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„Verlieren so massiv an Substanz wie nie zuvor“: Unternehmen und Verbände protestierten am „Wirtschaftswarntag“
Über hundert Unternehmen und Verbände haben am Mittwoch in Berlin und dem Rest der Republik Alarm geschlagen: Der Standort wird immer unattraktiver. Ihre Forderung: Die Politik soll endlich liefern.
Stand:
Das Datum dürfte kein Zufall gewesen sein. Für Mittwoch hatte ein breites Bündnis von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden anlässlich der desolaten Lage der Wirtschaft zu Aktionen und Kundgebungen in ganz Deutschland gerufen.
Zeitgleich hatte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in Berlin bei der Vorstellung des Jahreswirtschaftsberichts eine weitere Konjunkturprognose deutlich gekappt. In der Problemanalyse dürften sich beide Gruppen weitestgehend einig sein: zu viel Bürokratie, zu wenig Fachkräfte, zu hohe Energiepreise und zu viel Unsicherheit. Die Verantwortung, etwas zu ändern, sieht die Unternehmerschaft aber vor allem bei der Politik – und schlägt daher Alarm.
Aktionen und Kundgebungen landesweit
„Uns Unternehmern reicht es mit schlechter Wirtschaftspolitik – die Zukunft unseres Landes steht gerade auf dem Spiel“, sagte Marie-Christine Ostermann, die Präsidentin des Verbands „Die Familienunternehmer“, die zu den Redner:innen bei der Hauptkundgebung in Berlin gehörte: „Der Standort Deutschland ist in Gefahr.“

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Um Mahnungen wie diesen, die seit Monaten in Papieren, Zeitungsinterviews und Talkshows wiederholt geäußert wurden, mehr Nachdruck zu verleihen, hatten zahlreiche Wirtschaftsvertreter am Mittwoch zu einem bundesweiten „Wirtschaftswarntag“ ausgerufen. Namhafte Unternehmen waren darunter zwar kaum.
Auch die größten Wirtschaftsverbände wie BDI, BDA, DIHK oder ZDH standen nicht auf der Unterstützerliste. Allerdings forderten die Präsidenten dieser vier Spitzenverbände am Mittwoch in der „Bild“ eine Kehrtwende in der Wirtschaftspolitik. Man habe der Politik zahlreiche Vorschläge unterbreitet, um die unternehmerische Basis in Deutschland zu stärken.
Passiert sei aus ihrer Sicht jedoch zu wenig. Die Folge sei eine große Verunsicherung und ein zunehmender Vertrauensverlust bei den Firmen. Auch der Ausblick für das Jahr 2025 sei trübe: „Es ist Zeit zu handeln“, hieß es in dem Aufruf.
Dieser Wirtschaftswarntag ist der SOS-Ruf der Unternehmer an die Politik und die Wähler.
Marie-Christine Ostermann, Präsidentin des Verbandes der Familienunternehmer
An der bundesweiten Aktion haben sich in Berlin, Hamburg und München, aber auch zahlreichen anderen Unternehmensstandorten, nach Angaben der Organisatoren trotzdem über 200 Firmen und 140 Verbände beteiligt.
Auf der Hauptkundgebung in Berlin demonstrierten nach Angaben des Verbands „Die Familienunternehmer“ mehr als tausend Unternehmerinnen und Unternehmer. „Dieser Wirtschaftswarntag ist der SOS-Ruf der Unternehmer an die Politik und die Wähler“, sagte Verbandspräsidentin Ostermann.
Auch alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages waren eingeladen. Vor Ort waren unter anderem FDP-Chef Christian Lindner sowie Julia Klöckner, die wirtschaftspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
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„Wir stehen an einem wirtschaftlichen Kipppunkt und verlieren so massiv an wirtschaftlicher Substanz wie nie zuvor“, hieß es in dem Aufruf der Organisatoren. Selbsterklärtes Ziel sei es, die Politik aufzurütteln: Der Fokus des Wahlkampfs und der Regierungsbildung solle auf eine Politik gerichtet sein, die Deutschland zu wirtschaftlicher Stärke zurückführe.
