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Ideenfülle. Aus der Forschung in die Klinik, das ist das Ziel „Translationaler Medizin“, die auf dem Future Medicine Kongress am Donnerstag im Fokus stand. Über 60 neue Trends, Techniken und Forschungsansätze für Diagnosen und Therapien wurden vorgestellt.

© Dominik Lindner/Tsp

Aus der Forschung in die Klinik: Einzelne Zellen, viel Hoffnung

Mit KI und Einzelzellanalyse wollen Forscher Diagnose und Therapie optimieren. Und stellen ihre Ideen auf der Future Medicine Konferenz im Berliner Kosmos vor.

Es passierte im ersten Jahr der praktischen Ausbildung des angehenden Hautarztes Titus Brinker: Ein Patient kam mit einem weit fortgeschrittenen Hautkrebs in die Praxis – an seinem Penis. „Warum sind sie nicht früher gekommen?" Er komme aus einem kleinen Dorf, habe der Patient geantwortet. Nicht nur dauere es lange, überhaupt einen Termin zu bekommen, auch kenne sein Hautarzt alle seine Freunde. Seinen Intimbereich herzeigen zu müssen, sei ihm unangenehm gewesen. „Die Geschichte nahm kein gutes Ende“, erzählte Brinker, inzwischen am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen in Heidelberg, am Donnerstag auf der Future Medicine Konferenz des Tagesspiegels im Berliner Kosmos.

Nach der dringend nötigen Operation habe der Mann sehr gelitten und sich sogar umbringen wollen Doch Brinker brachte das Beispiel auf eine Idee: Über eine Smartphone-App könnten Patienten Bilder auffälliger Hautstellen an Fachärzte schicken, ohne ihre Identität preiszugeben. Die Experten könnten zu einer ersten Einschätzung kommen. Inzwischen hat Brinker sogar zwei Apps, „IntimArzt“ und „AppDoc“, über die Patienten binnen 30 Minuten eine erste Fachmeinung erhalten. Sonst dauere es etwa drei Monate, einen Termin bei einem Hautarzt zu bekommen, sagt der Arzt. Über 2500 Patienten hätten die Apps schon genutzt.

Brinkers Apps sind erst seit kurzem erhältlich. Die Fachärzte für Geschlechtskrankheiten, die sich die Bilder ansehen und den Patienten antworten, stammen aus Baden-Württemberg und rechnen ihre Arbeit gemäß Gebührenordnung ab. Die Landesärztekammer unterstützt das Projekt. Der Patient zahlt 24,95 Euro, die aber bald auch von den Krankenkassen übernommen werden könnten, sollte das Digitale Versorgungsgesetz angenommen werden, das die Erstattung nachweislich hilfreicher Apps erlauben will.

Millionen einzelner Zellen gleichzeitig analysieren

Das Beispiel ist nur eines von vielen, wie Digitalisierung das Gesundheitssystem, die Diagnose und die Behandlungschancen verbessern können. Auf dem Future Medicine Kongress wurden etliche Anwendungen vorgestellt, darunter auch solche, von denen denen der Patient vermutlich nie etwas erfahren wird – etwa in der Forschung. Dort spiel das gezielte Durchsuchen und Analysieren großer Mengen von Daten eine immer größere Rolle.

Maria Heinrich von der Charité Berlin etwa fahndet mit Computerunterstützung nach der Ursache des „postoperativen Deliriums“. Fast jeder zweite Operierte über 65 ist orientierungslos, verwirrt oder halluziniert, und nicht jeder erholt sich davon wieder. Heinrichs Team verglich Operierte, denen es nach dem Eingriff gut ging, mit jenen, die ins Delirium rutschen – ihre Blutwerte, Erbgut- und Proteindaten und vieles mehr: Ein „Multiomics“-Ansatz, der die Unterschiede zwischen Gesunden und Kranken aufdecken hilft – ohne Computerhilfe und künstliche Intelligenz undenkbar.

Alexander Seitel vom Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg hat hingegen ein Problem gelöst, das Patienten kennen: die Entnahme von Gewebeproben. Bislang stechen Ärzte dabei mit einer langen Nadel durch Haut und Darunterliegendes, um etwa aus der Brust Krebszellen einzusammeln. Etwa 6000 Biopsien werden jeden Tag in Deutschland durchgeführt – mehr oder weniger „blind“. Da wird das Ziel verfehlt, Gefäße verletzt und viel Zeit verstreicht, bis es klappt. Eine Art Google-Maps für Biopsien soll das ändern. Seitels „EchoTrack“ koppelt die Nadel mit einem Ultraschall und leitet den Arzt so zum Ziel.

Landet solch eine Tumorprobe dann im Labor zur genaueren Analyse, betrachteten Ärzte und Forscher den Zellhaufen bis vor kurzem noch als homogen. Inzwischen wissen sie, dass ein Tumor aus vielen unterschiedlichen Zellen besteht. Manche sind in der Lage, Tochtergeschwulste zu bilden, andere nicht. Manche haben weniger Genmutationen und Veränderungen der Chromosomenzahl und -struktur als andere. Daher versuchen Forscher inzwischen, jede der Millionen Zellen eines gesunden oder kranken Gewebes einzeln zu analysieren.

Krebszellen haben viele Erbgutveränderungen – aber sind sie eher homogen, ist die Therapie-Prognose gut

So gibt es einzelne Krebszellen, die statt der üblichen 46 Chromosomen Dutzende mehr haben, anderen fehlen welche, in wieder anderen mischen sich die Bruchstücke zu neuen Chromosomen zusammen. Matthew Robert Huska vom Max-Delbrück-Centrum in Berlin-Buch sortiert Millionen dieser Zellen mit Hilfe des Computers, um so bessere Prognosen machen zu können, wie sich die Krebserkrankung eines Patienten weiterentwickeln wird. Je weniger heterogen die Chromosomenveränderungen der Krebszellen sind, umso besser ist die Prognose – das zeigen Huskas Analysen.

Der Vorteil, einfach alle Zellen einer Probe zu analysieren, und nicht nur Gruppen oder Teile einer Gewebeprobe, zeigt sich auch in der Forschung von Aleksandra Deczkowska vom Weizmann-Institut in Israel. Sie fand auf diese Weise einen Zelltyp, der nur in Gehirnen vorkommt, die unter Alzheimer oder anderen neurodegenerativen Erkrankungen betroffen sind: DAM-Zellen (disease associated microglia). Diese Immunzellen halten sich um die Alzheimer-typischen Plaques herum auf. „Es sieht aus, als ob die Zellen verhindern, dass die Plaques wachsen“. sagte Deczkowska. „Und wer diese Zellen bilden kann, ist besser vor Alzheimer geschützt.“ Wie sich dieses neue Wissen um die DAM-Zellen nun für die Therapie nutzen lässt, daran arbeitet die Forscherin gerade.

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