
© Frank Koch
Bunte Straßenbegrünung in Berlin: Seltene Insekten lieben „wilde“ Mittelstreifen
Was für eine Überraschung: Auf den Grünstreifen an den viel befahrenen Straßen Frankfurter Allee, Adlergestell und Heerstraße sind verloren geglaubte Insektenspezies wieder aufgetaucht.
Stand:
Dort, wo niemand hinsieht, inmitten von Straßen und Autoverkehr, gibt es einen ungeahnten Reichtum an Insekten. Ausgerechnet Berlins Grünstreifen entpuppen sich als „wunderbar vernetzte Biotope“, wie das Berliner Museum für Naturkunde am Mittwoch mitteilte. Demnach gibt es dort eine „deutlich über den Erwartungen liegende Artenvielfalt.“
Warum auf den Grünflächen zwischen den Fahrspuren trotz des heißen Asphalts im Sommer und bei Streusalz im Winter solche Biotope entstanden sind, erklärte Projektleiter Frank Koch unter anderem mit deren isolierter Lage: „Mittelstreifen werden von Fußgängern und Haustieren gemieden“, sagte er. So seien sie ungeplant zu geschützten Lebensräumen für verschiedene Tier- und Pflanzenarten geworden.
So richtete sich die in Berlin und Brandenburg lange verschollen geglaubte Heuschreckensandwespe mit dem wissenschaftlichen Namen Sphex funerarius ausgerechnet auf den grünen Mittelstreifen häuslich ein. Die Bienenart Hylaeus intermedius konnte hier erstmals für Deutschland dokumentiert werden: eine Maskenbiene mit schwarzem Körper und einer auffälligen hellen Zeichnung im Gesicht. Möglicherweise profitieren diese Arten von dem wärmeren Klima in der Stadt, sagt Koch.
Grünflächenämter helfen
Eine Gefahr für die Mittelstreifen-Habitate sieht Koch vor allem in der Pflege der Grünstreifen: Nicht nur werde den Insekten durch übertriebenes Mähen die Nahrungsgrundlage entzogen, mahnte der Insektenforscher. „Es ändern sich auch schlagartig die bevorzugten abiotischen Faktoren wie etwa Temperatur, Feuchtigkeit und Licht.“
Nach Angaben des Naturkundemuseums hätten sich die Grünflächenämter der Bezirke Charlottenburg-Wilmersdorf, Friedrichshain-Kreuzberg und Treptow-Köpenick dazu verpflichtet, die artenreichen Standorte in Zukunft nur noch einmal im Jahr zu mähen.
Seit 2017 nehmen die Forschenden die urbanen Ökosysteme an drei verschiedenen Berliner Mittelstreifen unter die Lupe: an der Frankfurter Allee im Osten, dem Adlergestell im Südosten sowie auf der Heerstraße ganz im Westen der Stadt. Rund 400 verschiedene Insektenarten aus sechs verschiedenen Ordnungen konnten demnach nachgewiesen werden, darunter auch solche, die auf der Roten Liste der gefährdeten Arten stehen.
Von Frühjahr bis Herbst keschern die Forschenden zweimal pro Monat Insekten von den Untersuchungsflächen. Da die Artbestimmung im Freiland schwierig sind, werden die Tiere gesammelt und mit Essig-Äther getötet.
Das Projekt startete ursprünglich zusammen mit dem Institut für Agrar- und Gartenbau der Berliner Humboldt-Universität. Es sollte überprüfen, welche Pflanzen auf diesen Standorten gedeihen, weshalb die Forschenden verschiedene Wildblumen auf ausgewählten Grünstreifen anbauten.
Die meist nur dünne Bodenschicht, die Salz- und Schadstoffbelastung und der direkte Sonnenschein stellen die Flora vor besondere Herausforderungen. Wie die Studienergebnisse zeigen, scheint die Tierwelt diese Extrembiotope zu lieben. Koch empfiehlt, den Anbau der Blütenpflanzen auszuweiten. (mit KNA)
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: