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Das neue Haus der Stabi am Potsdamer Platz. Es wurde 1978 eröffnet. Der Bau Unter den Linden stammt von 1914, die Eröffnung eines neuen Lesesaals verzögert sich.

© Thilo Rückeis

Die Stabi wird 350: „Glanzvolles Heim für die berühmteste Bibliothek der Welt“

Vor 350 Jahren schuf der Große Kurfürst die Staatsbibliothek zu Berlin. 1914 gab es Lob aus Harvard. Heute widersteht sie dem Bedeutungsverlust im digitalen Zeitalter.

Am Anfang schon war das Wichtigste gesagt. „Pro te bonoque publico“ (Für dich und das Gemeinwohl) hieß es im Apothekenflügel des Berliner Schlosses, in dem 1661 die „Churfürstliche Bibliothek zu Cölln an der Spree“ ihren Sitz fand. Dass durch den Einzelnen und seine Beschäftigung mit Büchern das Gemeinwohl gefördert werde, ist ein zutiefst humanistischer Gedanke. Er rechtfertigt die Existenz öffentlicher Bibliotheken. Im Todesjahr des Kurfürsten 1688, der die Einrichtung einer solchen Bibliothek angeordnet und damit das Gründungsjahr der heutigen Staatsbibliothek bezeichnet hatte, betrug ihr Bestand 20 000 Bände, eine für damalige Zeiten höchst respektable Zahl.

Heute, im Jahr ihres 350. Jubiläums, rühmt sich die „Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz“ eines schier unüberschaubaren Bestandes von rund 11 Millionen Bänden Druckschriften. Hinzu kommen 2,2 Millionen weitere Druckwerke sowie 10 Millionen nicht gedruckter Informationsträger. 350 Jahre Staatsbibliothek spiegeln Wachstum und Wandel der Speichermedien des Weltwissens, ob handgeschrieben, gedruckt oder digitalisiert. Die „Gutenberg-Galaxis“, wie sie mit dem 1962 von Marshall McLuhan geprägten Begriff als Synonym für die neuzeitliche Welt westlicher Prägung gelten konnte, ist im Zerfall begriffen, ohne dass die Welt des Webs bereits ein vollständig anderes Paradigma an deren Stelle gesetzt hätte. Wenn sie es denn je könnte.

Dass es vielmehr zu einer Überlagerung und Überblendung verschiedener Kulturtechniken bereits gekommen ist, dafür steht exemplarisch die Staatsbibliothek. Längst sollte im Altbau Unter den Linden der strahlend neue Lesesaal in Benutzung sein. Mit der Restaurierung seiner doch auch erst 97 Jahre alten baulichen Hülle sollte seine Eröffnung die Krönung des Jubiläumsjahres 2011 werden, doch wie berichtet ist sie um mindestens ein Jahr verschoben.

Das Ensemble ist jedenfalls ein doppelter Anachronismus: Der wiederhergestellte Altbau von 1914, der in den Formen noch früherer Zeiten Halt suchte. Und ein neuer Lesesaal als dessen räumliche und geistige Mitte, der den Gebrauch des gedruckten Buches feiert, wie er 1454 mit der Gutenberg-Bibel begann. Mit seinem gläsernen Kubus will Architekt HG Merz, „nahtlos aus dem steinernen ,kaiserlichen Reichsberlin’ in die transluzente Gegenwart übergehen“. Als ob das Durchscheinende als Symbol der Informations(all)verfügbarkeit heute noch am Glas sich zeigt, statt an der unerschöpflichen Auskunftsfähigkeit des dezentralen World Wide Web.

Von solchen Unsicherheiten konnte nicht im Geringsten die Rede sein, als der Neubau der Königlichen Bibliothek Unter den Linden am 22. März 1914 eröffnet wurde. Herz- und Glanzstück des von Wilhelm II. Lieblingsarchitekten Ernst von Ihne in trockenem Neobarock entworfenen Gebäudes mit seinen gewaltigen Ausmaßen von 107 Metern Straßenbreite am Lindenboulevard und 170 Metern Tiefe bis zur Dorotheenstraße war der Kuppellesesaal. Mit ihm gedachte Berlin dem berühmten Round Reading Room des British Museum in London Paroli zu bieten.

Die Eröffnungsfeierlichkeiten bildeten einen späten Höhepunkt wilhelminischer Selbstdarstellung, kaum mehr als vier Monate vor der Entfesselung des Ersten Weltkriegs. Noch ein letztes und großartigstes Mal zeigte sich die Internationale des Geistes. Berühmt das Telegramm zur Eröffnung, in dem der Direktor der Universitätsbibliothek von Harvard das Berliner Bauwerk als „glanzvolles Heim für die berühmteste Bibliothek der Welt“ pries.

