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Ausgefallen: Vor allem Lufthansa-Kunden sind betroffen.

© dpa/Peter Kneffel

Wegen Flugchaos im Sommer: Niedersachsen will Vorkasse streichen

Kunden sollen erst beim Check-in zahlen, fordert das Land und hat dazu im Bundesrat eine Gesetzesinitiative gestartet. Die Branche lehnt das ab.

Stand:

Viele Fluggäste werden diesen Sommer in schlechter Erinnerung behalten. Weil Personal fehlte, wurden Tausende Flüge abgesagt. Einsamer Spitzenreiter war nach neuen Zahlen des Internetportals Flightright die Lufthansa.

So strich die Airline vom Anfang der Sommerferien im ersten Bundesland Nordrhein-Westfalen bis zum Ende der Ferien im letzten Bundesland Bayern insgesamt 2.853 Flüge aus Europa - etwa doppelt so viele wie bei Easyjet und dreieinhalb Mal so viele Flüge wie bei Ryanair. Die Lufthansa hat nach Flightright-Recherchen in diesem Sommer mehr als dreimal so viele Flüge annulliert wie in einem normalen Flugsommer.

Lufthansa-Gruppe mit Negativrekord

Doch damit nicht genug: Auch andere Airlines der Lufthansa-Gruppe hatten zu kämpfen. Unter den zehn größten Fluggesellschaften liegt bei den prozentual gestrichenen Flügen mit Eurowings ein weiteres Mitglied der Lufthansa-Group auf Platz zwei. Insgesamt, so Flightright, haben die Airlines der Lufthansa-Group (Lufthansa, Eurowings und Lufthansa CityLine) in den deutschen Sommerferien 4780 Flüge (3,98 Prozent) gestrichen und damit mehr als alle anderen der zehn größten Airlines zusammen, zu denen etwa Ryanair, Easyjet, Air France und British Airways zählen. Hier waren es in Summe 4695 gestrichene Flüge, das sind 0,74 Prozent.

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Streitfall Vorkasse

Das Flugchaos könnte ein politisches Nachspiel haben. Das Land Niedersachsen hat am Freitag im Bundesrat einen Antrag eingebracht, die Vorkasse zu streichen. Bisher zahlen Flugpassagiere das Geld für ihren Flug in voller Höhe im voraus. Fällt der Flug später aus, müssen sie sich darum kümmern, dass sie das Geld fürs Ticket zurückbekommen. Hat die Airline den Ausfall verschuldet und den Flug kurzfristig abgesagt, stehen den Kunden darüber hinaus noch Entschädigungsansprüche von 250 bis 600 Euro zu. Eigentlich müssten die Airlines innerhalb von sieben Tagen zahlen, doch das klappt nicht immer.

Parken statt fliegen: Allein die Lufthansa hat in den Sommerferien fast 3000 Flüge abgesagt.

© Daniel Bockwoldt/dpa

Erst beim Check-in zahlen?

Niedersachsen will den Spieß nun herumdrehen. Passagiere sollten künftig den Ticketpreis erst beim Check-in und nicht schon Monate vor dem Abflug entrichten müssen, wie die SPD/CDU-Landesregierung in ihrem Antrag zur Bundesratssitzung an diesem Freitag ausführt.

„Allein in diesem Sommer sind bislang mehrere tausend Flüge gestrichen worden“, sagte Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU). „Grund dafür sind Personalengpässe, die die Luftfahrtbranche selbst zu verantworten hat.“ Zu Beginn der Corona-Pandemie hätten Airlines gar versucht, Kunden mit Gutscheinen anstatt Rückzahlungen abzuspeisen. Und bei Insolvenzen wie etwa der Pleite von Air Berlin würden Reisende in der Regel leer ausgehen. „Mit unserer Bundesratsinitiative setzen wir uns dafür ein, dass Vorkasse für Flugtickets schon bald der Vergangenheit angehört. Damit wollen wir den Verbraucherschutz für die Reisenden deutlich verbessern“, sagte Althusmann.

Wir wollen den Verbraucherschutz für Reisende verbessern.

