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Studie zu Lieferketten von Zitrusfrüchten: Zitronenernte ohne Zugang zu sauberem Trinkwasser

Das Lieferkettengesetz soll noch in dieser Woche beschlossen werden. Eine Studie will am Beispiel von Zitrusfrüchten zeigen, warum das nötig ist.

Nach einer Ehrenrunde durch die Fachausschüsse soll das Lieferkettengesetz noch in dieser Woche beschlossen werden. Das sagte Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) am Mittwoch in Berlin. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hatte dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zuvor in leicht geänderter Fassung zugestimmt.

Das Gesetz sei in den Fraktionen „intensiv beraten“ worden, es habe sich um eine „Herkulesarbeit“ gehandelt, sagte Müller, der das Gesetz maßgeblich vorangetrieben hatte. Am Freitagmorgen soll der Bundestag nun über das Gesetz abstimmen.

Eine Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung, die dem Tagesspiegel vorab vorliegt, zeigt am Beispiel der Lieferketten von Zitrusfrüchten auf, weshalb eine solche Regulierung aus Sicht vieler Aktivisten notwendig ist. „Fehlender Zugang zu Trinkwasser, akute Pestizidvergiftungen, Schikane von Gewerkschaftsvertreter*innen – das sind nur einige Beispiele für massive Arbeitsrechtsverletzungen auf Zitrusfarmen in Südafrika“, heißt es in der Analyse, die am Donnerstag vorgestellt werden soll.

In der Studie wurden die Lebens- und Arbeitsbedingungen bei Produzenten in der Provinz Ostkap in Südafrika untersucht, die auch Einzelhandelsgruppen wie Edeka, Rewe und Lidl beliefern.

Kein Zugang zu sauberem Trinkwasser

Welche Menschenrechtsverletzungen wurden dabei festgestellt? „Auf einer Farm erhalten die Beschäftigten keine eigene Kopie des Arbeitsvertrags“, zählt Simphiwe Dada, Direktor der südafrikanischen Nichtregierungsorganisation Khanyisa auf. „Auf einer anderen Farm verhindert ein elektrisch geladenes Tor, dass die Beschäftigten die Farm jederzeit verlassen können.“

Besonders bedenklich sei aber der fehlende Zugang zu sauberem Trinkwasser – und zwar auf allen fünf untersuchten Farmen. Bei der Anwendung von Pestiziden werden laut der Studie zudem auf vier der fünf Farmen die notwendigen Sicherheitsstandards nicht eingehalten. Auf einer Farm wurden mehrere Fälle sogar akuter Vergiftung dokumentiert.

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Aus Sicht von Jan Urhahn, Agrarexperte der Rosa-Luxemburg-Stiftung, sind die Beobachtungen keine Einzelfälle. „Die schlimme Situation auf Zitrusfarmen in Südafrika steht beispielhaft für die Zustände in vielen Lieferketten, deren Produkte deutsche Supermärkte erreichen“, kommentiert er die Ergebnisse.

Das Lieferkettengesetz muss sich beweisen

Die Verfehlungen berührten „die Sorgfaltspflicht von deutschen Supermarktkonzernen“, schlägt er den Bogen zum Lieferkettengesetz. „Wir sehen den südafrikanischen Zitrussektor als einen Lackmustest für das deutsche Lieferkettengesetz“, so Urhahn. „Hier wird sich zeigen, ob Lidl, Rewe und andere Konzerne verpflichtet werden, für ihre Lieferketten Verantwortung zu übernehmen und grundlegende Arbeitsrechte durchzusetzen.“ Andernfalls sei das Lieferkettengesetz „ein zahnloser Tiger“.

Auch die Handelsbeziehungen der deutschen Abnehmer mit den Produzenten kritisieren die Autoren der Studie. Statt ihren Einfluss dafür zu nutzen, soziale Standards zu erhöhen, üben die Supermärkte demnach Druck auf die Akteure vor Ort aus, indem sie nur kurzfristige Lieferverträge aufsetzen und festgesetzte Preisen nachverhandeln.

