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Paul Kirchhof meint, dass die EZB verfassungswidrig handelt. Ökonomen sehen das anders.

© Boris Roessler/dpa

Sind Minuszinsen verfassungswidrig?: Ökonomen widersprechen den Thesen von Paul Kirchhof

Der Ex-Bundesverfassungsrichter meint, die EZB enteignet den Sparer rechtswidrig. Volkswirte sehen das anders. Es fehle Kirchhof an ökonomischem Wissen.

Ist der Minuszins verfassungswidrig? Diese Behauptung hat Paul Kirchhof in einem Interview mit der „Welt“ am Wochenende aufgestellt. Der ehemalige Bundesverfassungsrichter unterlegt seine Argumentation dabei mit einem Gutachten, das er für die Sparda-Banken angefertigt hat. Jahr für Jahr nehme die Europäische Zentralbank (EZB) dem Sparer über ihre Leitzinssatzpolitik 0,5 Prozent weg, ohne ihm dafür etwas zu geben, fasst er zusammen.

„Die EZB veranlasst eigenmächtig, dass Eigentum von privater in die öffentliche Hand übergeht“, meint er. So etwas stehe ihr aber nicht zu. Kirchhof nennt das Kompetenzanmaßung. „Mit dem Negativzins wird der Sparer enteignet, obwohl der Staat prinzipiell nicht auf Privateigentum zugreifen darf“, schlussfolgert er. „Das ist verfassungswidrig und widerspricht auch dem Europarecht. Die Garantie des Privateigentums ist die Garantie der ökonomischen Grundlage individueller Freiheit.“

Bei vielen Ökonomen sorgten Kirchhofs Thesen am Wochenende für Kopfschütteln. Das Interview sei „ein einziges Desaster“, twitterte etwa Jens Südekum, Volkswirtschaftsprofessor der Heinrich- Heine-Universität in Düsseldorf und häufig in beratender Funktion der Bundesregierung im Einsatz. Doch was genau stört Ökonomen daran?

Der Minuszins hat für viele Menschen auch gute Seiten

„Zunächst einmal taucht der Sparer als solcher ja nicht in der Verfassung auf“, setzt Rudi Bachmann, Professor für Makroökonomik an der US-Universität Notre Dame an. „Man müsste dann im Umkehrschluss auch fragen, wie es um den Kreditnehmer, den Arbeitnehmer mit seinem Humankapital sowie um den Aktien- beziehungsweise Immobilienbesitzer steht, denen mit höheren Zinsen tendenziell geschadet würde.“ Insbesondere letztere würden bei steigenden Zinsen ja wiederum „enteignet“.

Was sich außerdem wie ein roter Faden durch die Ökonomen-Kritik an Kirchhof zieht, ist die Tatsache, dass er in seinen Ausführungen nicht zwischen Nominal- und Realzins unterscheidet. Unter Nominalzins versteht man den Zins „auf dem Papier; also den Zins, den man per Vertrag erhält. Deutlich relevanter ist allerdings der Realzins, bei dem man die Inflationsrate gegenrechnet. Das heißt: Selbst wenn man lukrative drei Prozent Zinsen (nominal) von der Bank bekommt, die Inflation aber ebenfalls bei drei Prozent liegt, geht man am Ende dennoch leer aus.

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„Herr Kirchhof scheint den Unterschied zwischen Real- und Nominalzinsen nicht zu kennen“, meint Bachmann. „Auf welchen Zins bezieht sich denn seiner Meinung nach das Grundgesetz? Der Realzins auf Sparguthaben war schon des öfteren negativ, auch in Zeiten der Bundesbank – war das schon immer verfassungswidrig?“

Tatsächlich lag die Inflationsrate etwa in den 1970er-Jahren mitunter bei mehr als sieben Prozent und sorgte damit für negative Realzinsen. „Ich bin mir im klaren darüber, dass Sparern die Sache mit den realen Zinsen schwer zu vermitteln ist“, hatte der damalige EZB-Chef Mario Draghi schon 2016 seine Zinssenkungen kommentiert. „Unter dem Strich sind die realen Leitzinsen heute aber höher als vor 20 oder 30 Jahren.“ Dieser Satz gilt in seiner Absolutheit heute, gut fünf Jahre später allerdings nicht mehr.

Führt Kirchhofs Denke zu niedrigem Realzins?

Eine Orientierung am Nominalzins ist aus Bachmanns Sicht dennoch Unsinn – hier stehe jedem Sparer ein Zins von Null ja jederzeit zur Verfügung: beim simplen Horten von Bargeld. Überhaupt sieht der Ökonom das Sparen nicht als Grundrecht an: „ Dem Sparer stehen – bei entsprechender Risikoübernahme – andere Sparvehikel mit positiver Rendite zur Verfügung. Kirchhof hingegen meint, Sparer zu Aktien zu raten, wäre als ob man einen Winzer rät, doch einfach Bier zu brauen, nachdem man ihm seine Reben beschnitten hat.

Eines findet Bachmann aber besonders unlogisch. Denn sobald die EZB, wie von Kirchhof gefordert, den Geldhahn zudreht und die Staaten keine neuen Schulden mehr machen können, dürfte die Inflation wieder deutlich steigen – mit ganz direkten Auswirkungen für die Sparer. Für Bachmann bedeutet das: „Jeder, der höhere Staatsschulden ablehnt, ist kausal mitverantwortlich ist für das niedrige Realzinsniveau.“ Also auch Kirchhof.

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