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Alte Fetzen: Viele der Qumran-“Rollen“ sind keine Rollen mehr. Bei ihrer Erforschung beginnt jetzt KI eine Rolle zu spielen.

© Universal Images Group via Getty Images/Universal History Archive

„Die Hände, die die Bibel geschrieben haben“: Manche Qumran-Rollen sind wohl älter als vermutet

Diese Bibeltexte gab es schon, bevor es die Bibel gab. Doch sie zu datieren, ist kompliziert. Jetzt haben Experten eine Künstliche Intelligenz um Hilfe gebeten. Die Ergebnisse verkaufen sie als spektakulär.

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Auch die Altertumswissenschaft hat die Künstliche Intelligenz längst entdeckt. Sie hilft etwa, verkohlte Papyri zu lesen, aus Gen-Schnipseln Migrationsbewegungen vor Tausenden von Jahren nachzuvollziehen, aus Scherben dreidimensionale Modelle zu bauen und vieles mehr.

Jetzt soll ein KI-Programm anhand einer Analyse von Schreibstilen ein paar sehr wichtige antike Dokumente neu datieren können: die Qumran-Rollen.

Diese auch als „Dead Sea Scrolls“ bekannten etwa 1000 Manuskripte und Fragmente wurden meist auf Tierhaut und Papyrus geschrieben. Einige von ihnen enthalten die frühesten bekannten Versionen zusammenhängender Texte, die später in die hebräische Bibel eingingen.

Die ersten wurden 1946 von beduinischen Hirten in den Höhlen von Qumran im Westjordanland entdeckt. Sie sind überwiegend in Hebräisch, aber auch Aramäisch und Griechisch verfasst.

Nicht gut geölt

Die Dokumente genau zu datieren, war bisher in vielen Fällen ein ziemliches Problem. Einer der Gründe dafür liegt in ihrer Erforschung selbst: Weil viele von ihnen mit Rizinusöl behandelt wurden, um sie besser lesbar zu machen, werden die Ergebnisse der Radiokarbon-Methode potenziell verfälscht.

So beruht die Datierung der Schriftrollen großteils auf Paläographie – der Analyse antiker Schriftsysteme und -stile: Die Art und Weise, in einer bestimmten Sprache zu schreiben, kann hier einer bestimmten Periode zugeordnet werden.

Ein Manuskript Theodor Fontanes etwa ist auch ohne andere Informationen gut dem zweiten Teil des 19. Jahrhunderts zuzuordnen. Ähnlich unterscheiden sich die Schrift- und Schreibsysteme über die vorchristlichen Jahrhunderte und Dynastien hinweg.

„Übertreibung“

Eine Forschungsgruppe um Mladen Popović, der das Qumran-Institut an der Universität Groningen in den Niederlanden leitet, hat jetzt zunächst 30 Proben aus verschiedenen Handschriften von jenem verfälschenden Rizinusöl gereinigt. Bei 27 davon gelang danach eine Radiokarbondatierung. Ergebnis: Zwei dieser Fragmente waren jünger als frühere Analysen vermuten ließen, andere aber auch älter.

Und bei alten Dokumenten gilt eben meist: je älter, desto interessanter.

Mit dem Enoch-Werkzeug haben wir eine neue Tür in die antike Welt geöffnet, wie eine Zeitmaschine, die uns erlaubt, die Hände zu erforschen, die die Bibel geschrieben haben.

Mladen Popović, Altertumsforscher, Uni Groningen

Um auch jene Teile zu datieren, die man nicht vom Öl des Wunderbaumes reinigen konnte, trainierten die Wissenschaftler ein KI-Modell, das sie „Enoch“ nannten. Es wurde mit 24 der neu datierten Manuskripte und 13 weiteren Dokumentteilen und deren Radiokarbondaten gefüttert.

Dann bekam Enoch 135 Handschriften-Fragmente ohne zugehöriges Datum gezeigt, glich sie mit den Mustern der Schriftsysteme ab und spuckte dann eigene Datierungen aus. Die stimmten in fast 80 Prozent der Fälle mit den bisherigen Schätzungen überein.

Für das übrige Fünftel schlug Enoch nach seiner Analyse jedoch teils ein deutlich höheres Alter vor. Die Ergebnisse sind jetzt im Online-Wissenschaftsmagazin Plos One vorgestellt worden.

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der „Schriftrollen vom Toten Meer“ oder „Qumran-Rollen“ sind tatsächlich noch als Buchrollen erkennbar. Der Rest der etwa 1000 Funde sind Fragmente.

„Mit dem Enoch-Werkzeug haben wir eine neue Tür in die antike Welt geöffnet, wie eine Zeitmaschine, die uns erlaubt, die Hände zu erforschen, die die Bibel geschrieben haben“, wird Popović in einer Mitteilung des Instituts zitiert.

Reparieren, Präparieren, Konservieren, Digitalisieren: Fragmente einer Qumran-Rolle bei der israelischen Altertums-Behörde.

© IMAGO/UPI PHOTO

Ein Fachkollege des Groninger Professors kann dem aber nicht so ganz folgen: „Die Ergebnisse dieser Studie sind sehr interessant und vermutlich wichtig, aber nicht weltbewegend“, zitiert die Website „Live Science“ Christopher Rollston, Lehrstuhlinhaber für biblische und nahöstliche Sprachen und Zivilisationen an der George Washington University in den USA.

Und große Teile von Enochs Analyse stimmten ja auch „mit dem überein, was die großen Paläografen auf diesem Gebiet“ bereits „vor mehr als 60 Jahren festgestellt haben“.

Vor allem die Formulierung mit den „Händen, die die Bibel geschrieben haben“, nennt Rollston eine „grobe Übertreibung“. Es gebe eben keine Manuskripte der hebräischen Bibel aus der Periode des ersten Tempels zwischen 1200 und 586 vor Christus oder der Anfangszeit des zweiten Tempels (um 530 v. Chr.). Dies sei aber die Zeit, in der viele Ur-Manuskripte des Alten Testamentes verfasst worden sein müssten.

KI, so Rollston, könne „niemals“ das einzige Werkzeug bei solch einer Analyse sein. Es brauche immer auch das geschulte Auge eines – menschlichen – Paläographen.

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