Deutsche Wirtschaft dürfte auch 2025 kaum wachsen
Tatsächlich stagniert die deutsche Wirtschaft seit fünf Jahren. Seit zwei Jahren befindet sich Deutschland in einer Rezession. Auch die Prognose für das laufende Jahr hat Robert Habeck am Mittwoch auf 0,3 Prozent gesenkt, nachdem die Bundesregierung im Herbst noch von 1,1 Prozent Wachstum ausging.

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Damals baute man auf die positiven Wachstumseffekte der „Wachstumsinitiative“: Die damalige Ampel-Regierung wollte unter anderem Abschreibebedingungen verbessern, die Strompreise senken oder Anreize für Mehrarbeit sowie längeres Arbeiten schaffen.
Umgesetzt wurden zentrale Maßnahmen allerdings nicht, da die Koalition aus SPD, Grünen und FDP im November zerbrach. Mit der Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus und dessen aggressiver Handelspolitik haben sich mittlerweile auch die außenwirtschaftlichen Risiken weiter erhöht.
Neben den USA verweist der Jahreswirtschaftsbericht zudem auf China. Zum einen ist die Nachfrage des für Deutschland wichtigen Exportlandes ebenfalls zurückgegangen. Zum anderen ist die Volksrepublik in wichtigen Branchen wie dem Fahrzeug- und Maschinenbau und „auch mithilfe staatlicher Subventionen“ zunehmend zu einem Konkurrenten geworden.
Zwar hat sich auch der rasante Anstieg der Verbraucherpreise über die vergangenen Monate spürbar gedämpft. Die rot-grüne Minderheitsregierung rechnet mit einer Inflationsrate von 2,2 Prozent im laufenden Jahr. Allerdings kommen neben den Zollankündigungen Trumps auch andere inflationstreibende Faktoren hinzu: Der CO₂-Preis steigt, das Deutschlandticket ist teurer geworden und auch die Deutsche Post hat beim Porto aufgeschlagen.
Im Zuge dieser Entwicklungen korrigiert die Bundesregierung ihre Prognose auch für das kommende Jahr nach unten: 2026 rechnet sie mit einem Wachstum von 1,1 Prozent – im Herbst ging man noch von einem Plus von 1,6 Prozent aus.
Immerhin: Durch die schlechtere Prognose erhöht sich auch der Verschuldungsspielraum des Bundes. Nach einem Bericht des „Handelsblatt“ unter Berufung auf Regierungskreise darf der Bund wegen der Konjunkturkomponente der Schuldenbremse über zwei Milliarden Euro mehr Schulden machen.
Unternehmensvertreter wollen Abbau von Bürokratie
Während die Bundesregierung mit Blick auf die Zukunft „Licht am Ende des Tunnels“ sieht, ist ein Aufwärtstrend in der Unternehmerschaft für viele bisher weiter nicht erkennbar. Stattdessen sind die Insolvenzen auf Rekordkurs. Vor allem in der Auto- und Zulieferindustrie werden Tausende Stellen abgebaut. Trotz Fachkräftemangel dürfte die Arbeitslosigkeit dieses Jahr um 120.000 Menschen zunehmen.
Die Unterstützer des „Wirtschaftwarntags“ haben daher einen Zehn-Punkte-Plan aufgestellt, mit dem Deutschland aus ihrer Sicht wieder wettbewerbsfähiger werden kann. Zu den Forderungen gehören ein umfassender Bürokratieabbau, Steuererleichterungen und eine Deckelung von Sozialabgaben sowie Energiepreisen. Auch für eine Infrastrukturoffensive machen sich die Verbände stark.
Die Forderungen decken sich mit anderen Befragungen. Auch in einer am Montag veröffentlichten repräsentativen Umfrage des Ifo Instituts sprachen sich die meisten der über 900 befragten Unternehmensvertreter für den Abbau von Bürokratie sowie eine Senkung von Energiepreisen und Steuern aus.
Ob diese Botschaft durch die Tausenden Demonstrierenden in Berlin und anderen Orten der Republik in Regierung und Opposition angekommen ist?
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