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Wildwest auf dem Energiemarkt soll ein Ende haben: So will die Regierung Strom- und Gaskunden schützen
Lieferstopps sollen angekündigt werden müssen, Grundversorger sollen Neukunden nicht schlechter stellen dürfen. Verbraucherschützer klagen gegen Stromio.
Stand:
Bundesregierung, Verbraucherschützer und Aufsichtsbehörden wollen die Wildwest-Methoden auf dem Strom- und Gasmarkt beenden. Während die Verbraucherschützer mit Klagen gegen unfaire Praktiken der Versorger vorgehen, will das Bundeswirtschaftsministerium per Gesetz verhindern, dass Unternehmen ihre Kunden von heute auf morgen im Regen stehen lassen.
„Versorgungseinstellungen müssen künftig angemeldet werden“, sagte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Oliver Krischer (Grüne), am Donnerstag auf einer Digitalveranstaltung des Bundesverbands der Verbraucherzentralen (VZBV). Nach der geplanten Reform des Energiewirtschaftsgesetzes sollen Unternehmen, die trotz bestehender Verträge Verbraucher nicht mehr mit Strom oder Gas versorgen wollen, gezwungen werden, das mindestens drei Monate vorher der Bundesnetzagentur gegenüber anzukündigen. Das soll den Betroffenen ermöglichen, sich rechtzeitig nach einem neuen Anbieter umzusehen.
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Angesichts steigender Kosten für Strom und Gas hatten zahlreiche Energiediscounter wie Stromio oder die Rheinische Elektrizitäts- und Gasversorgungs GmbH („Immergrün“) entweder die Abschlagszahlungen ihrer Kunden um über 500 Prozent erhöht oder die Belieferung eingestellt. Im letzteren Fall rutschen die Kunden automatisch in die Ersatzversorgung des örtlichen Grundversorgers, das sind meist die Stadtwerke. In Berlin sind es beim Strom Vattenfall, beim Gas die Gasag. Damit ist sicher gestellt, dass niemand ohne Strom oder Gas dasteht.

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Neukunden zahlen fast das Doppelte
Das Problem: Viele Grundversorger haben von ihren Neukunden happige Preise verlangt, die deutlich über dem lagen, was Bestandskunden in der Grundversorgung zahlen. Laut einer Untersuchung des VZBV haben Strom- und Gasgrundversorger in 14 der bevölkerungsreichsten Städte Deutschlands ihre Preise für Neukundinnen und Neukunden stark angehoben. Beim Strom führt der Neukundentarif bei einem Verbrauch von 3500 Kilowattstunden (kWh) im Jahr zu jährlichen Mehrkosten von bis zu 1654 Euro gegenüber Bestandskunden. Beim Gas - hier ist auch Berlin betroffen - ergeben sich bei einem jährlichen Gasverbrauch in Höhe von 20.000 kWh jährliche Mehrkosten von bis zu 3782 Euro.
Krischer kündigte an, gegen solche gesplitteten Tarife in der Grundversorgung vorgehen zu wollen. Unterschiedliche Tarife für Bestands- und Neukunden sollen im „Osterpaket“, das zahlreiche weitere Regelungen auf dem Energiemarkt enthält, verboten werden. Allerdings will die Regierung auch Rücksicht auf die Grundversorger nehmen, die plötzlich Energie für zahlreiche Neukunden auf dem Markt beschaffen müssen. Der Preis für die Ersatzversorgung soll danach für eine bestimmte Zeit höher sein dürfen als der Grundversorgungstarif, betonte der Grünen-Politiker.
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Ersatz- oder Grundversorgung: Was ist der Unterschied?
Die Ersatzversorgung tritt ein, wenn ein Liefervertrag endet, ein Lieferantenwechsel nicht klappt oder der Versorger Insolvenz anmeldet. Verbraucher können die Ersatzversorgung jederzeit kündigen und sich einen neuen Versorger suchen. Schließen Verbraucher innerhalb von drei Monaten aber keinen neuen Vertrag, bekommen sie automatisch den Grundversorgungstarif.
Verbraucherzentrale verliert vor Gericht
Im Streit um teure Grundversorgungstarife für Neukunden hat die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen am Donnerstag jedoch einen juristischen Dämpfer hinnehmen müssen. Das Landgericht Köln wies einen Antrag der Verbraucherschützer auf Erlass einer Einstweiligen Verfügung gegen den Kölner Versorger Rheinenergie als unbegründet zurück. Auch verschiedene Landeskartellbehörden hatten zuvor die Preisspreizung für rechtens erklärt. Wolfgang Schuldzinski, Vorstand der Verbraucherzentrale NRW, kündigte jedoch bereits an, den Fall weiter verfolgen zu wollen. Man wolle Beschwerde zum Oberlandesgericht Köln einlegen. Die Grundversorger müssten die Gründe für ihre „Mondpreise“ offenlegen, fordert Schuldzinski. So müssten die Versorger offenlegen, wie viele Kunden sie tatsächlich neu aufnehmen und versorgen mussten und wie teuer das für sie sei.

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Musterklage gegen Stromio
Mit einer Musterfeststellungsklage will parallel dazu die Verbraucherzentrale Hessen Stromio-Kunden unter die Arme greifen. In dem Verfahren soll geklärt werden, dass der einseitige Lieferstopp rechtswidrig war und dass Stromio den Kunden entstandene Schäden ersetzen muss, teilte die Verbraucherzentrale am Freitag mit. An dem Musterverfahren können sich alle Betroffenen beteiligen – nicht nur Hessen –, so bald das Bundesamt für Justiz das Klageregister eröffnet hat. Informationen finden dazu finden Sie hier.
Mehr Rechte für die Bundesnetzagentur
In ihrem geplanten Gesetzespaket will das Bundeswirtschaftsministerium auch die Aufsichtsbehörde stärken. Bisher seien deren Instrumente „bescheiden“, räumt Krischer ein. Dennoch hat sich die Bundesnetzagentur kürzlich zu Wort gemeldet und der Rheinischen Elektrizitäts- und Gasversorgungsgesellschaft die Erhöhung von Abschlagszahlungen untersagt. Die Erhöhungen, über die sich im Herbst Verbraucherinnen und Verbraucher bei der Behörde beschwert hatten, seien nicht mit dem Energierecht zu vereinbaren. Bei weiteren Verstößen droht „Immergrün“ nun ein Zwangsgeld von 100.000 Euro.
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