Bernd Althusmann, Wirtschaftsminister

Was Niedersachsen beantragt

Konkret beantragt die Landesregierung, die kurz vor Landtagswahlen steht, eine Änderung des Werkvertragsrechts im Bürgerlichen Gesetzbuch, mit dem Ziel, dass der Ticketpreis frühestens bei Abfertigung des Fluges vom Fluggast verlangt werden darf. Zudem soll sich die Bundesregierung auch auf europäischer Ebene dafür einzusetzen, dass diese Regelungen Eingang in die Fluggastrechte-Verordnung findet.

Bundesverbraucherschutzministerin Steffi Lemke sieht die Vorkasse ebenfalls kritisch.

© dpa/Soeren Stache

Das Verbraucherschutzministerium sieht die Vorkasse kritisch

Bei Bundesverbraucherministerin Steffi Lemke (Grüne) stößt der Vorstoß auf Sympathie. „Wir begrüßen die Initiative Niedersachsens“, sagte ein Sprecher des Ministeriums dem Tagesspiegel. Vor einigen Wochen hat sich Staatssekretärin Christiane Rohleder mit Vertretern verschiedener Fluggesellschaften getroffen und mit ihnen über die Umsetzung der Fluggastrechte angesichts der vielen Flugausfälle gesprochen.

„In den Gesprächen haben wir gegenüber den Fluggesellschaften deutlich gemacht, dass, wenn dies keine gute Entwicklung nimmt, wir noch einmal die Vorkassepraxis überprüfen werden“, betonte der Sprecher. „Das heißt, wir werden komplett diese Vorkasse auf den Prüfstand stellen, ob das in Zukunft noch so geregelt werden kann.“ Es handele sich ja quasi um einen zinslosen Kredit der Kunden an die Fluggesellschaften. „Das gilt es nun umfassend zu überprüfen.“

Verbraucherschützer fordern die Abschaffung

Verbraucherschützer fordern schon seit langem, die Vorkasse abzuschaffen. „In diesem Sommer ist das System der Vorkasse angesichts des Flugchaos an sein Ende gekommen“, sagte Ramona Pop, Chefin des Bundesverbands der Verbraucherzentralen dem Tagesspiegel. „Fluggesellschaften haben Geld bei den Kundinnen und Kunden eingesammelt und offensichtlich erst danach entschieden, welcher Flug tatsächlich stattfindet. Das ist ein riesiges Ärgernis.“ Pop verlangt daher, die komplette Vorkasse bei Flügen abzuschaffen. „Verbraucher sollen den Airlines nicht länger faktisch zinslose Kredite geben müssen“, sagte die oberste deutsche Verbraucherschützerin.

Luftfahrtbranche warnt vor Wettbewerbsnachteilen

Die Luftfahrtbranche sieht das anders. Die Rückzahlung klappe in der Regel reibungslos, meint der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL), Matthias von Randow. Von Randow warnt davor, das Vorkasse-Prinzip abzuschaffen. „Wenn das nur in Deutschland passieren würde, hätten unsere Fluggesellschaften enorme Wettbewerbsnachteile“, sagte er kürzlich im Tagesspiegel-Interview. Zudem würden Flüge teurer, weil die Airline einkalkulieren müsse, dass der gebuchte Sitzplatz unter Umständen frei bleibt und nicht mehr verkauft werden kann. 

Eine schnelle Lösung ist im Streit jedoch nicht in Sicht. Niedersachsens Antrag wird nun erst einmal in den Ausschüssen behandelt. Zudem ist die Bundesregierung in der Frage gespalten. Man werde den Vorschlag aus Niedersachsen „selbstverständlich gründlich prüfen, sobald er uns vorliegt“, sagte ein Sprecher von Bundesverkehrsminister Volker Wissing dem „Handelsblatt“. Allerdings sei eine EU-weite Regelung zu bevorzugen, da „nationale Regelungen zu Umgehungen führen können und insofern die Gefahr negativer wettbewerblicher und wirtschaftlicher Auswirkungen bergen“.

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