Im Fokus der Kritiker. Zitrusplantagen auf der ganzen Welt. Hier soll es oft zu Menschenrechtsverletzungen kommen.
Im Fokus der Kritiker. Zitrusplantagen auf der ganzen Welt. Hier soll es oft zu Menschenrechtsverletzungen kommen.

© imago/imagebroker

Tatsächlich lässt die Untersuchung das Argument, Unternehmen könnten nicht jedes Glied ihrer Lieferkette überblicken, für die deutschen Supermarkt-Konzerne nicht gelten. Hier ist von einer „Regulierungsmacht“, die Rede, die Rewe und Co. hätten. Die Importeure könnten oftmals digital überprüfen, wo sich die Ware derzeit befindet und ob sie korrekt gekühlt wird. Wenn die Qualität auf jeder Stufe der Lieferkette kontrolliert werden kann, muss das auch für die Arbeitsbedingungen auf jeder Stufe möglich sein, so die Schlussfolgerung der Studie.

Was steht im Gesetzesentwurf?

Dem Entwurf des Lieferkettengesetzes zufolge müssen große Firmen in Deutschland künftig bei Menschenrechtsverletzungen durch ihre ausländischen Zulieferer mit hohen Bußgeldern rechnen. Wer Ausbeutung von Menschen in Afrika oder Asien billigend in Kauf nimmt, kann außerdem bis zu drei Jahre von öffentlichen Ausschreibungen ausgeschlossen werden.

In Kraft treten soll das Gesetz in zwei Schritten: Von 2023 an sind die etwa 600 großen Firmen mit mehr als 3000 Beschäftigten davon betroffen, ab 2024 für insgesamt knapp 3000 Unternehmen mit mehr als 1000 Beschäftigten. Das Gesetz verpflichtet Firmen beispielsweise, Menschenrechtsverletzungen über Risikoanalysen aufzuspüren und dagegen vorzugehen. Auch Möglichkeiten zur Beschwerde soll es geben.

Über den Entwurf war in der Regierung sowie in den Koalitionsfraktionen lange und heftig gerungen worden. Müller und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) wollten ursprünglich Betriebe ab 500 Beschäftigten verpflichten, was Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) aber verhinderte. Auch eine zivilrechtliche Haftung wehrte die CDU vehement ab. Dafür wurde zuletzt der Geltungsbereich des Gesetzes auf ausländische Unternehmen mit Zweigniederlassung oder Tochterunternehmen in Deutschland ausgeweitet.

Wirtschaft hält das Gesetz für kontraproduktiv

In der Wirtschaft ist das neue Gesetz nicht beliebt. Der Präsident des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), Karl Haeusgen hält es für „leider schlecht gemacht“. Er betonte: „Wir kämpfen nicht gegen ein Lieferkettengesetz, wir kämpfen für ein besseres Gesetz.“

Aus seiner Sicht könnte die Regelung, auf die sich die große Koalition nun geeinigt hat, in den jeweiligen Ländern mehr Schaden anrichten als Nutzen. Die drohenden Bußgelder führten dazu, dass sich Unternehmen aus den jeweiligen Ländern zurückzögen, so Haeusgen. „Wie viel ist dann gewonnen für die Arbeiter vor Ort?“

Die strengeren Regeln kommen für die Industrie vielerorts ohnehin zur Unzeit. Denn die Lieferketten laufen derzeit stockend. Die stark anziehende Nachfrage und die gedrosselten Kapazitäten vieler Zulieferer führten derzeit zu Engpässen – von Zement bis zum Holz für die Verpackung der Anlagen. „Die erstaunlichsten Dinge gehen aus“, sagte der VDMA-Chef. Die Engpässe dürften sich bis ins vierte Quartal ziehen. (mit epd)

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