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In ihrer Festrede widmete sich Herta Müller der Bedeutung der Freiheit für den Einzelnen.

© Regina Sablotny

Festrede zum Gründungsjubiläum: Die Freiheit steht nicht still

Schriftstellerin Herta Müller sprach bei der Festveranstaltung der Freien Universität Berlin vor rund 1300 Gästen. Hier die vollständige Rede im Wortlaut.

Ich lebe heute so lange in der Freiheit, wie ich davor in der Diktatur gelebt habe. Aber immer noch messe ich die Freiheit von heute an dem, was ich aus der Diktatur von damals weiß. Nicht umgekehrt die Diktatur an dem, was ich in der Freiheit erlebe.

Es ist mir bis heute nicht gelungen, Freiheit als selbstverständlich anzusehen. Freiheit steht nicht still. Sie kann auch wieder gehen. So wie heute in der Türkei. Verhaftungen und erfundene Schuld, wohin man sieht. Gleichschaltung von Presse und Justiz, Personenkult und religiöser Furor, Lüge und Heuchelei. Was dort zurzeit geschieht, wirft mich zurück in alle Ängste und Ausweglosigkeiten, die ich von früher kenne. In ein Leben, das man fast nicht leben konnte.

Die große Frage in dieser Zeit war: Wie kann man leben?

Ich fand diese Frage sporadisch und völlig unerwartet manchmal sogar beantwortet, wenn ich in einem Buch las, das mich auffing. Da standen Sätze, als würden sie mich kennen. Ich wollte, wenn ich las, immer wissen, wie man leben könnte. Das Geschriebene sagte mir das, solange ich meinen Kopf hineinsteckte. Ich war im Inhalt der Sätze wie in einem warmen Zimmer. Sie waren die Antwort auf meine Frage. Ich hätte nie sagen können, wie sie das taten. Aber sie taten es, sie halfen, ohne zu trösten. Aber jedes Buch hat eine letzte Seite. Danach war ich außerhalb, und das eigene Leben schaukelte wieder so fremd und ausweglos wie vorher.

Wie soll man leben? So kurz war die Frage gar nicht. Sie ging viel weiter mit Nebensätzen, die im Grunde das Hauptsächliche daran waren. Wie soll man leben mit dem, was man denkt, wenn man es nicht sagen darf, ohne dafür ins Gefängnis zu kommen. Wie soll man trotzdem, da wo es darauf ankommt, in einer Sitzung oder auf einem Amt oder beim Verhör, zeigen, was man denkt, ohne es zu sagen. Wie soll man leben, um so zu bleiben oder zu werden, wie man für sich selber ist. Oder wie soll man nicht so werden, wie man nicht sein will. Eigentlich wusste ich gar nicht, wie ich sein will, wer weiß das schon von sich. In einem gewissen Sinn wusste ich es dennoch, weil ich jeden Tag um mich herum sah, wie ich nicht sein will und auf keinen Fall werden darf. Wie kann man leben und sich ertragen, obwohl man nicht so ist, wie man sein will, weil man gar nicht so sein darf, wie man am liebsten wäre. Ich geriet mit dieser Grundsatzfrage, wie soll man leben, immerzu in Konflikte. Ich war gar nicht darauf aus, diese Frage zu stellen, sie stellte sich unausweichlich von selbst. Sie war immer schon dort, wo ich mit meinem Leben hinkam. Sie war vor mir da, als hätte sie auf mich gewartet.

Freiheit ist immer konkret

Ich habe das damals nicht gewusst, es war die Frage nach persönlicher Freiheit. Aus der Distanz von heute glaube ich, dass es in der Unterdrückung eine zerstörerische Fixation auf das Gegenteil gibt, auf die Freiheit, die nicht gelebt werden kann. Sie ist als Abwesenheit vorhanden, sie weiß, dass sie verkrüppelt wird. Sie wird so gestört, dass sie dort, wo sie beginnt, sofort aufhört. Das Ende frisst den Anfang vom ersten Moment an. Da sie jedoch immer, wenn auch nur als Gegenteil von sich selbst vorhanden bleibt, ist sie im Kopf mehr als bloße Projektion. Sie ist kein stummes Kopfbild, sondern ein furchtbar genaues Gefühl. Gefühl ist das passende Wort. Denn Gefühle sind ja im Kopf. Jedenfalls entstehen sie im Kopf. Dass einem die Unterdrückung bewusst ist, heißt, dass einem das Fehlen der Freiheit bewusst ist. Es ist dieses fatale Zwillingspaar, das durchs Leben läuft. Es ist so ein Paar, wie chronischer Hunger immer ans fehlende Essen denkt.

