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© Lisa Rock für den Tagesspiegel

„Der Erbonkel“: Von Teenagern, die sich verpuppen

Erst bewegen sie sich kaum noch, dann verformen sich Teile ihres Körpers und schließlich werden sie flügge. Teenager und Raupen ähneln sich mehr als man denkt. Das hat auch etwas Gutes.

Sascha Karberg
Eine Kolumne von Sascha Karberg

Stand:

Was passiert da? Gerade noch war das Balg ein mitteilungsbedürftiges, geradezu quasselstrippiges Energiebündel, jetzt sind aus dem in seinem Zimmer hockenden, bewegungsresistenten Teenager bestenfalls noch Ein-Wort-Sätze herauszubekommen. „Wegen Umbau geschlossen“, scheint auf der pickeligen Stirn des heran-, hinauf- und irgendwie überallwachsenden und sich verändernden Ex-Kindes zu stehen.

„Kenn ich“, sagt die Fruchtfliege mitleidig zu mir, die gerade einen jener absurden Streits zwischen Vater und Kind um ein paar Minuten mehr oder weniger Zeit zum Daddeln durch ihre Komplexaugen beobachten musste.

„Was weißt Du denn schon von der Pubertät“, murmele ich frustriert, an meinem Hefeweizen nippend.

„Wenn sich mein Nachwuchs verpuppt, ist mit denen auch nichts mehr anzufangen.“

„Das ist doch ganz was anderes, eure Metamorphose und unsere Pubertät.“

„Lies mal ‘Säugetier-Pubertät: Die Perspektive einer Fliege’ von Juan Guirado et al.“, sagt Drosophila und verschwindet in meiner Bierflasche.

Tatsächlich heißt es da, dass „die Pubertät von Säugetieren und die Metamorphose von Drosophila trotz ihres evolutionären Abstands ähnliche Konstruktionsprinzipien“ aufweisen. Es ist sogar möglich, mit dem menschlichen Hormon Leptin, das eine entscheidende Rolle beim Start der Pubertät spielt, den Verpuppungsprozess bei Fruchtfliegenlarven auszulösen. Larven, die sich aufgrund von Mutationen eigentlich nicht mehr verpuppen können, konnte Leptin zur Metamorphose verhelfen.

Trotz einer evolutionären Distanz von mehr als 500 Millionen Jahren zwischen Säugetieren und Insekten, nutzt die Natur also teils die gleichen Gene und Hormone, wenn auch jeweils auf Pubertät und Metamorphose angepasst, um den Nachwuchs mit den nötigen Organen fürs Erwachsenenleben auszustatten.

Das Kind verpuppt sich also? Ist vielleicht ganz tröstlich, sich die Pubertät nicht wie einen langwierigen, bei manchen Menschen scheinbar nie endenden Prozess vorzustellen, sondern eher wie eine flotte Metamorphose, nach der ein kommunikativer, umsichtiger, empathischer, eben wunderschöner Schmetterling schlüpft.

„Hey, oder eine wunderschöne Fliege“, sagt die Fliege.

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