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Die Zentrale von Lehman Brothers.

© Peter Foley/EPA_FILE/dpa

Zehn Jahre nach dem Banken-Crash: Wie die Lehman-Pleite die Welt verändert hat

Die Pleite von Lehman Brothers vor gut zehn Jahren hat Banken und Staaten wanken lassen. Die Politik hat daraus gelernt. Doch mittlerweile gibt es neue Risiken.

Krisen vorherzusagen sei heute nicht einfacher als vor zehn Jahren, sagt Bundesbank-Präsident Jens Weidmann. Allenthalben ist in der Finanzbranche Skepsis zu spüren. Raimund Röseler, bei der Finanzaufsicht Bafin für Banken zuständig, bereitet eine Task Force vor, um Banken zu betreuen, die in Schieflage geraten sind. Sollte die Konjunktur schwächeln, sollten die Zinsen steigen, könnte es Probleme bei der Rückzahlung von Krediten geben oder Kredite könnten ganz ausfallen.

Zehn Jahre nach dem 15. September 2008, dem Tag, als die US-Notenbank der Investmentbank Lehman Brothers den Geldhahn zudrehte, ist die Vorsicht nachvollziehbar. Es war ein Schritt, der bis dahin als nahezu unvorstellbar galt. Selbst der damalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück bekannte, dass er die Entscheidung nicht verstanden habe. Ein in das internationale Bankensystem eng verstricktes Institut fallen zu lassen – das galt als unwahrscheinlich.

Ein paar Tage später drohte die Pleite des Versicherungskonzerns AIG. „Wenn die USA das zulassen, dann kollabiert das Weltfinanzsystem“, sagte Steinbrück damals. Nur durch eine beispiellose internationale Zusammenarbeit von Politik und Notenbanken konnte die Krise eingedämmt werden. „Zum Glück haben die Zentralbanken richtig reagiert und großzügig Liquidität bereitgestellt“, sagt Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. „Die Volkswirtschaften haben in den Abgrund geschaut, waren aber nicht wie 1929 hineingefallen.“

Schon ein Jahr vor Lehman ist die IKB in die Krise geraten

Dabei hatte sich das Desaster vor dem Zusammenbruch von Lehman, dem Höhepunkt der Krise, abgezeichnet. Ein Jahr zuvor war in Deutschland die Mittelstandsbank IKB in die Pleite gerutscht, mehrere Landesbanken waren in Schieflage geraten. Sie hatten in sogenannte Subprime-Papiere investiert. Die versprachen hohe Renditen, waren meist hoch riskant und stellten sich als wertlos heraus. Dahinter verbargen sich Hauskredite, vergeben von US-Banken an Bürger, die sich ein Eigenheim gar nicht leisten konnten. Banken haben diese Subprime-Kredite in Wertpapiere gebündelt und verkauft. Als die Zinsen stiegen und die Hauspreise fielen, wurde klar, dass die Hauskäufer die Kredite nicht würden zurückzahlen können. Die Subprime-Papiere verloren drastisch an Wert und sorgten für gewaltige Verluste.

Das Vertrauen der Banken untereinander weltweit sank dramatisch. Auch das Vertrauen in die Banken. Ein ganzes Bündel von Faktoren habe zur größten Finanzkrise seit den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts geführt, sagt Bundesbank-Präsident Weidmann. Übertreibungen, Regulierungslücken, Fehlanreize im Finanzsystem, völlig falsche Einschätzung von Risiken und der US-Immobilienmarkt, an dem heftig gezockt wurde. Auch haben US- und europäische Banken ihre Kunden über den Tisch gezogen. Es hagelte Strafen in zweistelliger Milliardenhöhe, unter anderem für die Deutsche Bank.

Merkel und Steinbrück müssten die Sparer beruhigen

Vor zehn Jahren war die Lage auch hierzulande so dramatisch, dass sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der damalige Finanzminister Steinbrück (SPD) genötigt sahen, Sparer und Bankkunden zu beruhigen. Es drohte ein „Bank-Run“ und damit bei den Banken der massenhafte Abzug von Geldern. Damit hätte die Krise noch dramatischere Ausmaße angenommen. „Ihre Einlagen sind sicher“, betonten beide am 5. Oktober 2008, einem denkwürdigen Sonntag. 500- und 200-Euro-Banknoten waren ausgegangen, manche Geldautomaten funktionierten nicht mehr.

Die Bundesregierung schnürte ein 500 Milliarden Euro schweres Banken-Rettungspaket. Die Commerzbank wurde gleich teilverstaatlicht, die Münchner HypoRealEstate als erste Bank seit 1949 sogar komplett verstaatlicht. Was dies alles den Steuerzahler am Ende gekostet hat, ist noch offen. 80 Milliarden Euro könnten es sein, schätzt der Bonner Finanzprofessor Martin Hellwig.

