
© Tobias Felber / dpa
20.000 Neuerkrankungen pro Jahr: Neuer Atlas: Krebsforschende warnen vor Alkohol als Risikofaktor
Ein Konsum von bis zu 12,5 Gramm Alkohol pro Tag erhöht das Risiko für die Entstehung von Krebs in Mund und Rachen, der Speiseröhre und der Brust. Die meisten Todesfälle treten im Alter von 20 bis 50 Jahren auf.
Stand:
Angesichts Tausender alkoholbedingter Krebsneuerkrankungen pro Jahr appellieren Fachleute an die Politik, die Steuern für Alkohol zu erhöhen, das Abgabealter anzuheben und die Werbung einzuschränken.
„Vielen Menschen ist nicht bewusst, dass Alkohol ein erheblicher Krebsrisikofaktor ist“, sagt Katrin Schaller vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg. In Deutschland gingen Schätzungen zufolge jedes Jahr über 20.000 Krebsneuerkrankungen und mehr als 8000 Todesfälle – rund 6200 Männer und 2100 Frauen – auf das Konto des Alkoholkonsums. Dies entspricht bei Männern einem Anteil von rund sechs Prozent an allen Krebstodesfällen und bei Frauen einem Anteil von drei Prozent.
Am stärksten ist nach Angaben der Autorin des Alkoholatlas 2022 der Einfluss auf Darmkrebs, auf Krebserkrankungen des Mund- und Rachenraums, der Leber, Speiseröhre und der Brust.
Die Fachleute warnen die Politik zugleich vor den Lobbyisten der Alkoholindustrie, die versuchten, Entscheidungsträger zu beeinflussen und öffentliche Einrichtungen, Parteitage oder Sportveranstaltungen zu sponsern, um sich als sozial verantwortliche Partner darzustellen. Zudem unterstützten sie wissenschaftliche Studien, die die negativen Folgen des Alkoholkonsums auf die Gesundheit und die Gesellschaft herunterspielten oder anzweifelten.
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Das Risiko, an Krebs zu erkranken, steigt mit zunehmender Menge und Häufigkeit der Aufnahme des Zellgifts. Bereits ein geringer Alkoholkonsum von bis zu 12,5 Gramm Alkohol pro Tag erhöht das Risiko für die Entstehung von Krebs in Mund und Rachen, der Speiseröhre und der weiblichen Brust.
Ein Verbrauch von mehr als 50 Gramm Alkohol pro Tag erhöht auch die Wahrscheinlichkeit, an Leber-, Magen- und Bauchspeicheldrüsenkrebs zu erkranken. Zum Vergleich: 0,3 Liter Bier enthalten etwa 10 bis 12 Gramm Alkohol. „Durch Alkoholkonsum gehen viele in guter Gesundheit verbrachte Lebensjahre verloren“, heißt es in dem Atlas. Die meisten durch Alkoholkonsum verursachten Todesfälle treten demnach im Alter von 20 bis 50 Jahren auf.
Sozial Status schützt nicht vor übermäßigem Konsum
Wer dennoch nicht auf Alkoholika verzichten möchte, dem wird im Alkoholatlas geraten, pro Tag die Menge von 0,6 Liter Bier oder 0,3 Liter Wein für Männer und 0,3 Liter Bier oder 0,15 Liter Wein für Frauen nicht zu überschreiten sowie mindestens zwei alkoholfreie Tage pro Woche einzulegen.
Weiteres Resultat: Sozialer Status schützt nicht vor übermäßigem Konsum. Riskante Mengen von mindestens 10 Gramm Reinalkohol täglich konsumieren etwa 16 Prozent der Frauen mit höherer Bildung – mehr als doppelt so viele wie Frauen mit geringer Bildung. Bei den Männern liegen fast 18 Prozent der Gebildeten über dem für sie bedenklichen Konsum von 20 Gramm pro Tag, bei den wenig Gebildeten sind es nur knapp 12 Prozent.
Auch bei der regionalen Verteilung der Erkrankungen gibt es Unterschiede. Von den im Jahr 2020 rund 14.200 an einer ausschließlich durch Alkoholkonsum bedingten Krankheit Verstorbenen kamen die meisten aus Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt. Am seltensten waren diese Todesfälle bei Frauen in Thüringen und Baden-Württemberg, bei Männern in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz.
Mit ihren Forderungen wollen das DKFZ, die Deutsche Krebshilfe und die Deutsche Krebsgesellschaft zu Anfang der bis zum 16. September dauernden Nationalen Krebspräventionswoche einen Akzent setzen. Basis ist der Atlas, der unter anderem den Zusammenhang des gesellschaftlich tolerierten Konsums von Alkohol und Krebs beleuchtet.
Nach Ansicht der Experten ließe sich der Konsum reduzieren, indem man Alkohol verteuert. Bei der Steuer auf Alkohol sehen sie noch Luft nach oben. Derzeit beträgt die Alkoholsteuer 1303 Euro pro Hektoliter reinen Alkohols. Jährlichen Einnahmen aus dieser Steuer von 3,2 Milliarden Euro stehen den Gesellschaften zufolge direkte und indirekte Kosten von 57 Milliarden Euro gegenüber. Dies ergebe sich aus Krankheitskosten sowie geringer Produktivität, Fehlzeiten am Arbeitsplatz und Frühverrentung. In anderen Ländern hat ein Preisanstieg von 10 Prozent den Konsum um 6 Prozent gedrückt, wie Schaller erläutert.
Dringend fordern wir zunächst zumindest ein Verbot von Werbung im Kontext von Sportveranstaltungen aller Art.
Katrin Schaller vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg
Weitere Baustelle ist der Jugendschutz. Derzeit dürfen Jugendliche ab 14 in Begleitung ihrer Eltern Wein und Bier trinken, ab 16 unbeaufsichtigt. Mit 18 Jahren kommen dann harte Drinks wie Rum, Schnaps und Wodka hinzu. Die Krebsgesellschaften plädieren für ein einheitliches Limit von 18 Jahren für den Konsum aller Arten alkoholischer Getränke, unabhängig davon, ob Eltern dabei sind.
Auch bei der Werbung sehen die Fachleute noch ungenutzte Stellschrauben; bislang gibt es nur das Verbot von Alkoholwerbung vor 18 Uhr im Kino. „Dringend fordern wir zunächst zumindest ein Verbot von Werbung im Kontext von Sportveranstaltungen aller Art“, sagt Schaller.
Krebshilfe-Chef Gerd Nettekoven resümiert, jeder könne ungesunde Gewohnheiten aufgeben. „Doch die Krebsprävention ist keine reine Privatsache.“ Die Politik müsse Bedingungen schaffen, die eine gesunde Lebensweise förderten.
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