zum Hauptinhalt
Auch am Bau werden bis heute überproportional häufig Menschen in ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen beschäftigt.

© Jan Woitas/dpa

Vor allem in Gastronomie, Reinigung und Bau: Bundesregierung beschließt Strategie gegen Ausbeutung und Zwangsarbeit

Arbeitsausbeutung ist auch in Deutschland alltägliche Praxis. Nur in den seltensten Fällen kommt es zur Strafverfolgung. Nun hat die Bundesregierung reagiert und baut Hürden ab.

Stand:

Ob Näherinnen in Textilfabriken, Schürfer in Diamantminen oder Kinder auf Plantagen: In Deutschland denken viele bei Ausbeutung zuerst an Arbeitsverhältnisse im Ausland. Obwohl der Großteil an Menschenrechtsverletzungen dort stattfindet, werden auch Menschen in Deutschland bis heute ausgebeutet, Tag für Tag und in weit größerem Umfang als aus der Kriminalstatistik hervorgeht.

Dabei kann Ausbeutung mit hohen Geld- oder sogar Freiheitsstrafen von bis zu zehn Jahren geahndet werden. Laut Paragraf 233 Strafgesetzbuch macht sich strafbar, „wer eine andere Person unter Ausnutzung ihrer persönlichen oder wirtschaftlichen Zwangslage oder ihrer Hilflosigkeit (…) ausbeutet“. Zum Beispiel, indem schlechtere Löhne als für vergleichbare Tätigkeiten gezahlt, Menschen zeitlich unter Druck gesetzt oder Sicherheitsvorschriften ignoriert werden.

100.000
Fälle von Ausbeutung gibt es aus Sicht eines Experten in Deutschland jedes Jahr mindestens.

Fachleute fordern mehr Kontrollen

Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) hat schon vor über zehn Jahren über das Völkerrecht verpflichtende Maßnahmen gegen Ausbeutung erlassen. Nach Ratifizierung 2019 hat Deutschland nun erstmals eine nationale Strategie zur Prävention und Bekämpfung von Arbeitsausbeutung und Zwangsarbeit vorgelegt.

Unter Federführung des Arbeits- und Sozialministeriums von Hubertus Heil (SPD) hat das rot-grüne Kabinett am Mittwoch einen nationalen Aktionsplan beschlossen. Dieser muss nicht erst durch Bundestag oder Bundesrat, sondern wird ab sofort umgesetzt. Er enthält über 83 (teilweise bereits laufende) Maßnahmen. Darunter zum Beispiel eine Ausweitung von Beratungs- und Informationsangeboten für Arbeitskräfte, aber auch solche für eine bessere und grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Behörden.

Die Ausweitung und Verbesserung staatlicher Kontrollen sind ebenfalls in der Strategie als ein zentrales Handlungsfeld definiert. Diese fordern Fachleute schon seit Jahren.

Dunkelziffer liegt bei über 100.000 Fällen pro Jahr

Zwar konnte man mit der beim Zoll ansässigen Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) zuletzt mehr Ermittlungserfolge feiern als in der Vergangenheit. Dem Bundeskriminalamt zufolge wurden 2023 trotzdem gerade einmal 20 Ermittlungsverfahren wegen Ausbeutung abgeschlossen. Im selben Jahr ist in der offiziellen Statistik von 183 polizeilich erfassten Opfern die Rede. Die Dunkelziffer ist allerdings um ein Vielfaches größer. Der Arbeitsforscher René Böhme von der Universität Bremen geht nach einer Auswertung von Studien sowie Interviews mit Betroffenen und Fachleuten in Beratungsstellen von 100.000 bis 200.000 Fällen pro Jahr aus.

Künftig sollen die Kontroll- und Ermittlungsbehörden stärker vernetzt und geschult werden. Auch soll die FKS stärker mit den Länderarbeitsschutzbehörden zusammenarbeiten. Erproben will man das zunächst in einem Modellprojekt in Hessen.

In Deutschland findet der Großteil der Arbeitsausbeutung und Zwangsarbeit im Gaststätten- sowie Hotelgewerbe, bei Logistikfirmen und in der Gebäudereinigung statt. Auch im Bau werden überproportional häufig Menschen ausgebeutet.

Die Gründe, warum nur so wenig Fälle strafrechtlich verfolgt werden, sind vielfältig. Zum einen verfügen Betroffene häufig nicht über die nötigen Sprachkenntnisse. Zum anderen fehlt es an Wissen und Zeit, um Beratungsangebote wahrzunehmen und sich zu wehren. Denn nicht wenige Arbeitskräfte werden mit falschen Versprechen aus dem Ausland gelockt und sind in Deutschland in ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen stark von ihren „Arbeitgebern“ abhängig, etwa weil diese auch Wohnraum zur Verfügung stellen oder ihre Reise vorfinanziert haben.

Einer der prominentesten Fälle von Arbeitsausbeutung der letzten Jahre war der Fleischskandal um Tönnies 2020. Der nordrhein-westfälische Branchenführer ist 2020 massiv in die Kritik geraten, weil er Arbeiter zu großen Teilen mit Werkverträgen bei Subunternehmen beschäftigte. Viele Arbeitsschutzstandards wurden verletzt: Menschen arbeiteten länger als erlaubt, Ruhezeiten wurden verletzt und der gesetzlich vorgeschriebene Mindestlohn unterschritten.

In der Folge wurde das Arbeitsschutzkontrollgesetz verschärft. Fachleuten zufolge haben sich Verhältnisse in der Branche dadurch zumindest in Teilen verbessert.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })