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08.11.2022, Nordrhein-Westfalen, Köln: Ein Teilnehmer hält bei einer Kundgebung zum Warnstreik im aktuellen Tarifstreit der Metall- und Elektroindustrie NRW vor der Werkstor der Deutz AG ein Schild mit der Forderung nach 8 Prozent mehr Lohn in der Hand. Foto: Henning Kaiser/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

© dpa/Henning Kaiser

Dann „kippen unsere Unternehmen aus den Latschen“: Der Metallindustrie droht ein Arbeitskampf

Zwei Monate traten die Tarifverhandlungen auf der Stelle. Die Arbeitgeber suchen nach einer Strategie, die IG Metall bereitet den großen Streik vor.

Es wurde viel telefoniert am Wochenende. Der Abstimmungsbedarf ist groß unter den Arbeitgebern in der Metallindustrie, die sich nach monatelanger Abwehrarbeit nun unter Zeitdruck nach vorne bewegen müssen: Am Donnerstag steht die fünfte Verhandlungsrunde über die Tarifentgelte für fast vier Millionen Beschäftigte in der Metall- und Elektroindustrie an.

Wenn es dann keine Verständigung gibt, eskaliert der Konflikt: Die IG Metall hat Urabstimmungen über Arbeitskämpfe vorbereitet und will so bald wie möglich mit den berüchtigten 24-Stunden-Streiks den Konzernen aus der Autoindustrie und im Maschinenbau wehtun. Die Unternehmen, die oftmals hohe Auftragsbestände abzuarbeiten haben, möchten das vermeiden. Aber wie?

Die Arbeitgeber ringen um eine einheitliche Position. „Wir sind eben ein heterogener Laden“, beschreibt ein Unternehmer und ehrenamtlicher Funktionär die schwierige Suche nach einer gemeinsamen Strategie. Zum Dachverband Gesamtmetall gehören ein Dutzend Regionalverbände.

Die Arbeitgeber im Norden und im Westen des Landes hätten den Konflikt gerne schon länger gelöst, doch im Süden zocken die Arbeitgeber und halten sich die Taschen zu. Von einem „so noch nie dagewesenen Krisencocktail“ spricht der bayerische Verbandschef Bertram Brossardt und schlussfolgert: „Wir müssen vernünftig bleiben und dürfen nicht die Zukunft verspielen.“ Soll heißen: Die Firmen nicht auch noch mit höheren Personalkosten belasten.

Wir lassen nicht zu, dass die IG Metall den Firmen das Licht ausmacht.

Harald Marquardt, Verhandlungsführer der Arbeitgeber

Für den Unternehmer Harald Marquardt, der in Baden-Württemberg die Verhandlungen führt, ist der Verteilungsspielraum „eigentlich null“. Marquardts Unternehmen ist mit 10.000 Mitarbeitenden, die elektronische und elekromechanische Kompontenen für die Autoindustrie bauen, ein typischer baden-württembergischer Mittelständler: Fast 100 Jahre alt, weltweit aufgestellt, technologisch spitze und inzwischen mehr Konzern als Mittelstand.

„Wir lassen nicht zu, dass die IG Metall den Unternehmen das Licht ausmacht“, sagt Marquardt. Wenn man der Forderung der Gewerkschaft nachgebe, „kippen unsere Unternehmen aus den Latschen“.

500.000 haben sich an Warnstreiks beteiligt

Im Übrigen gehe es den Beschäftigten in der Branche mit einem durchschnittlichen tariflichen Jahresverdienst von gut 65.000 Euro doch gut, meinen die Arbeitgeber und erleichtern mit dem Argument der IG Metall die Mobilisierung. Nach Angaben von Gewerkschaftschef Jörg Hofmann haben sich in den vergangenen zwei Wochen 500.000 Beschäftigte an Warnstreiks beteiligt. Warnstreiks über ein paar Stunden – eine Aufwärmübung für den Arbeitskampf.

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Bereits vor der Sommerpause hatte die IG Metall ihre Forderung beschlossen: Acht Prozent bei einer Laufzeit des neuen Vertrags von zwölf Monaten. In der Zwischenzeit ist viel passiert. Die Inflationsrat ist zweistellig, die Ampel-Regierung hat eine steuer- und sozialabgabenfreie Inflationsprämie von 3000 Euro beschlossen, und in der Chemieindustrie einigten sich die Tarifparteien auch dank dieser Prämie ziemlich schnell auf einen neuen Tarifvertrag.