1918 war die Monarchie erledigt, doch übernahm das nunmehr republikanische Land Preußen die kulturpolitischen Verpflichtungen in vorbildlicher Weise. Die anderthalb Jahrzehnte bis 1933 bilden die Glanzzeit der nunmehr Preußischen Staatsbibliothek. 1925 besuchen täglich 1600 Nutzer den gewaltigen Lesesaal und seine Trabanten. Die Bestände wachsen von 1,8 auf 2,5 Millionen Bücher, und Kurt Tucholsky, selbst eifriger Benutzer, spöttelt: „Draußen klingeln die Bahnen, hier muffeln kurzsichtige Professoren in dicken Wälzern.“ Fritz Milkau, Generaldirektor der zwanziger Jahre, postuliert in tiefem Ernst: „Die Kardinaltugend des Bibliothekars ist Ordentlichkeit.“

Spott oder Ernst, die Staatsbibliothek steht beispielhaft für all jene Großtaten desjenigen Preußen, das die besten Traditionen dieses Staatswesens aus monarchischer Vergangenheit in republikanische Gegenwart hinüberführte, von der benachbarten Universität bis zu den Museen in der Nähe. Und mit ihnen teilt sie das Schicksal der NS-Barbarei: Die jüdischen Mitarbeiter werden gleich Anfang 1933 entlassen, die „Benutzer jüdischer Rasse“ werden per Plakatanschlag aufgefordert, „das Bibliotheksgebäude zu meiden“.

1944 versinken der Lesesaal und die benachbarte Universitätsbibliothek im Bombenhagel. Eine Sprengbombe schlägt durch bis in den Keller. Nicht einmal drei volle Jahrzehnte hatte der Saal sein „Fluidum“, von dem so viele Nutzer schwärmten, verströmen können. Er sollte nie wieder erstehen. Auch der Vorgängerbau der Staatsbibliothek, die von Friedrich dem Großen angeordnete „Kommode“ am Opernplatz von 1788 wurde zerstört.

In der DDR versieht die „Deutsche Staatsbibliothek“ ihren Dienst im so weit als nötig wiederhergestellten Altbau. Im Westen Berlins markiert die Eröffnung des „Goldenen Bücherbuckels“ von Hans Scharoun im Dezember 1978 das Ende unschöner Provisorien. 230 Millionen DM, eine Summe, die die Stiftung Preußischer Kulturbesitz als Träger jahrelang an den Rand ihrer Handlungsfähigkeit drückte, verschlang der Bau, dessen endgültige Fertigstellung von der Grundsteinlegung an glatte elf Jahre dauerte. Und nur noch einmal elf Jahre mussten vergehen, um mit dem Untergang der DDR die Frage der Vereinigung der längst auseinandergewachsenen Bestände in Ost und West aufzuwerfen.

Eine Periode durchaus heftiger Diskussionen begann. Alles in den Scharoun-Bau an der Potsdamer Straße? Oder gar, wie vom Bundesrechnungshof gefordert, ein kompletter Neubau? Pragmatismus und politische Vernunft führten schließlich zum Konzept der „einen Bibliothek in zwei Häusern“, wie es die Grundlage der künftigen Arbeit bildet.

Die praktischen Nutzungsprobleme der am Jahresschnitt 1945 geteilten Bestände, die in den neunziger Jahren die Gemüter erhitzten, und die feinen Abgrenzungsprobleme zwischen der „Historischen Forschungsbibliothek“ im Haus Unter den Linden und der „Forschungsbibliothek der Moderne“ an der Potsdamer Straße erscheinen heute bereits als Relikte einer vergangenen, der vor-digitalen Epoche. Informationen, die jahrelang nur mit äußerster Mühe aus disparaten Zettelkatalogen zu beschaffen waren, von der Auffindbarkeit oder gar Bereitstellung des Buchmaterials ganz zu schweigen, lassen sich heutzutage von jedem Laptop aus gewinnen. Verzerrungen in der Nutzerstruktur, durch die unzureichende Versorgung der Berliner Universitäten verursacht und Gegenstand hilflos-gutgemeinter Notmaßnahmen, sind mit dem großzügigen Ausbau der universitären Bibliothekslandschaft mittlerweile geglättet.

Als geglättet anzusehen ist auch der eher symbolpolitische Streit um den Begriff der „Nationalbibliothek“. Keine der deutschen Bibliotheken kann ihn mit uneingeschränktem Recht für sich reklamieren, mag auch die bisherige Deutsche Bibliothek mit ihren gleichfalls zwei Häusern in Frankfurt/Main und Leipzig sich mittlerweile so nennen. Mit ihr und der Bayerischen Staatsbibliothek bildet die Berliner Staatsbibliothek „die“ deutsche Nationalbibliothek in virtueller Gestalt.

Als prima inter pares erfüllt die Staatsbibliothek zu Berlin alle Anforderungen einer wissenschaftlichen Universalbibliothek. Die Zukunft hat längst begonnen, sie heißt Digitalisierung der Bestände und damit weltweiter Zugriff. Der physische Gebrauch des Buches ist nicht länger unabdingbar. Und doch hat sich der besondere Reiz der taktilen Buchbenutzung nicht nur erhalten, es wird sich auch im neuen Lesesaal Unter den Linden ein neues, altes „Fluidum“ wieder einstellen, müssen sich die Nutzer auch bis zum 351. Jubiläum der Staatsbibliothek gedulden. Es geschieht ja für nichts Geringeres als das von Beginn an leitmotivische „Pro te bonoque publico“.

Im Deutschen Historischen Museum wird am 4. März die Ausstellung „Eine Bibliothek macht Geschichte“ in der ständigen Ausstellung im Zeughaus eröffnet. Informationen zum Jubiläumsjahr im Internet unter http://staatsbibliothek-berlin.de/sbb350

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