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Gestärkt werden soll unter anderem das "positive Selbstkonzept" der Schüler.

© picture alliance / Christian Cha

Neuer bundesweiter Schulvergleich: Berlin bleibt hinten – und die Gymnasien schwächeln

Bei einem neuen Schulvergleich schneiden Berliner Schüler erneut schlecht ab. Ein bundesweiter Trend: Die Leistungen an den Gymnasien lassen nach. 

Berlins Neuntklässlerinnen und Neuntklässler können ihre Leistungen in Mathematik und den Naturwissenschaften nicht verbessern. Sie liegen damit im bundesweiten Vergleich weiter hinten - in Mathematik auf dem vorletzten Platz, in Biologie und Chemie auf dem viertletzten und in Physik auf dem fünftletzten Platz. Das ergibt ein neuer Schulvergleich des Berliner Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB), der an diesem Freitag veröffentlicht wird.

In der Gesamtschau aller Länder sind die Ergebnisse demnach im Vergleich zur Vorgängerstudie von 2012 „stabil“ geblieben, wie es in der Auswertung heißt. Signifikante Verbesserungen gibt es im bundesweiten Schnitt also keine.

Angesichts der Tatsache, dass die Schülerschaft immer heterogener werde, könne das aber durchaus als Erfolg gewertet werden, sagt die HU-Bildungsforscherin Petra Stanat, die die Studie leitete. So haben zum Beispiel inzwischen ein Drittel der Schülerinnen und Schüler einen Migrationshintergrund, deutlich mehr als noch vor sieben Jahren.

Allerdings sehen die Bildungsforscher durchaus ungünstige Trends in den Ergebnissen: So schwächeln ausgerechnet die Gymnasien. Zudem sinkt das Niveau vor allem in einigen ostdeutschen Ländern, die bisher sehr gut dastanden.

Berlin liegt in allen Fächern unter dem Bundesschnitt

Getestet wurden 44.941 Schülerinnen und Schüler an 1462 Schulen in Mathematik, Biologie, Chemie und Physik. Untersucht wurde vor allem, ob sie die Bildungsstandards erreichen, die für den Mittleren Schulabschluss (MSA) in der 10. Klassenstufe – also ein Jahr später – gelten.

Sowohl bei den mittleren Kompetenzwerten als auch bei der Frage, wie viele Schülerinnen und Schüler die Standards erreichen, liegt Berlin in allen getesteten Fächern signifikant unter dem Bundesschnitt. Ähnlich schwach schneiden nur Bremen, Hamburg und Hessen ab.

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In Mathematik etwa erreichen nur 38,4 Prozent der Berliner Schülerinnen und Schüler die Regelstandards (im Bundesschnitt sind es 44,9 Prozent), 33,9 Prozent schaffen dagegen nicht einmal die Mindeststandards (bundesweit 24,2 Prozent). Die Werte entsprechen denen von 2012, signifikant verschlechtert hat sich nur das Fachwissen in Chemie.

Ein ungünstiger Trend in Brandenburg

Einen ungünstigen Trend weist Brandenburg auf. Zwar liegen hier die Ergebnisse im bundesweiten Schnitt – und damit deutlich über den Berliner Resultaten. Allerdings nahm die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die die Regelstandards erreichen, in allen Fächern signifikant ab. In Mathematik etwa schaffen jetzt noch 41,6 Prozent die Regelstandards, fast zehn Prozentpunkte weniger als zuvor. In keinem anderen Land ging die Kurve so deutlich nach unten.

Insgesamt sind die Unterschiede zwischen den Bundesländern teilweise enorm. Das einzige Land, das sich durchgehend verbessern kann, ist Bayern. Bei den Kompetenzwerten erzielen auch Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen Werte deutlich über dem Bundesschnitt. Der Abstand zu Berlin beträgt hier in Einzelfällen bis zu 70 Punkte, was einem Lernrückstand zwischen 1,5 und 2,5 Jahren entspricht.