Die deutschen Banken hinken heute hinterher

Klar ist: Die Finanzkrise hat den deutschen Bankensektor durcheinandergewirbelt. Die globale Bedeutung der Deutschen Bank ist dramatisch gesunken. Die der Commerzbank sowieso. Beide hinken heute weit hinter US-Instituten hinterher. Die Dresdner Bank ist Geschichte, die Postbank wurde von der Deutschen Bank geschluckt, mehrere Landesbanken verschwanden.

Ist die Finanzwelt zehn Jahre danach sicherer? Müssen Anleger, denen Banken vor 2008 Zertifikate von Lehman als rentabel und als sicher verkauft haben, wieder bluten, wenn sie möglicherweise zu riskante Wertpapiere kaufen? „Sicherer, aber nicht sicher“ sei die Finanzwelt, sagt Experte Hellwig. Einiges habe sich verbessert, heißt es auch beim Verbraucherportal Finanztest. Die Regulierung wurde massiv verschärft, die Banken müssen deutlich mehr Eigenkapital zur Absicherung ihrer Risiken vorhalten. Für mit Risiken verbundene Aktiva, also etwa Kredite, müssen sie bis zu 13 Prozent Kapital vorhalten, gemessen an ihrem Bilanzvolumen drei Prozent. Für viele Experten ist das immer noch zu wenig.

Bei der Bankenaufsicht hat man aus der Krise gelernt

In Europa wacht mittlerweile die bei der Europäischen Zentralbank (EZB) angesiedelte europäische Bankenaufsicht SSM gemeinsam mit den nationalen Aufsehern über die Institute - und das durchaus streng. „Wir können viel stärker und auch präventiver eingreifen“, sagt Sabine Lautenschläger, stellvertretende SSM-Chefin. Mittlerweile gibt es Abwicklungsregeln für angeschlagene Banken. Das soll verhindern, dass Institute wieder vom Steuerzahler gerettet werden müssen. Hierzulande wacht der Ausschuss für Finanzstabilität mit Experten aus dem Bundesfinanzministerium, der Bundesbank und der Finanzaufsicht Bafin über die Lage.

Auch Bankkunden, Sparer und Anleger dürfen sich heute sicherer fühlen. Europaweit sind Einlagen pro Kunde und Bank bis zu 100 000 Euro abgesichert, in Deutschland geht die zusätzliche freiwillige Absicherung deutlich darüber hinaus. Über Finanzprodukte und die jeweiligen Risiken muss genau informiert werden – mit Produktinformationsblättern. Die Beratung, auch am Telefon, muss protokolliert werden. Etlichen Banken ist der Aufwand dafür viel zu groß, sie bieten nur noch eine generelle Vermögensverwaltung. Auch Anleger halten den Aufwand heute für zu hoch. Zumal Berater vor allem Fonds aus dem eigenen Haus anpreisen. „Der Berater ist immer noch Verkäufer“, sagt Christian Ahlers vom Bundesverband Verbraucherzentralen.

Die Verschuldung steigt wieder

Aber Risiken bleiben. Es sind die hohen Schulden. Die öffentlichen Außenstände seien heute in vielen Ländern höher als vor der Lehman-Pleite, warnt Commerzbank-Ökonom Krämer. Beispiel Italien: Das Land hat die höchsten Schulden seiner Geschichte angehäuft. Auch in den Bankbilanzen schlummern gewaltige Risiken in Form von Krediten, bei denen die Gefahr besteht, dass sie nicht zurückgezahlt werden können. In Europa lag deren Volumen Ende 2017 bei rund 860 Milliarden Euro, rund ein Viertel entfällt auf italienische Banken. Auch die privaten Schulden sind in Europa kaum gefallen. In den USA ist nicht nur die öffentliche Verschuldung gigantisch. Auf 13 Billionen Dollar summierten sich Ende 2017 die Schulden der US-Privathaushalte. Dabei spielen Autokredite eine immer größere Rolle.

Neue Probleme dürften angesichts der weltweiten Vernetzung der Finanzsysteme wieder auf alle Länder ausstrahlen. Nicht umsonst wachsen derzeit die Sorgen wegen der Lage in der Türkei, aber auch der Situation in Argentinien. Weltweit spielen die Länder ökonomisch keine wichtige Rolle, aber die Nervosität an den Finanzmärkten ist unverkennbar. Schwierig würde es, wenn die Zinsen deutlich und vor allem schnell steigen würden. Ein abrupter Anstieg könnte für einen Einbruch der Preise für Wertpapiere und Immobilien sorgen, was wiederum die Fähigkeit zur Bedienung von Krediten beschneiden und damit die Banken treffen würde. Aktuell ist davon in Europa und in den USA allerdings (noch) nichts zu sehen. Die EZB wird die Zinsen frühestens Mitte 2019 erhöhen und das nur langsam. Die US-Notenbank Fed zieht zwar seit Monaten die Zinszügel an – aber mit Bedacht.

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