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Eine Wissenschaftlerin arbeitet in einem Labor für Molekulare Biologie mit einer Pipette an Proben.

© Andreas Arnold/picture alliance/dpa

Wissenschaftspolitik von SPD, Grünen und FDP: Bei den Sondierern fehlt etwas Entscheidendes

Was die angestrebte Koalition in der Bildung plant, klingt vielversprechend. Doch Grundlagenforschung, Hochschulfinanzierung, Uni-Karrieren und Lehre fehlen.

Die Sondierer haben ihr Ergebnispapier mit einem Disclaimer versehen. Es umfasse „nur die Themen, über die die Verhandlungspartner vor Eintritt in Koalitionsverhandlungen eine Vorfestlegung erreichen wollten“, steht auf der ersten von zwölf eng bedruckten Seiten, die SPD, Grüne und FDP veröffentlicht haben.

Bedeutet das fehlende Bekenntnis zur Grundlagenforschung nun, dass es über deren Bedeutung keinerlei Dissens der Unterhändler gab? Oder dass sie einfach nicht dran gedacht haben, weil das Verständnis von Forschung, das in dem Papier durchscheint, ein rein instrumentelles ist? Der zentrale Satz in den wenigen zur Wissenschaft lautet: „Wesentlich ist eine gute Forschungslandschaft, die Innovationen hervorbringt.“

Zum Beispiel zum Klimaschutz, ist wohl gemeint, zur Digitalisierung und Wohlstandssicherung, zum sozialen Zusammenhalt und demografischen Wandel – den großen Buzzwords im Papier. Zuhauf finden sich entsprechend Aussagen wie diese: „Neue Geschäftsmodelle und Technologien können klimaneutralen Wohlstand und gute Arbeit schaffen.“ Alles richtig, alles wichtig.

Nur darf darüber nicht das Fundament des Innovationssystems außer Acht geraten. Sollte sich diese Warnung am Ende der folgenden Koalitionsverhandlungen als wohlfeil und überflüssig herausstellen, umso besser.

Das 3,5-Prozent-Ziel ist drin, nicht aber die Balance der Bereiche

Entsprechend werden die Gesichter in 24 Chefbüros aus Wissenschaft und Wirtschaft bei der Lektüre des Sondierungsergebnisses unterschiedlich lang ausfallen. Erst am Donnerstag hatten 24 Organisationen ihren gemeinsamen Appell veröffentlicht, plakativer Titel: „Wissenschafts- und Innovationssystem: Die nächste Ausbaustufe zünden.“

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Ihre Forderung nach einem 3,5-Prozent-Ziel für Forschung und Entwicklung: steht drin im Papier. Das verlangte Bekenntnis zu einer besseren Förderung von Startups und riskanten Innovationen: ebenfalls. Genau wie das Ziel einer agileren Politik und Verwaltung. Aussagen zur künftigen Grundfinanzierung von Hochschulen, zur Balance zwischen allen Bereichen der Forschung, zu Wissenschaftlerkarrieren oder zur Förderung der Lehre: kein Wort.

Ein Porträtbild von Jan-Martin Wiarda.
Unser Kolumnist Jan-Martin Wiarda. Auf seinem Blog www.jmwiarda.de kommentiert er aktuelle Ereignisse in Schulen und Hochschulen.

© Privat

Für die „umfassende Erneuerung“, die die drei Parteien nach eigenen Worten erreichen wollen, fehlt es da forschungspolitisch noch deutlich an Unterfütterung.

Umso erfreulicher ist das Commitment der Sondierer für einen echten Bildungsaufbruch, denn den würde es bedeuten, wenn SPD, Grüne und FDP ihre Versprechungen in der neuen Legislaturperiode wirklich umsetzen: ein „Kooperationsgebot“, das Bund Länder und Kommunen zu einer gemeinsamen Zusammenarbeit verpflichtet, damit jedes Kind die gleichen Chancen auf Entwicklung und Verwirklichung erhält.

Bundesgeld für Schulen in benachteiligten Regionen - eine Sensation

Geplant ist demnach eine Grundüberholung des Föderalismus. Diese würde auf eine weitere Grundgesetzänderung hinauslaufen, für die die drei Parteien die Opposition bräuchten. Wenn sie dafür das richtige Narrativ anbieten, dürfte das gelingen.

Im Sondierungspapier fangen sie damit an: mit einem Zusammenlegen der bisherigen familienpolitischen Leistungen in einem möglichst bürokratiearmen Kindergrundsicherungsmodell. Mit einer speziellen Förderung für Schulen in benachteiligten Vierteln und Regionen, die endlich ein Ende des Gießkannenprinzips bedeuten würde. Noch dazu dauerhaft durch den Bund, was fast schon sensationell wäre. Ebenso wie das Bekenntnis zu einem unbefristeten Digitalpakt 2.0, den Kultusminister und Bildungsexperten wiederholt gefordert hatten.

Ansonsten aber, und das ist das Bemerkenswerte, lässt sich bei den Bildungsabschnitten gar nicht so sehr die Urheberschaft einer der Parteien erkennen. Weil sie in Sachen Bildungspolitik schon in der vergangenen Legislaturperiode die wahrscheinlich größten Schnittmengen hatten. Jetzt könnte es für die selbsternannte „Fortschrittskoalition“ die wichtigste inhaltliche Klammer werden.

Bildungspolitisch ist es ein Sondierungspapier, das große Hoffnungen und Fantasien weckt. Die drei Parteien gehen das Risiko ein, später an ihnen gemessen zu werden. Forschungspolitisch dagegen müssen SPD, Grüne und FDP noch dringend an der Differenzierung arbeiten.

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