Sachsen und Bayern "robust"

Dass vor allem Bayern und Sachsen so „robust“ dastehen, „liegt vielleicht auch daran, dass dort im Schulsystem wenig verändert wird“, sagt Studienleiterin Stanat. Für sie ist allerdings weniger der Vergleich zwischen den Ländern, sondern die Entwicklung innerhalb der einzelnen Länder entscheidend. „Es geht nicht um ein Wettrennen zwischen den Ländern.“

Aus der Studie lassen sich einige Großtrends ablesen, die die Schullandschaft in Deutschland maßgeblich beeinflussen.

Mehr Schülerinnen und Schüler haben einen Zuwanderungshintergrund. Immer mehr Schülerinnen und Schüler kommen aus Familien mit einer Migrationsgeschichte. Bundesweit sind es im Schnitt 33,6 Prozent, ein Anstieg im Vergleich zu 2012 um 6,8 Prozent. Bei gut jedem Zehnten ist mindestens ein Elternteil im Ausland geboren, die anderen leben in erster oder zweiter Generation in Deutschland.

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Auch hier sind die Unterschiede zwischen den Bundesländern groß, vor allem zwischen West- und Ostdeutschland. Den höchsten Anteil haben Bremen und Berlin: In den beiden Stadtstaaten hat fast jedes zweite Kind einen Migrationshintergrund. In Mecklenburg-Vorpommern gilt das dagegen nur für jedes zehnte Kind.

Die Studie ist zudem der erste Schulvergleich, in dem praktisch alle Flüchtlingskinder mitbewertet werden. Sie werden getestet, sobald sie länger als ein Jahr eine deutsche Schule besuchen. Der Anteil dieser Kinder macht zwei Prozent aus. Dass sich ein hoher Migrationsanteil und eine erfolgreiche Entwicklung der Schulen nicht ausschließen, zeigen Verbesserungen in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen.

Die Gymnasien entwickeln sich ungünstig. Von einer „insgesamt ungünstigen Entwicklung“ für die Gymnasien spricht die Studie. In Mathematik erreichen die Gymnasien bundesweit in Mathematik acht Punkte weniger, in Biologie elf Punkte, in Chemie 13 Punkte, in Physik sieben bis neun Punkte.

Woran das liegt, können die Bildungsforscher nicht sagen. Der negative Trend lasse sich zumindest nicht auf die Besuchsquote beim Gymnasium zurückführen. Die Gymnasialquote habe sich im bundesweiten Schnitt seit 2012 nämlich nicht verändert. Das gelte auch für Brandenburg und Sachsen-Anhalt, die von der Entwicklung bei den Gymnasien besonders betroffen sein.

Im Südwesten kommen jetzt auch Schüler ohne Empfehlung aufs Gymnasium

Gleichwohl scheint auch hier die Lage von Land zu Land unterschiedlich. So berichtet Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU), dass sich in ihrem Land sehr wohl die Gymnasialquote erhöht habe, seitdem die verpflichtende Grundschulempfehlung weggefallen ist: Die Übergangsquote stieg von 41 auf 44 Prozent, wie das Bildungsministerium auf Nachfrage mitteilte. Damit verbunden ist, dass rund zehn Prozent Kinder mehr als früher ohne entsprechende Empfehlung auf das Gymnasium kamen - dies gilt auch für den jetzt getesteten Jahrgang.

Neue Zahlen: Der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderungsgeschichte in den einzelnen Bundesländern.
Neue Zahlen: Der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderungsgeschichte in den einzelnen Bundesländern.

© Tsp

„Diesen Befund müssen wir genauer analysieren“, betonte die Kultusministerin nach Bekanntwerden der Ergebnisse. Sachsen und Bayern, die Spitzenreiter beim aktuellen IQB-Bildungstrend, halten hingegen bis heute an der verbindlichen Grundschulempfehlung fest. „Diese beiden Länder zeigen auch beim IQB-Bildungstrend 2018, welche beachtlichen Spitzenleistungen an Gymnasien weiterhin möglich sind“, kommentiert Eisenmann. 

Real-, Haupt-/Werkreal- und Gemeinschaftsschulen legen bei Leistungen zu

Haben die Gymnasien etwas an Boden verloren, so haben die anderen Schularten der Sekundarstufe I bei den Leistungen im Gegenzug zugelegt. „Realschulen, Haupt- und Werkrealschulen sowie Gemeinschaftsschulen haben den Leistungsrückgang an den Gymnasien vollumfänglich kompensiert, das freut mich sehr“, so die Kultusministerin. Die sogenannte „Risikogruppe“ der Schülerinnen und Schüler hat so in Baden-Württemberg unter dem Strich etwas abgenommen.

