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Blick in die Ausstellung des Museums der Geschichte der polnischen Juden in Warschau.

© Janek Skarzynski/AFP

Plädoyer für ein polnisch-deutsches Museum: Die Nachbarn verstehen lernen

Besser als das diskutierte Polen-Denkmal könnte ein polnisch-deutsches Museum mit Sitz in Berlin und Warschau zur Versöhnung beitragen, meint unser Gastautor.

Berlin debattiert zurzeit über ein Denkmal für die im Zweiten Weltkrieg ermordeten Polen. Die Befürworter wollen damit an die rund fünfeinhalb Millionen polnischen Staatsbürger erinnern, die Opfer der Deutschen wurden. Der Vorstoß deutscher Polenforscher will außerdem die seitdem stattgefundene Aussöhnung zwischen den beiden Ländern loben.

Doch jenseits aller Probleme bei der Zwangsvergemeinschaftung jüdischer und nicht jüdischer Polen ignoriert der Vorschlag eine zentrale Tatsache: die mangelnde Kenntnis und das geringe Interesse der Deutschen an ihrem Nachbarland. Laut einer aktuellen Umfrage waren zwei Drittel der Deutschen noch nie in Polen, und nur 29 Prozent empfinden Sympathie für die Nachbarn.

Ähnlich schlecht ist es um das Wissen über Polens Schicksal unter deutscher Herrschaft bestellt. Der Überfall 1939, der Massenmord und die Zerstörung des Landes haben sich tief ins historische Gedächtnis unserer Nachbarn eingegraben. Die genozidalen Verbrechen der Deutschen sind deshalb trotz bemerkenswerter Schritte der Annäherung nach wie vor ein wichtiges Thema für Politik und Gesellschaft – freilich nur jenseits der Oder, nicht bei uns.

Vernachlässigte deutsche Gewaltgeschichte in Polen

Dieser Zustand ist Schulen und Gedenkstätten geschuldet, die ihren Fokus auf den Holocaust legen. Dafür gibt es gute Gründe, doch das darf nicht zur Folge haben, dass andere zentrale Aspekte der deutschen Gewaltgeschichte unberücksichtigt bleiben. Und wo diese auf wenig Aufmerksamkeit stoßen, fällt die so viel längere deutsch-polnische Geschichte vollkommen dem Vergessen anheim. Das herausragende deutsch-polnische Geschichtsbuch, selbst ein Zeichen für die Versöhnung der beiden Länder, findet wegen überwiegend national ausgerichteter Lehrpläne nahezu keine Verwendung.

Diese Befunde sind ein Armutszeugnis erster Güte – auch für die Bemühungen um gegenseitige Annäherung. Die Initiatoren des Denkmals schließen deshalb zuvorderst von sich selbst auf andere. Sie setzen ihr eigenes Engagement und ihr Wissen mit einem gesellschaftlichen Zustand gleich, den es schlicht nicht gibt. Auf diese Weise würde das Denkmal, so ehrenwert die dahinter stehenden Absichten auch sind, zu einer inhaltsleeren Hülle ohne Relevanz. Und mehr noch: Anstatt das Wissen über den Partner zu vergrößern, das Verständnis füreinander zu erhöhen, die kritische Reflexion der gemeinsamen Geschichte zu stimulieren und die Verbrechen des Krieges in einen breiten Kontext einzuordnen, fördert es einmal mehr die gefürchtete Schlussstrichmentalität. Polen als Thema wäre damit auf Jahre hinaus gewissermaßen abgehakt.

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Ein Vorbild ist das deutsch-russische Museum in Karlshorst

Um wie viel größer wäre die Ausstrahlungskraft eines polnisch-deutschen Museums! Schon rein symbolisch wäre es ein Zeichen dafür, dass Polen die gleiche Hochachtung erfährt wie Russland, denn in Berlin-Karlshorst gibt es bereits eine eindrucksvolle Gedenkstätte, die sich den deutschen Verbrechen in der Sowjetunion widmet. Ein Museum steht auch für die tatsächliche materielle Wertschätzung und bietet ganz andere, zugleich umfassende und differenzierte Bildungsmöglichkeiten, die den besonderen Beziehungen der beiden Nachbarn Rechnung tragen können. Das geeignete Vorbild hierfür wäre das „Polin“-Museum in Warschau, das höchst avanciert die jüdisch-polnische Geschichte zeigt und als schwierige, aber durchaus erfolgreiche Beziehung charakterisiert.

Als ein binationales Projekt mit Wissenschaftlern und Kuratoren aus beiden Ländern wäre sogar ein Doppelmuseum mit je einem Haus in Berlin und in Warschau denkbar – und besonders reizvoll. Die Verbrechen aus den Jahren nach 1939 ließen sich in vielfältigen Kooperation erzählen, etwa mit dem Museum des Warschauer Aufstands, dem des Zweiten Weltkriegs in Danzig oder in Berlin mit der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung, deren Ausrichtung inzwischen auch bei offiziellen polnischen Stellen auf Zustimmung trifft. Hier ginge es nicht nur um Faktenvermittlung, sondern auch um Perzeptionen und Deutungen auf beiden Seiten der Oder.

Die komplexe Gemengelage ausleuchten

Das schließt explizit die Positionen und Sichtweisen der deutschlandkritischen polnischen Regierungspartei PiS ein. In deren Kreisen gilt das vorgeschlagene Denkmal einerseits als Schritt in die richtige Richtung, andererseits als Ablenkungsversuch der Deutschen vom unangenehmen Thema der Reparationen. Derartige Aufladungen werden sich nie vermeiden lassen, aber ein Museum böte in diesem Fall den Raum, um die komplexe Gemengelage von deutschen Zerstörungen und Massenmord, verweigerten Zahlungen, dem polnischen Gewinn Pommerns, der Neumark und Schlesiens einerseits und dem Verlust östlicher Gebiete zwischen Wilna und Lemberg andererseits sowie zwischenstaatlicher Verzichtserklärungen durch mehrere Nachkriegsregierungen auszuleuchten.

Was hier nur angedeutet werden kann, ließe sich etwa im Rahmen einer Wechselausstellung multiperspektivisch darstellen – und gerade diese Vielschichtigkeit ist vonnöten. Beide Länder nehmen sich gegenseitig oft eindimensional wahr und ignorieren, dass es sich um lebendige Gesellschaften mit vielerlei Strömungen und Sichtweisen handelt. Nicht zuletzt rekurriert die PiS auf breite Wählerschichten, deren Anliegen und Motivationen hierzulande wenig bekannt sind. Diese zur Kenntnis zu nehmen, wäre ein wichtiger Schritt hin zu gegenseitigem Verständnis – und ist nicht mit der Übernahme dieser Positionen zu verwechseln. Aber Kooperation darf sich nicht nur auf genehme Partner beschränken. Das gilt natürlich für beide Seiten, und auch deshalb wäre ein Museum als Institution ein Ort des Austausches und des Dialogs.

Über weite Strecken ein positives Narrativ

Eine solche Einrichtung kann und muss deshalb den breiten Kontext bieten. Sie muss über die Teilungen Polens im 18. Jahrhundert informieren, die als ein Verbrechen an der polnischen Nation gelten, obwohl es damals noch gar kein Nationsverständnis gab. Sie muss von Migrationsbewegungen aus Deutschland erzählen, von der mittelalterlichen Ostsiedlung bis hin zum Generalplan Ost der Nationalsozialisten – und nuanciert über wahrgenommene Kontinuitäten und tatsächliche Unterschiede aufklären. Sie muss über die deutsche Begeisterung für den polnischen Novemberaufstand 1830/31 berichten, aber auch über den Unwillen der Frankfurter Nationalversammlung 1848, polnische Territorien nicht ins Reich einzugliedern. Und sie muss ausführlich auf das 20. Jahrhundert eingehen, von der vergleichsweise milden Besatzung im Ersten Weltkrieg, die den Grundstein für die polnische Staatlichkeit 1918 legte, bis hin zur Solidarnosc als Katalysator für den Zusammenbruch des Ostblocks.

Das Museum könnte sogar über weite Strecken ein positives Narrativ erzählen: So beschlossen 1453 die Danziger Stadtväter, dem polnischen König zu huldigen, weil sie nicht mehr unter der Herrschaft des Deutschen Ordens stehen wollten. 1697 wählte der polnische Sejm, das Parlament aller Adligen des Landes, den Wettiner August den Starken zum König. Zwei friedliche Herrschaftswechsel, beide Male ökonomisch motiviert. Als im 17. und 18. Jahrhundert Zehntausende Deutsche an der Weichsel oder in Wolhynien siedelten, taten sie es auf Einladung der polnischen Herrscher. Und als im 19. Jahrhundert eine noch größere Anzahl von Polen ins Ruhrgebiet ging, um dort im Bergbau tätig zu werden, waren sie ebenfalls gefragte Arbeitskräfte.

Die Polen schätzen die Deutschen mehr als umgekehrt

Wie die Demoskopie zeigt, haben die Deutschen heutzutage viel Kredit in Polen. Wir werden von unseren Nachbarn mehr geschätzt, als wir sie schätzen. Das ist angesichts dieser Geschichte durchaus erstaunlich und nicht selbstverständlich. Doch dieser Normalisierung von polnischer Seite steht hierzulande viel Ignoranz und Unwissen gegenüber. Aber Polen ist ein zu wichtiger Partner und Freund, um ihm mit Geringschätzung zu begegnen.

Es ist eine ganz besondere Beziehung, und das nicht nur, weil Polinnen zahlenmäßig seit einigen Jahren bereits in der Statistik binationaler Ehen in Deutschland an der Spitze stehen. Sie ist seit Hunderten Jahren gewachsen, sie hat Höhen und Tiefen erlebt, und sie findet ihren Ausdruck auf vielen Ebenen, wirtschaftlich, persönlich, intellektuell, künstlerisch und politisch. Sie verdient mehr als nur ein Denkmal. Es ist höchste Zeit für ein polnisch-deutsches Museum, das die Geschichte einer lebendigen Beziehung vermittelt, Sichtweisen erklärt und das gegenseitige Verständnis zweier befreundeter Gesellschaften verstärkt.

Der Autor ist Professor für Holocaust-Studien und Jüdische Studien am Touro College Berlin. 2010 bis 2016 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Historischen Institut Warschau.

Stephan Lehnstaedt

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