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Zurück zur Natur. Im Zuge der Umweltbewegung wurden Heimat und regionale Zugehörigkeit neu definiert.

©  Kitty Kleist-Heinrich

Ein Begriff und seine Bedeutungen: Die Rückkehr der Heimat

Der Heimatbegriff durchzieht die deutsche Geschichte – von verschiedensten Gruppen wurde er immer wieder neu entdeckt.

Schon wieder Heimat? Heimat hat zweifellos Konjunktur. Allenthalben wird darüber im deutschsprachigen Raum reflektiert. Das Wort ist alltäglich und kommt in Medien, Werbung und Politik gleichermaßen vor. Die deutsche Geschichte ist seit dem 19. Jahrhundert von dem Wort gleichsam durchzogen.

Es findet sich bei völkisch-chauvinistischen Bewegungen als Abwehrbegriff gegen Moderne und alles „Fremde“, aber auch im Vokabular der Linken. In seiner Regierungserklärung vom 18. Januar 1973 erwähnte Willy Brandt Heimat mehrfach und hob darauf ab, dass die Bürger „eine Heimat in der Gesellschaft, die allerdings nie mehr ein Idyll sein kann – wenn sie es je war“, suchten.

Identitätsprozesse

„Heimat“ lässt sich als scheinbar genauere Bestimmung vor viele Phänomene setzen. Es scheint, als würden Sachverhalte so zugänglicher, vorstellbarer, sympathischer und menschlicher. In der Unbestimmtheit des Begriffs zeigt sich seine emotionale Seite, die ihn für Marketingzwecke jeder Art attraktiv macht.

Offenbar bildet Heimat einen Kristallisationspunkt von Identitätsprozessen, die angesichts von Modernisierung, Krisen und Globalisierung eine stabile Verortung des Individuums anboten und bis heute anbieten. Heimat wird so zu einer Grundeinheit, die sofort wieder abgerufen werden kann, wenn größere Einheiten zerbrechen oder gefährdet sind.

Das Wort „Heimat“ findet sich in je unterschiedlicher Schreibweise bereits in mittel-, alt- und mittelniederdeutschen Sprachquellen. Der ursprüngliche Bedeutungsgehalt lässt sich in etwa mit „Stammsitz“ eingrenzen. Die politische Aufladung des Heimatbegriffs lässt sich in der Hochliteratur indes erst ab dem 18. Jahrhundert nachweisen.

Gleichzeitig taucht „Heimat-/heimat-“ vermehrt als Vorsilbe auf, die oftmals topografische Begriffe genauer bestimmte, Heimatland, Heimathaus, Heimatgewässer, oder Gefühle oder Zustände beschrieb, etwa heimatsüchtig oder heimatlos. Seit der Aufklärung wurde also im deutschen Sprachraum – und nicht nur dort – über „Heimat“ und deren Bedeutung für Individuen und Gruppen reflektiert.

Trotz der Offenheit des Begriffs orientierte sich eine Reihe von Institutionen im Deutschen Kaiserreich immer stärker an konservativen, völkischen, chauvinistischen und rassistischen Vorstellungen. Sichtbar wurde das in den nationalen Dachverbänden wie zum Beispiel im Dürerbund (gegründet 1902 in Dresden) und im Bund Deutscher Heimatschutz (gegründet 1904 ebenfalls in Dresden).

Beide zielten auf die Bewahrung und den Schutz dessen, was zwar lokal als spezifisch, aber dennoch als deutsch galt – in Kunst, Kultur oder Natur. Im Grundsatz kritisch bis ablehnend gegenüber der Moderne und der Industriegesellschaft eingestellt, sahen sie in der Verwurzelung des Menschen in einer Landschaft ein Gegenmittel.

Damit einher ging eine Abwehrhaltung gegenüber allem „Fremden“ und die Idealisierung einer organischen Verknüpfung von Volkstum, Landschaft und Natur. Hieraus ergaben sich zahllose Anknüpfungspunkte an die völkische Ideologie.

Gleichschaltung

Die Heimatbewegung der Weimarer Republik entfaltete auch deswegen Wirkung, weil Heimatkunde stärker in den schulischen Lehrplänen verankert wurde und damit als Teil staatsbürgerlicher Erziehung galt, dort freilich nicht in radikaler Form. In der NS-Zeit zielten die Machthaber dann darauf, auch die Heimatbewegung zu zentralisieren, „gleichzuschalten“ und den ideologischen Vorgaben des Regimes entsprechend umzuwandeln.

Zwar ließ sich mit Verweis auf „Heimat“ im Sinne der NS-Ideologie argumentieren. Doch deckungsgleich waren die Konzepte der organisierten Heimatbewegung und der NSDAP keineswegs. Die Heimatbewegung basierte auf einem föderalistischen, lokalen Prinzip, während die Idee einer übergreifenden, ethnisch homogenen „Volksgemeinschaft“ einen Kern der NS-Ideologie darstellte. Eine gemeinsame Formel hob auf das Prinzip ab, dass erst Heimatliebe zur Vaterlandsliebe befähige.

Obwohl die kulturkonservative, nationale und zuweilen auch rassistische Ausrichtung der bestehenden Vereine und Verbände Anknüpfungspunkte zu den neuen Machthabern bot, ließ sich der Eigensinn der Heimatbewegung nicht einfach ausschalten und überformen. Führende Köpfe der Heimatvereine und -verbände biederten sich zwar dem Regime an und mochten teils auch überzeugte Nationalsozialisten sein. Es blieb aber bei einem gewissen Freiraum, der im Übrigen nach 1945 als Zeichen von Politik- und Ideologieferne gedeutet werden konnte.

Ist der national-chauvinistische Heimatdiskurs im späteren Kaiserreich hin zum Nationalsozialismus wirklich so dominant gewesen? Anders stellt sich die Lage dar, wenn auf liberale und „linke“ Heimatdiskurse geschaut wird. So brachte der spätere Friedensnobelpreisträger Alfred Hermann Fried 1908 in einem Aufsatz über Patriotismus das Heimatgefühl gegen überzogenen Nationalismus in Stellung.

Er argumentierte: „Die Gewohnheit an Personen, Dinge, und Einrichtungen, soweit diese mit den Sinnen wahrgenommen werden können, bilden das ursprüngliche und eigentliche patriotische Empfinden, das Heimatgefühl.“ Im linken Diskurs war Heimat ein ortloser Begriff, der auf sozialistische Gemeinschaft zielte, unabhängig davon, wo diese Gemeinschaft verwirklicht würde: „Unsere Heimat ist die Welt: Ubi bene ibi patria – wo es uns wohl geht, das heißt, wo wir Menschen sein können, da ist unser Vaterland“, formulierte es Wilhelm Liebknecht 1871.

Migration und Integration

Nach dem Zweiten Weltkrieg haben die massiven Bevölkerungsverschiebungen durch Flucht und Vertreibung die frühe Bundesrepublik wie die DDR geprägt. Die Bevölkerung musste sich mit den Neuankömmlingen arrangieren, und alle hatten die Veränderungen der eigenen Lebenswelt zu verarbeiten. Heimat spielte daher in den gesellschaftlichen Diskursen eine große Rolle: Die „Heimatvertriebenen“ suchten ihren Platz in der jeweiligen Nachkriegsgesellschaft in Ost- und Westdeutschland und hofften teilweise auf eine Rückkehr in die verlorenen Gebiete.

Wenngleich die wohl vor allem von der Politik der 1950er und 1960er Jahre gepflegte Erzählung von der raschen und gelungenen Integration der Vertriebenen seit längerer Zeit wesentlich differenzierter gesehen wird, bleibt doch zweierlei bislang eher wenig untersucht: die soziokulturelle Erfahrung der Ankommenden und die Identifikationsprozesse mit der neuen Umgebung.

Dort trafen sie auf lokale Heimatvereine und -verbände, die an ihre Tätigkeiten vor 1933 anknüpften und gleichzeitig ihre Verstrickung in den Nationalsozialismus bagatellisierten – wenn diese überhaupt zur Sprache kam. Somit boten „heimatkulturelle und geschichtspolitische Sinnstiftungen in der langen Nachkriegszeit bis in die sechziger Jahre einen weitgespannten Integrationsraum“, vermutet der Historiker Habbo Knoch. Dieser Integrationsraum umspannte nicht nur die Zugewanderten, sondern eben auch die Einheimischen.

Ganz anders in der DDR. Die Ost-Berliner Regierung lehnte das Konzept „Heimat“ zunächst ab, denn es galt als Hort unausrottbarer romantisierender (Klein-)Bürgerlichkeit. Gleichwohl ließen sich die regionalen Kulturvereinigungen nicht einfach in die sozialistischen Massenorganisationen eingliedern und auf den politisch gewollten Internationalismus einschwören.

Stattdessen entwickelte man einen sozialistischen Heimatbegriff, der die Rolle des Einzelnen im Kollektiv für seine unmittelbare Lebenswelt hervorhob. Bindung an die sozialistische Heimat sollte auch ein Mittel gegen die Massenflucht nach Westen sein, zielte aber ebenso gegen (kulturelle) Einflüsse aus dem kapitalistischen Ausland.

Unser Dorf soll schöner werden

Mit den 1970er Jahren wurde ein neues Kapitel im Umgang mit „Heimat“ aufgeschlagen: „Im Kontext der Umweltbewegung der 1970er Jahre wurde Heimat neu definiert und regionale Zugehörigkeit rehabilitiert“, diagnostiziert der Kulturwissenschaftler Axel Goodbody. Denkmalpflege, Altstadtsanierung und Dorferneuerung, Altstadtfeste oder der museale Heimatboom der 1970er: Vieles steht damit im Zusammenhang. Die Anti-Atomkraft-Bewegung, die Identitätsdiskussionen der 1980er Jahre sowie die Auseinandersetzung mit Globalisierung und nicht zuletzt die deutsche Einigung erfolgten auch immer wieder im Rückgriff auf Heimatkonzepte, Regionalismus und lokale Identifikationspolitiken, unabhängig davon, ob ländlich oder städtisch geprägt. Bei der Geschichte von Naturschutz und Umweltbewegungen lassen sich die Wurzeln sogar auf die Heimatbewegung des Kaiserreichs zurückführen.

Heimat wird zwar als ausgesprochen deutsches Thema wahrgenommen. Doch ist das, was im deutschen Sprachraum unter den Begriff Heimat gefasst wurde (und wird), kein rein deutsches Phänomen. Vergleiche mit analogen Bewegungen weltweit würden das nachweisen – etwa bei Natur- und Umweltschutz.

In der Psychologie wie in Teilen der Kulturanthropologie beispielsweise gilt „Heimat“ als ein Grundprinzip menschlicher Identität. Es beschreibt ein Geflecht von Beziehungen, welches die Position von Individuen in Gruppen und Gesellschaft lokal, regional, national und global verortet. Letztlich ließe sich damit ein Grundkonzept moderner Vergesellschaftung fassen – unabhängig davon, um welche Kultur und welchen Sprachraum es sich handelt.

Der Autor ist Professor für Neuere Geschichte an der Universität Köln. Sein Artikel basiert auf einem Beitrag für die Internetenzyklopädie Docupedia und ist soeben mit dem „Zeitgeschichte digital“-Preis des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam ausgezeichnet worden.

Jens Jäger

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