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Nabelschnurblutzellen aus der Ukraine in der Biobank der Charité.

© Sascha Karberg, Tsp

Asyl für Zellen: Nabelschnurblut aus der Ukraine an die Charité evakuiert

Russlands Raketenangriffe auf die Ukraine bedrohen auch medizinische und Forschungseinrichtungen. Die ukrainische Nabelschnurblutbank Hemafund bringt jetzt ihre Zellen in Berlin in Sicherheit.

Nur die ersten zwei Tage nach Kriegsbeginn war das ukrainische Unternehmen Hemafund gezwungen, die Annahme von Nabelschnurblut frisch geborener Babys abzulehnen. Dann hätten die Mitarbeiter, erzählt Gründer und Geschäftsführer Yaroslav Issakov stolz, alle angepackt, um den Betrieb der im Norden von Kiew gelegenen, nicht weit von Butscha entfernten Stammzellfirma aufrechtzuerhalten, und die Versorgung mit Energie und flüssigem Stickstoff zum Einfrieren der Zellen sicherzustellen: „Business as usual” im Ausnahmezustand.

Zeitweise verlief die Front nur fünf Kilometer von uns entfernt.

Yaroslav Issakov, Gründer und Geschäftsführer der ukrainischen Nabelschnurblutbank Hemafund

Doch irgendwann wurde das Risiko zu groß. „Zeitweise verlief die Front nur fünf Kilometer von uns entfernt“, erzählt Issakov mit erstickter Stimme. „Wir haben die Kämpfe gesehen, das Töten.“ Der ständige Raketenbeschuss, die immer häufigeren Stromausfälle und zunehmende Engpässe in der Versorgung der Notstromaggregate mit Kraftstoff zwangen Issakov schließlich zum Handeln.

Die Büros ließen sich rasch weiter westlich innerhalb der Ukraine verlegen, aber wohin mit den kostbaren Zellen, die zum Teil seit vielen Jahren in speziellen Kühlvorrichtungen aufbewahrt werden, um irgendwann als Zellersatz, etwa bei Blutkrebserkrankungen, Leben zu retten?

Das Aufbewahren von Zellen und Geweben in Kühltanks voll flüssigem Stickstoff erfordert spezielles Know-How.
Das Aufbewahren von Zellen und Geweben in Kühltanks voll flüssigem Stickstoff erfordert spezielles Know-How.

© Sascha Karberg/Tsp

„Als wir gefragt wurden, ob wir Platz haben, um bis zu vier Stickstoff-Tanks mit Nabelschnurblutzellen aus der Ukraine bei uns aufzunehmen”, sagt Alexandra Stege, Operative Leiterin der Zentralen Biobank Charité/BIH „ZeBanC“ am Campus Virchow, „haben wir sofort gesagt, dass wir helfen wollen, so gut und so unbürokratisch es geht.“

Es sei die schnellste Antwort aus Deutschland gewesen, die er je auf eine Anfrage bekommen habe, freut sich Issakov. Im November habe er auf dem „Future Science Medicine Match”, einer Konferenz des Tagesspiegels und des Berlin Institute of Health (BIH), die Situation seiner Nabelschnurblutbank geschildert. BIH-Direktor Christopher Baum habe sofort reagiert. Seit vergangener Woche stehen nun 48.000 Spezialfläschchen mit den Neugeborenenzellen in Tanks voller flüssigem, etwa minus 200 Grad Celsius kaltem Stickstoff in der Spezialeinrichtung der Charité.

Wie lange sie dort unterschlüpfen müssen, ist offen. „Wir sind dankbar für die Hilfe”, sagt Issakov, hofft aber, die Zellen bis Jahresende in eine neue, eigene Einrichtung, an sicherem Ort, weitertransportieren zu können.

Die Biobank der Charité auf dem Virchow-Campus hat kurzfristig Platz geschaffen für Kühltanks aus der Ukraine.
Die Biobank der Charité auf dem Virchow-Campus hat kurzfristig Platz geschaffen für Kühltanks aus der Ukraine.