Ostdeutsche Länder bleiben gut, müssen sich aber Sorgen machen. „Ungünstige Entwicklungen“ sind in einigen ostdeutschen Flächenländern zu verzeichnen – siehe Brandenburg. Ähnlich erreichen auch Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zwar immer noch überdurchschnittliche Kompetenzwerte. Dennoch nimmt der Anteil der Schülerinnen und Schüler dort ab, die auf die Regelstandards kommen, der Rückgang gilt insbesondere für Sachsen-Anhalt und Thüringen.

Auch hier tun sich die Bildungsforscher mit Erklärungen schwer. Mit ihrer homogeneren Schülerschaft sollten die ostdeutschen Länder doch eigentlich bessere Voraussetzungen haben. Es liege zumindest nicht daran, dass viele Lehrkräfte in Rente gehen und gerade auch dort der Lehrermangel groß ist, sagt Stanat: In den Daten schlage sich das noch nicht nieder. Brandenburgs Bildungsministerin Britta Ernst äußerte sich besorgt.

Thüringen verweist auf die Pensionierungswelle

Thüringen sieht das anders und verweist ausdrücklich darauf, dass der „Generationswechsel in den Lehrkräftekollegien“ Beachtung verdiene. Die noch in der DDR ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrer der naturwissenschaftlich-mathematischen hätten "überdurchschnittlich guten Unterricht gemacht und nicht nur Fachwissen, sondern auch messbare Erkenntnisgewinne bei ihren Schülerinnen und Schülern vermittelt". Dies sei "regelmäßig ablesbar" - nicht nur be den IQB-Studien, sondern auch bei bundesweiten Wettbewerben wie „Jugend forscht“ oder Biologie- und Chemie-Olympiaden.

Im Übrigen betonte Bildungsminister Helmut Holter (Linke), dass sein Thüringen weiterhin einen Platz in der Spitzengruppe der Bundesländer belegt habe. Zudem sei in keinem anderen Land die Kompetenz in Mathematik so wenig von der sozialen Lage der Schülerinnen und Schüler abhängig wie in Thüringen.

Mädchen sind gut in Physik - haben aber ein schlechteres Bild von den eigenen Leistungen als Jungen.
Mädchen sind gut in Physik - haben aber ein schlechteres Bild von den eigenen Leistungen als Jungen.

© imago/photothek

Die Jungen lassen nach. Während das Bild für die Mädchen gemischt aussieht, lassen die Jungen bei den gemessenen Kompetenzen fast durchgehend nach. Nur in der Mathematik haben sie einen signifikanten Vorsprung, in Biologie, Chemie und in Teilen der Physik haben das dagegen die Mädchen.

Augenfällig ist, dass die Jungen trotz größtenteils schwächerer Kompetenzen in fast allen Fächern immer noch ein besseres Selbstkonzept haben, also eher von den eigenen Leistungen überzeugt sind. Bei den Mädchen besteht dagegen eine große Diskrepanz zwischen dem, was sie erreichen und wie sie sich selbst einschätzen.

Verschiedene Selbstbilder von Jungen und Mädchen

Das Selbstbild ist nicht unerheblich, schließlich entscheidet es auch darüber, welche Leistungskurse und später welches Studienfach und welchen Beruf sich Jugendliche zutrauen. Hier stehen Schulen also vor der Aufgabe, einerseits die abfallenden Leistungen der Jungen aufzufangen – und gleichzeitig Mädchen ein günstigeres Bild von den eigenen Fähigkeiten zu vermitteln.

Wo die Leistungen der Schülerinnen und Schüler international einzuordnen sind, wird sich im Dezember zeigen, wenn die neue Pisa-Studie veröffentlicht wird. Bei der vergangenen Ausgabe im Jahr 2016 war der langanhaltende Aufstieg der Schülerschaft aus Deutschland jedenfalls bereits gestoppt worden.

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