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Der Potsdamer Agrarökonom Benjamin Bodirsky (Mitte) diskutierte mit Renate Künast (Grüne) über die Probleme der Lebensmittelindustrie.

© Till Budde

Ernährung der Zukunft: Es scheitert an der Umsetzung

Viele Deutsche ernähren sich ungesund und die Politik reguliert nur wenig, kritisierten Forschende in einer Veranstaltung der Berlin Science Week. Auch die Ex-Bundesministerin Renate Künast war in der Runde dabei.

Von Elias Reuter

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Zucker und ungesunde Fette, vor allem aber verarbeitete Lebensmittel regieren die Absatzmärkte. Dafür sei unter anderem unsere Psyche verantwortlich, unsere „Steinzeitgehirne“, wie es Laura M. König, Gesundheitspsychologin von der Uni Wien formuliert. Sie saß an diesem Montag zusammen mit Akteuren aus Forschung und Politik auf einem Panel aus der Reihe „Science on the Spree“. Diskutiert wurde darüber, wie Ernährung künftig politisch gestaltet werden soll.

Früher, erklärte König, sei Süßes, Salz- und Fetthaltiges so rar gewesen, dass es für den Körper sinnvoll gewesen sei, sich bei deren Verzehr mit Glückshormonen zu belohnen. Doch heute lockten bunte Farben, blinkende Werbung und irreführendes Marketing Konsument:innen an die überquellenden Supermarktregale. Viele Waren sind hoch verarbeitet und enthalten billige Rohstoffe wie Weizen. Manche können sogar süchtig machen.

10
Prozent aller Deutschen leiden an einer Form des Diabetes

Besonders empfänglich sind Kinder, da diese oft nicht unterscheiden können, wann ihnen jemand etwas verkaufen möchte, und wann nicht. Ein neues Gesetzesvorhaben soll an Kinder gerichtete Werbung für ungesunde Lebensmittel stärker regulieren. Diese Maßnahme sei jedoch nicht effektiv genug, kritisierte der CDU-Politiker Oliver Vogt in der Gesprächsrunde. Bundesernährungsminister Cem Özdemir (Grüne) hatte im Februar das Gesetzesvorhaben vorgestellt. Gegenwind gab es schon damals besonders vonseiten der FDP.

Das Problem im System

Zudem hätten Menschen mit niedrigem Einkommen einen erschwerten Zugang zu gesunden Lebensmitteln, da diese oft teurer sind, ergänzte Renate Künast (Grüne). Das Problem gehe noch viel tiefer: „Die wahren Kosten liegen woanders, sie bilden sich im Klima ab.“ Die Produktion der Lebensmittel ist zu selten nachhaltig, darin sind sich die Diskutierenden einig.

Die wahren Kosten für Lebensmittel liegen woanders, sie bilden sich im Klima ab.

Renate Künast, ehemalige Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz

Denn was und wie viel wir essen, wirkt sich direkt auf die Landwirtschaft aus – also wie wir unsere Nahrung produzieren. Um Platz zu schaffen für die Viehwirtschaft, werden Flächen entwaldet und Moore zerstört. Die Nachfrage nach Fleisch ist hoch. Dabei ist die Tierhaltung für fast 70 Prozent der landwirtschaftlichen Treibhausgasemissionen verantwortlich – die Futtermittelproduktion nicht mitgerechnet. Die Böden leiden unter falscher Bewirtschaftung, Monokulturen und Pestiziden. Doch auch sie müssen gesund bleiben. Hier müsse mehr geforscht werden, sagte Künast.

Die fehlende Forschung sei jedoch nicht das Problem, widersprach Benjamin Bodirsky, Agrarökonom vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung: „Die Probleme sind längst klar“. Es scheitere zumeist an der Umsetzung. Als Beispiel führte er die 2020 von der Bundesregierung einberufene „Zukunftskommission Landwirtschaft“ an, ein Expertengremium, welches einen Maßnahmenkatalog zur Rettung der deutschen Agrarwirtschaft veröffentlichte.

Tatkräftige Mehrheiten

Dessen Ratschläge wurden von der amtierenden Regierung bislang nicht beherzigt. Künast hatte dafür eine Erklärung. Man könne ja „viel aufschreiben“, sagte sie. Um Ideen in die Tat umzusetzen, brauche es jedoch Mehrheiten. Die Zukunftskommission führe Ideale auf, für Beschlüsse bedarf es allerdings der Zustimmung des Bundesrates. Außerdem müssten diese mit den Länderinteressen und dem EU-Recht vereinbar sein.

50
Prozent der Deutschen sind übergewichtig

Andernorts ist die Diskussion um Erzeugung und Konsum von Lebensmitteln schon weiter. Staatliche Programme zur Förderung der körperlichen Betätigung und der gesunden Ernährung haben in Frankreich bereits für weniger Übergewichtige gesorgt. In Mexiko führte eine Zuckersteuer zu einem ähnlichen Effekt. 2016 führte Chile Warnungen auf Lebensmitteln ein, welche auf ungesunde Mengen von Inhaltsstoffe hinweisen.

Wieso also nimmt sich Deutschland nicht ein Beispiel? Schließlich gebe es häufig kaum eine vegane Option in Kantinen, dafür Süßigkeitenautomaten in der Schulmensa. „Das schlechteste Essen gibt es im Krankenhaus“, sagte Künast. Damit sich hier etwas bewegt, müsse noch viel getan werden, und zwar auf vielen verschiedenen Ebenen.

Hinweis: Wir haben die Affiliation von Frau König nachträglich korrigiert.

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