© Sascha Karberg/Tsp

Zur Berliner Universitätsmedizin haben die Ukrainer bereits seit einigen Jahren regen Forschungskontakt. Denn die Nabelschnur enthält nicht nur restliches Blut des Neugeborenen, sondern auch bestimmte (mesenchymale) Stammzellen ähnlich den Knochenmarkstammzellen, die sich in rote und weiße Blutzellen und -plättchen entwickeln und etwa bei verschiedenen Regenerationsprozessen von Geweben heilsame Wirkung haben können.

Seit 1999 werden sie beispielsweise bei Blutkrebserkrankungen eingesetzt, können aber auch bei der Behandlung erblich bedingter Immundefekte eingesetzt werden, um fehlende Blutzelltypen zu ersetzen.

Im Krankheitsfall kann ein Kind mit den eigenen Zellen behandelt werden

Der Vorteil ist, dass ein Kind im Krankheitsfall mit den eigenen, also genetisch identischen Zellen behandelt werden kann, also keine Abstoßungsreaktion zu erwarten ist, wenn die Eltern die Zellen bei der Geburt haben einlagern lassen. Die Zellen stehen für eine Transplantation in der Regel auch schneller zur Verfügung, als wenn ein (meist erwachsener) Spender mit genetisch ähnlichem Gewebetyp gefunden werden muss.

Yaroslav Issakov, Gründer und Geschäftsführer vom Hemafund.
Yaroslav Issakov, Gründer und Geschäftsführer vom Hemafund.

© Sascha Karberg/Tagesspiegel

In Deutschland entscheiden sich weniger als zwei Prozent der Eltern, Nabelschnurblut ihres Neugeborenen einlagern zu lassen. Bei einer Spende an öffentliche Nabelschnurblutbanken wie an der Charité fallen keine Kosten an, denn ein Teil der Zellen wird dann auch, bei passendem Gewebetyp, zur Behandlung fremder Patienten herangezogen.

Die jahrzehntelange Einlagerung in privaten Banken kostet zwischen 2000 und 7000 Euro. Etwa acht Millionen Nabelschnurblutspenden werden mittlerweile in über 500 Nabelschnurblutbanken weltweit gelagert, darunter sowohl private, als auch öffentlich finanzierte.

Hilfreich etwa bei angeborenen Herzfehlern

Die Wahrscheinlichkeit, dass die eingelagerten Zellen tatsächlich gebraucht werden, ist zwar noch gering: unter einem Prozent. Aber bei Erkrankungen wie angeborenen Herzfehlern, die schon während der Schwangerschaft erkannt werden können, können sie oft sehr hilfreich sein. Diese Kinder müssen rasch nach der Geburt behandelt werden, brauchen dafür aber größere Mengen von Blut.

Bislang müssen Chirurgen auf das Blut halbwegs passender, aber meist erwachsener Spender warten, um die Säuglinge an die Herzlungenmaschine anschließen und operieren zu können. „Nabelschnurblut steht drei bis fünf Stunden nach der Geburt zur Verfügung”, sagt Issakov. Und es passe vom Reifegrad besser zum Kind als das Blut Erwachsener. „Die Kinder erholen sich danach vier Mal schneller als wenn sie mit dem Blut erwachsener Spender behandelt wurden.” Seit 15 Jahren entwickle Hemafund diese Methode in der Ukraine, inzwischen seien 400 Operation mit Hilfe der Zellen durchgeführt worden.

Darüber hinaus arbeite man mit dem Berlin Institute of Health der Charité auch daran, Zellen aus dem Nabelschnurblut umzuprogrammieren in noch „jüngere”, embryonalen Stammzellen ähnliche Zellen (sogenannte induzierte pluripotente Stammzellen). Aus diesen Zellen können prinzipiell alle Zelltypen des Körpers entstehen, auch Ei- und Samenzellen. „Wir wollen auf diesem Weg Familien helfen, die Schwierigkeiten haben, eigene Kinder zu zeugen”, sagt Issakov. „Aber diese Arbeit hat der Krieg vorerst unterbrochen.”

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