Auf sie kommt es an: Harald Marquardt (links), Verhandlungsführer der Arbeitgeber in Baden-Württemberg, und der dortige IG-Metall-Chef Roman Zitzelsberger sollen den Pilotabschluss machen.
Auf sie kommt es an: Harald Marquardt (links), Verhandlungsführer der Arbeitgeber in Baden-Württemberg, und der dortige IG-Metall-Chef Roman Zitzelsberger sollen den Pilotabschluss machen.

© dpa/Christoph Schmidt

Am Verhandlungstisch der Metall-Tarifparteien wurde vor allem Kaffee getrunken. Im September begannen die Gespräche, erst beim dritten Treffen brachten die Arbeitgeber Ende Oktober die 3000 Euro ins Spiel, aber noch immer keine Prozente. Doch mit jedem Warnstreiktag und mit den weiter kletternden Preisen steigen auch die Erwartungen der Beschäftigten.

An diesem Montag beschließt die IG Metall das weitere Vorgehen: Der baden-württembergische Gewerkschaftschef Roman Zitzelsberger bekommt voraussichtlich vom Vorstand den Auftrag, am Donnerstag einen Pilotvertrag für das ganze Land abzuschließen. Wenn das nicht gelingt, ist ein Arbeitskampf, den in diesen Zeiten niemand will, nicht mehr zu verhindern. Umso bemerkenswerter, dass die Arbeitgeber über einen Zeitraum von zwei Monaten kein Angebot als Verhandlungsgrundlage vorgelegt haben.

Mit Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf beschäftigt sich die Staatsanwaltschaft Tübingen: Der oberste Metall-Arbeitgeber soll eine Haushaltshilfe schwarz beschäftigt haben.
Mit Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf beschäftigt sich die Staatsanwaltschaft Tübingen: Der oberste Metall-Arbeitgeber soll eine Haushaltshilfe schwarz beschäftigt haben.

© dpa/Marijan Murat

„Wir haben die Chemie und wir haben den Stahl“, sagt ein Arbeitgeber über die bereits vorliegenden Abschlüsse, an denen man sich orientieren könne. In beiden Branchen wird mit Einmalzahlungen oder Inflationsprämien gearbeitet, in beiden Branchen gibt es über die gesamte Laufzeit des Tarifvertrags eine prozentuale Erhöhung um 6,5 Prozent.

„Der große Knackpunkt ist die Laufzeit“, heißt es bei den Arbeitgebern. Das ist immer so. Je länger ein Vertrag läuft und die Firmen Planungssicherheit haben, desto kräftiger fällt die Erhöhung aus. Die Metallarbeitgeber haben die 3000 Euro Inflationsprämie für 30 Monate angeboten – wohl wissend, dass die IG<TH>Metall nicht viel mehr als 20 Monate mitmachen wird.

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„Es wird jetzt Zeit, dass wir auf die Zielgerade zu einem Tarifabschluss einbiegen“, grummelt der nordrhein-westfälische Arbeitgeberpräsident Arndt Kirchhoff. Die beiden letzten Pilotabschlüssse haben Kirchhoff und der IG-Metall-Chef von NRW ausgehandelt.

Und wenn sie gedurft hätten, dann läge auch in diesem Herbst schon lange ein Kompromiss vor. Doch die Baden-Württemberger sind dran, zumal sich der dortige Gewerkschaftschef Zitzelsberger mit einem guten Abschluss für die IG-Metall-Spitze, die im Herbst 2023 neu besetzt wird, bewerben will.

Die Arbeitgeber wiederum sind begrenzt handlungsfähig. Gegen Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen „Vorenthalten und Veruntreung von Arbeitsentgelt“. Wolf hat offenbar eine private Haushaltshilfe in Vollzeit schwarzarbeiten lassen. Die Maßhalteappelle des obersten Arbeitgebers, der als Vorstandsvorsitzender den Autozulieferer Elring-Klinger führt, klingen nicht wirklich glaubwürdig.

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