Ich muss es mir heute eingestehen: Das meiste, was ich über Freiheit gelernt habe, habe ich aus den Mechanismen der Unterdrückung gelernt. Diese Mechanismen zu beobachten, und was anderes bleibt einem ja in der Unterdrückung nicht übrig, ist wie die Spiegelschrift der Freiheit zu entziffern. Das Deutlichste, was ich gelernt habe, kann ich ganz einfach sagen:

Freiheit ist immer konkret. Sie ist da oder sie fehlt in jeder einzelnen Sache. Allgemein kann ich über Freiheit gar nicht reden. Es führt mich nirgends hin, wenn ich es versuche. Das abstrakte Wort Freiheit beschäftigte mich nicht als Idee, sondern als Gegenstand. Ein ganz konkreter Gegenstand. Denn Freiheit hat ihren konkreten Ort, an dem sie vorhanden ist oder fehlt. Sie hat ihren Inhalt, ihr Gewicht. In der Freiheit ist immer eine konkrete Situation. Es findet etwas statt, oder es ist wird verhindert. Diese beiden Kategorien sind immer präsent: erlaubt und verboten. In der Diktatur war fast alles, was ich tun wollte, verboten. Und was erlaubt war, hab ich mir selbst verboten, weil ich nicht so werden wollte wie diejenigen, die es mir erlaubten. Die Freiheit ist ein Gegenstand. Aber in diesem Leben in Rumänien war sie so weit weg, man konnte sie nicht anfassen. Umso mehr fasste sie mich an.

Das war der Grund, weshalb ich in allen Situationen, wo es darauf ankam, in unvermeidliche Konflikte geriet. Wo es darauf ankam – es kam ständig darauf an.

Such dir bis morgen eine neue Stelle

Ich arbeitete im dritten Jahr in einer Maschinenbaufabrik als Übersetzerin. Die Betriebsanleitungen der Maschinen aus der DDR, der Bundesrepublik oder aus Österreich mussten für die Arbeiter aus dem Deutschen ins Rumänische übersetzt werden. Zwei Mal kam ein Geheimdienstler ins Büro und wollte mich mit einer durchschaubaren Mischung aus Schmeichelei und Einschüchterung als Spitzel anwerben. Da ich ablehnte mit dem Satz: Ich hab nicht diesen Charakter, fing das tägliche Drangsalieren an. Ich wurde jeden Morgen halb sieben, wenn ich am Tor ankam, vom Pförtner zum Direktor geschickt. Dort erwartete mich das Trio aus Direktor, Gewerkschaftschef und Parteisekretär. Es war jeden Morgen dasselbe Theater aus Geschrei über meine Gefährlichkeit und Gelächter über meine Unfähigkeit. Der letzte Satz war stets: Such dir bis morgen eine neue Stelle. Der erste Satz am nächsten Morgen war: Hast du eine andere Stelle gefunden. Aus Trotz sagte ich jedes Mal: Ich habe keine gesucht, mir gefällt es hier in der Fabrik, ich möchte bis zur Rente bleiben. Das war reine Provokation, ich war ja kaum fünfundzwanzig Jahre alt. Die drei Genossen schäumten. Das Ganze dauerte meist eine volle Stunde, danach durfte ich ins Büro an meinen Schreibtisch. Die Schikane ging wochenlang. Eines Morgens wollte ich endlich ins Büro, aber es war ein Ingenieur eingezogen. Er sagte, ich hätte hier nichts mehr zu suchen. Die Betriebsanleitungen und meine dicken Wörterbücher lagen im Gang auf dem Fußboden. Ich ging eine Weile auf die Toilette weinen, damit mich niemand sieht. Dann ließ mich eine Freundin an eine freigeräumte Ecke ihres Schreibtischs. Es war ein Großraumbüro. Ein paar Tage später wartete sie morgens draußen vor dem Büro mit meinen Sachen im Arm. Sie sagte, ihre Kollegen wollten mich nicht mehr in ihrem Büro, schließlich sei ich ein Spitzel. Die Verleumdung war vom Geheimdienst organisiert. Es war die Rache für meine Weigerung, die Kollegen zu bespitzeln. Alle glaubten das. Ich konnte nichts dagegen tun. Es gab bestimmt unzählige Spitzel in der Fabrik, die niemand kannte, die mit Positionen und Geld belohnt wurden für ihre Dienste. Ich war so wehrlos in dieser Zeit, für mich war die Welt entgleist.

Trotzdem wusste ich jeden Tag, dass die Weigerung richtig war. Sie war lebenswichtig. Nach dieser Absage fühlte ich mich frei. Ich war frei davon, etwas zu tun, was man von mir verlangte. Es hätte wahrscheinlich auch mir Vorteile gebracht, es war aus der Sicht des Regimes das Normale und mehr als nur erlaubt. Es war eine erlaubte Pflicht. Ich wusste genau, dass meine Absage ernste Folgen haben wird. Trotzdem war ich erleichtert, denn die Sache war ab nun für beide Seiten geklärt: Mir war klar, dass ich mich an der Unterdrückung nicht beteilige. Und dem Geheimdienst war klar, dass er mit mir nicht zu rechnen hat. Was mir aber nicht klar war und täglich über mich kam, war die Einsamkeit danach. Diese große Verlassenheit, so monströs, als wäre jede Beziehung zu mir pures Gift. Ich wurde gemieden, die Kollegen von gestern wollten mich nicht mehr kennen.

Der Staat war der Angstmacher

In ihrer Festrede widmete sich Herta Müller der Bedeutung der Freiheit für den Einzelnen.
In ihrer Festrede widmete sich Herta Müller der Bedeutung der Freiheit für den Einzelnen.

© Regina Sablotny

Ich hatte mir eine Freiheit genommen, die in diesem Land nicht vorgesehen war. Sie vergrößerte die Unterdrückung sogar. Ich habe damals begriffen, dass eine Person für einen Überwachungsstaat nur dann als Individuum in Betracht kommt, wenn sie zum Staatsfeind wird. Weil er die Person zerstören will, denkt sich der Staat die Methoden für jeden einzeln aus. Das muss er tun, damit die Zerstörung wirkt.

Ich musste jeden Tag wieder in die Fabrik. Ich wollte es der Direktion nicht gönnen, dass sie mich wegen Abwesenheit aus ihrem Irrenhaus entlassen kann. Nach dem Morgentrio beim Direktor setzte ich mich nun ins Treppenhaus zwischen die Etagen. Ich breitete jeden Morgen mein Taschentuch aus, setzte mich drauf, denn der Beton war sogar im Sommer kalt. Außerdem markierte das Taschentuch eine Abgrenzung, eine Art Büro. Die Treppen waren nicht breit, die Büroleute gingen den ganzen Tag an mir vorbei. Die dicken Wörterbücher lagen eine Stufe tiefer zu meinen Füßen, meine Knie waren der Schreibtisch. Die Büroleute taten so, als wär das ganz normal, dass ich hier sitz. Und ich tat auch so. Sie beeilten sich, sie hatten Angst, dass ich etwas von ihnen will. Doppelte Angst vor mir und vor dem Staat. Angstbeißer, dachte ich. Und der Staat war der Angstmacher. Beides gehörte zusammen. Die Angstbeißer hatten es gelernt, ihre Angst zu verwalten. Sie stutzten ihre Wünsche auf das Maß des Erlaubten. Wenn die Angstmacher in den Sitzungen ihre Vorträge vom Fortschritt und Glück des Volkes hielten, klatschten sie zu lang, als hätten sie Angst, zu früh aufzuhören. Sie waren dressiert, die Angst machte sie so gefügig, als hätten sie dem Staat sogar für ihr Vorhandensein auf der Welt zu danken.

Durchs Treppenhaus sah man die Fabrikkatze mit dem zerrissenen Ohr draußen im Hof. Mir fiel die Redewendung ein: Am Rand der Pfütze springt jede Katze anders. Aber hier verhielten sich alle gleich. Ich dachte, in diesem Sinn, und zwar nur in diesem, gibt es das sozialistische Kollektiv. Kollektiv ist diese Gleichheit, die in der gefressenen Angst ohne Absprache funktioniert. Aber wenn es um Gemeinsamkeit oder Kollegialität geht, ist das Kollektiv nur ideologisches Gefasel. Durch die Freiheit, die ich mir aus der Abwesenheit der Freiheit genommen hatte, hab ich zu spüren gekriegt, dass das Kollektiv dem Staat immer so wichtig war, wegen der Unterdrückung. Man brauchte es als Gegensatz zum Individuum. Der Einzelne war nicht ein Teil, sondern der Feind des Kollektivs. Das bestätigte sich immer wieder. Ein paar Jahre später wurde ich wegen „Individualismus“ und „Nichtanpassung ans Kollektiv“ als Lehrerin von der Schule gefeuert.

Der Spruch mit der Katze meinte, jede Katze springt an der Pfütze anders – in diesem Land waren alle Katzen gleich, sie sprangen nicht über die Pfütze. Ich war auch nicht über, sondern voll in die Pfütze gesprungen. Ich wusste sogar vorher, dass ich nur in die Pfütze springen kann.

Freiheit ist auch, wenn man mit ihr voll in die Pfütze springt.

Die Angst hat das kürzeste Gesicht

Wenn man mit der Last seiner leeren Freiheit herumläuft, geht man nicht so schnell verloren wie ohne sie. Sogar mit dem Nichts in der Freiheit ist die Freiheit größer als ganz ohne Freiheit. In der Zeit vor dem Rausschmiss aus der Fabrik hab ich mir so seltsame Sachen gesagt wie: Die Zeit ist ein Dorf und die Angst hat das kürzeste Gesicht.

Ich wusste nicht, was so ein Satz bedeuten soll, aber er klang nach Gewissheit und Selbstbeherrschung. Der Satz blieb mir im Kopf, ich nutzte ihn so oft, dass er das Seltsame verlor, und durch Abnutzung ganz gewöhnlich wurde. Ich sagte mir, der Satz darf wollen, was er will. Oder: Das Eins zu Eins bietet sich hier nicht an. Darin besteht seine Freiheit. Er machte nicht nur sich frei, sondern auch mich. Das war schön, es reichte. Gerade das Gewöhnliche bewies, dass der Satz es gut mit mir meint. Wenn es gut zu einem ist, kann alles gewöhnlich werden. Das Gewöhnliche hat einen unschätzbaren Wert. Mir sagte es, dass ich mir mit der Last meiner leeren Freiheit noch selbst gehöre. Dass ich vielleicht an diesem Staat, aber nicht an mir selbst verzweifeln muss.

Überall war Angst. Zum Verwalten der Angst brauchte der Alltag die Korruption. Sie ist die Ökonomie der Unterdrückung. Im geplanten Mangel des Staats bekommt man das Notwendige nur durch Korruption. Für den Überwachungsstaat ist Korruption praktisch, sie besetzt die Zeit auch im Kopf, sie lenkt ab vom Mangel. Jeder Staatsbeamte profitiert, die Angst setzt den Preis fest, nicht wie in einer freien Gesellschaft der Markt. Alle sind beteiligt. Die Angstmacher verschieben die großen Dinge. Den Angstbeißern bleiben die kleinen. Sie können mit Kerzen, die sie vom Arbeitsplatz gestohlen haben, das gestohlene Fleisch aus dem Schlachthaus bezahlen. Oder sich mit Kaffeebohnen vom Schwarzmarkt gute Noten in der Schule kaufen. Mit Kassettenrekordern sogar die Prüfungen an der Universität. Das Motto für diesen Handel hieß: Nur nachts wird gestohlen, am Tag wird genommen. Auch die Gefühle wurden zur Ware. Unverbindliche Sexualität war selbstverständlich für einen guten Posten, mal für eine Anstellung, mal gegen die Entlassung. Es gab den Wildwechsel der Materialwaren und der Gefühlswaren. Es war Ersatz für die fehlende Freiheit, es war sogar die erlaubte Freiheit. Der Staat schaute zu, wie die Moral zwischen den Leuten verschwand. Alle waren irgendwie kriminalisiert. Und wenn dann jemand dem Regime politisch nicht mehr passte, konnte der Geheimdienst die selbstverständliche Alltagskorruption jederzeit zur Straftat erklären. Das hieß dann nicht politische Verfolgung, sondern Diebstahl.

So hatte sich nach Jahrzehnten Diktatur alles verdreht. Es gab kein ethisches Fundament mehr. Die Gesellschaft hatte ihren Kompass endgültig verloren. Alles war materiell und moralisch ruiniert. Auch die Menschen. Sie machten jahrzehntelang gar nichts, und dann lehnten sie sich auf gegen das Regime. Aber in gleichem Maße auch gegen sich selbst. Die ewig schlechte Laune im Sozialismus kam auch vom Überdruss am eigenen Opportunismus.

Es gab in der langen Angst auch das schnelle Glück, das so steil und überspannt war, dass es sich fast selbst zerriss. Und dieses schnelle Glück hatte ein schlechtes Gewissen, weil es wusste, dass es nur ein umgedrehtes Unglück ist.

Die Unterdrückung wird heute wieder spürbar

Wahrscheinlich trifft das auf ganz Osteuropa zu. Solche Diktaturen sind nicht reformierbar, sie können nur gestürzt werden. Das ist in Osteuropa 1989 ja auch passiert. Die Unterdrückung war plötzlich weg. Es gab ein plötzliches Glück. Die Menschen berauschten sich daran und nannten es Freiheit.

Heute, dreißig Jahre später, kennt diese Freiheit sich selbst nicht mehr. Ist sie in den Ländern Osteuropas wirklich noch ein Gegenstand? Die Unterdrückung ist zwar nicht mehr da wie früher, aber sie wird spürbar – wie ein Phantomschmerz. Es gibt nicht immer mehr Freiheit in diesen Ländern, wie man 1989 dachte. Immer mehr gibt es stattdessen Korruption, Nationalismus, Antisemitismus, Homophobie, Instrumentalisierung der Justiz, Einschüchterung und Gleichschaltung der Medien. Und die Kirche macht mit. Sie mobilisiert Frömmigkeit gegen die Demokratie. Und in Ungarn wird gerade in diesen Tagen eine der besten Universitäten Europas, die beispielhaft ist für eine offene Gesellschaft, aus dem Land gejagt. Und in Polen wird die universitäre Selbstverwaltung abgeschafft. Und in Rumänien kann man die Prüfungen immer noch kaufen. Ein Kassettenrekorder reicht allerdings heute nicht mehr dafür.

In all diesen Dingen wird die Freiheit in Osteuropa weggetragen.

Aber auch im Westen schleicht der Phantomschmerz der Vergangenheit herum als völkisches Denken. Und er verbindet sich leider mit dem Phantomschmerz der Unterdrückung aus dem Osten.

Als die Freie Universität 1948 gegründet wurde, war sie eine Institution, um nach dem Zivilisationsbruch des Nationalsozialismus Freiheit und Demokratie zu lernen.

Heute brauchen wir sie auch, um Freiheit und Demokratie nicht zu verlernen. Um darauf zu bestehen, dass Freiheit konkret ist und nicht stillsteht. Man muss auf sie aufpassen. Denn die Zeit ist ein Dorf und die Angst hat das kürzeste Gesicht.

Die Schriftstellerin Herta Müller (geb. 1953) wuchs in Rumänien auf, 1987 reiste sie in die Bundesrepublik Deutschland aus. Sie lehrte 2005 auf der neu an der Freien Universität eingerichteten Heiner-MüllerGastprofessur für deutschsprachige Poetik der Stiftung Preußische Seehandlung. 2009 erhielt sie den Literaturnobelpreis.

Herta Müller

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