mit dem BTG vom Bundestag Anfang Dezember und vom Bundesrat am 19. Dezember beschlossen werden soll. Beide Gesetze gehören zusammen: Die öffentliche Auftragsvergabe soll schneller erfolgen und Unternehmen bevorzugen, die gute Löhne zahlen.
Wenn das BTG aus dem von der SPD geführten Arbeitsministerium nicht durchkommt, dann könnte die SPD die Zustimmung zum Vergabegesetz aus dem Wirtschaftsministerium der CDU verweigern. Die Folge wäre ein Krach, den das Publikum von der Ampel kennt.
„Die Regierung versucht ständig, ihre Handlungsfähigkeit zu beweisen. Mit der zügigen Verabschiedung des Bundestariftreuegesetzes würde das gelingen“, sagt DGB-Mann Körzell und hofft immer noch auf die Umsetzung des Koalitionsvertrags ab 2026.
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