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Zwei Mitarbeiter von MTU Maintenance in Brandenburg.

© dpa/Patrick Pleul

Ostdeutschlands IG-Metall-Chefin: „Wir brauchen nach Jahren ohne prozentuale Erhöhungen deutlich mehr Geld“

Irene Schulz im Interview über Entlastungspakete, die jetzt beginnende Tarifrunde und die Erwartungen der Beschäftigten.

Frau Schulz, wie geht’s der IG Metall in Ostdeutschland?
In der jüngeren Vergangenheit hatten wir viel zu tun mit der Auseinandersetzung um die Arbeitszeitverkürzung Richtung 35-Stunden-Woche. Für 80 Prozent unserer Mitglieder haben wir die 35 geregelt. Die 100 Prozent peilen wir an. Wir haben im vergangenen Jahr betriebliche Mitglieder dazu gewonnen. Berlin, Brandenburg und Sachsen haben großes Potenzial nach vorne.

Wegen Tesla?
Nicht nur. Rund um Tesla siedeln sich Zulieferer an, das sind die Effekte von Leuchtturmprojekten. Aber es gibt auch Wasserstoffkompetenz in der Lausitz oder die sich entwickelnde Halbleiterindustrie in Dresden , um zwei andere Beispiele zu nennen. Ein wichtiger Vorteil in Brandenburg und Sachsen: Wir haben Flächen, wenn es um den Ausbau geht oder um eine Neuansiedlung.

Und genügend Arbeitskräfte?
Der Fachkräftemangel ist auch in vielen Betrieben im Bezirk angekommen. Jugendliche, die in berufsvorbereitenden, schulischen Maßnahmen stecken, müssen wir für Industrie und Handwerk gewinnen, die Ausbildung verstärken. Die Transformationsnetzwerke, die in Berlin, Leipzig und Südwestsachsen ihre Arbeit aufnehmen, werden sich mit Aus- und Weiterbildung befassen. Die Transformation wird regional entschieden.

Ist die Transformation in diesen Wochen der Energiekrise nicht auch bei den Metallern in den Hintergrund gerutscht?
Was ganz konkret im Portemonnaie passiert, das nehmen die Menschen wahr und das führt zu einer großen Verunsicherung. Die Maßnahmen, die von der Politik dagegengesetzt werden oder angekündigt sind, kommen erst, sind schon ausgelaufen oder noch nicht konkret. Alles in allem sind die Entlastungspakete komplex und schwer zu überschauen, während die Preise an der Tankstelle und im Supermarkt sehr konkret sind und fatale Auswirkungen auf die Kaufkraft haben können. Deshalb ist das neue Entlastungspaket wichtig. Es enthält wichtige Forderungen der IG Metall, bleibt allerdings an vielen Stellen noch zu vage. Zentrale Punkte wie der Gaspreisdeckel fehlen.

Irene Schulz ist seit 2013 Mitglied im Vorstand der IG Metall und seit Kurzem Bezirksleiterin von Berlin, Brandenburg und Sachsen.
Irene Schulz ist seit 2013 Mitglied im Vorstand der IG Metall und seit Kurzem Bezirksleiterin von Berlin, Brandenburg und Sachsen.

© imago images / Sven Simon

Wie groß sind die Sorgen um den Arbeitsplatz angesichts der sich abzeichnenden Rezession?
Wir haben Betriebe, die Personal suchen und Volllast fahren. In Firmen mit hoher Energieabhängigkeit sind die Sorgen dagegen groß. Alles in allem ist die Stimmung an unserer Basis aber nach den Corona–Jahren eindeutig: Die Beschäftigten stehen hinter der Tarifforderung von acht Prozent und wollen sich in den kommenden Wochen auch dafür einsetzen.

Corona, Krieg und Energiekrise beeinträchtigen nicht die Mobilisierungsbereitschaft?
Wir sehen das nicht. Die acht Prozent sind gut begründet und Konsens in der IG Metall. Der ganz überwiegende Teil der Unternehmen läuft gut, und wir brauchen nach mehreren Jahren ohne prozentuale Erhöhungen deutlich mehr Geld. Übrigens ist die Nachfrage entscheidend auch für die schwächelnde Binnenkonjunktur.

8 Prozent
Lohnforderung der IG Metall

Die Spannweite der Firmenkonjunkturen war noch nie so groß: Es gibt sehr gut verdienende Autohersteller und auf der anderen Seite Firmen, denen die Energiekosten die Existenzgrundlage raubt.
Mit den acht Prozent nehmen wir Rücksicht auf die Unterschiede. Wenn es Unternehmen wirklich nicht gut geht, finden wir Lösungen.

Wer in der Krise zusätzlichen Profit macht, sollte davon etwas abgeben.

Irene Schulz

Welche Rolle spielt die konzertierte Aktion, zu der Olaf Scholz am 15. September die Sozialpartner eingeladen hat, und die Wiedereinführung der Corona–Prämie als Inflationsprämie?
Dialog ist immer wichtig, in diesen Zeiten ganz besonders. Die Erwartung an die Politik haben wir immer wieder formuliert: Gas- und Strompreisdeckel, direkte Hilfen für Beschäftigte, Rentner und Studierende und eine Übergewinnsteuer.

Die gibt es nicht mit der FDP.
In dieser Krise, in der eine enorme Belastung auf die Haushalte zukommt, sollten die Krisengewinner zur gerechten Lastenverteilung beitragen. Auf dem Strommarkt hat das die FDP offenbar akzeptiert. Warum sie sich gegen andere Wirtschaftsbereiche sträubt, ist mir schleierhaft. Wer in der Krise zusätzlichen Profit macht, sollte davon etwas für die Gemeinschaft abgeben. Gerade hier im Osten haben wir die Aufgabe, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken.

Ist der gefährdet?
Wenn Firmen, die Profite machen, Geld aus der Gasumlage kassieren, die von den jetzt schon stark belasteten Verbrauchern gezahlt wird, dann ist das Sprengstoff. Grundsätzlich brauchen wir zusätzliche Einnahmen, damit der Staat bei diesen multiplen Krisen handlungsfähig bleibt. Und die Menschen brauchen die Überzeugung, dass die Lastenverteilung fair ist.

Treten viele Gewerkschaftsmitglieder aus, weil sie den Beitrag nicht mehr zahlen können oder wollen?
Nein. Dass viele Menschen ihre Ausgaben nach Sparmöglichkeiten absuchen, ist doch klar. Gerade in diesen Zeiten haben wir als Gewerkschaften die Aufgabe, uns für die Beschäftigten stark zu machen. Das wird honoriert und aktiv unterstützt. Mehr als 200.000 Beschäftigte haben in kürzester Zeit unsere Entlastungspaket-Kampagne unterstützt.

Selbst die mächtige IG Metall ruft nach der Politik. Wie schwer wird der Winter?
Gerade in diesen Zeiten ist die IG Metall handlungsfähig. Wir werden die aktuellen Preissteigerungen nicht über die Tarifpolitik alleine regeln können. Gleichzeitig lassen wir die Arbeitgeber nicht aus ihrer Verantwortung. Das werden wir in der jetzt beginnenden Tarifauseinandersetzung zeigen. Den Auftakt dazu machen wir am kommenden Sonnabend mit einer großen Kundgebung in Leipzig.

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