
© Gloza-Rausch et al., Museum für Naturkunde Berlin
Fressen und gefressen werden: Ratten machen Jagd auf Fledermäuse
Gruselige Szenen entdeckten Berliner Forscher auf Überwachungsvideos von Fledermäusen. Offenbar schnappen sich Ratten die Tiere im Flug und verspeisen sie teils noch vor Ort.
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Die Ratte hockt am Einflugsloch der Fledermauskolonie und reckt immer wieder die Nase in die Höhe. Als dann eine Fledermaus vorbeischwirrt, schnellt die Ratte hervor, packt mit ihren Vorderpfoten das geflügelte Tierchen und beißt zu. Das Flattern hört sofort auf.
Diese einmaligen Szenen beobachteten Berliner Forscher vom Museum für Naturkunde Berlin auf Infrarot-Videoaufnahmen, die sie in Norddeutschland machten. Diese entstanden in absoluter Dunkelheit an Höhlen am Segeberger Kalkberg. Dort überwintern jedes Jahr zehntausende Flugsäuger.
Das ist kein Einzelfall: Auf den Videos tauchten Ratten verschiedener Größe auf und in einem Versteck entdeckte das Forschungsteam neben Rattenkot die Überreste von mehr als 50 Fledermäusen. In einer 77 Kilometer entfernten Überwinterungshöhle am Lüneburger Kalkberg fanden sie Kadaver mit ähnlichen Bissspuren.
Die Forscher verurteilen das Verhalten der Jäger nicht: „Unsere Beobachtungen zeigen, wie anpassungsfähig und geschickt sich Wanderratten in städtischen Ökosystemen Nahrungsquellen erschließen“, wird Florian Gloza-Rausch in einer Mitteilung des Naturkundemuseums zitiert.
Nahrhafte Flattermänner
Auch auf die brennende Frage „Wie viele Kalorien hat eine Wasserfledermaus?“ gebe die Publikation im Fachblatt „Global Ecology and Conservation“ nun endlich Antworten, schreibt die Mitautorin Anja Bergmann auf der Plattform Linkedin. Die Antwort: etwa 45 Kilokalorien, also ungefähr so viel wie ein kleines Ei. Dies deckt mehr als die Hälfte des Tagesbedarfs einer Ratte. Würde sie sich nur noch von Fledermäusen ernähren, müsste sie pro Quartal etwa 140 der Tiere verzehren.
Anhand des Energiebedarfs der Rattenpopulation berechnete das Team, dass die Nager zusammen bis zu sieben Prozent der Fledermauskolonie in Segeberg eliminieren könnte. Damit stellt sie einen ernsten Bedrohungsfaktor für die geschützten Tiere dar.
Und nicht für Fledermäuse sind die Räuber ein Risiko. Auch für den Austausch von Krankheitserregern sei dieser Kontakt zwischen den Spezies eine „potenzielle Schnittstelle“. Fledermauskolonien beherbergen zahlreiche Viren und Bakterien. Über Ratten könnten sich solche Erreger dann im menschlichen Umfeld breiter verteilen. Ein unmittelbares Risiko konnten die Forschenden jedoch nicht nachweisen.
Die Ratten bekamen bei ihrer Jagd Unterstützung von unerwarteter Seite. Für ihre Untersuchung hatte das Forschungsteam schwarzen Stoff aufgehängt, um bessere Videoaufnahmen zu machen. Daran kletterten die räuberischen Nager aber empor bis an das Einflugloch.
Ratte frisst Fledermaus frisst Singvogel
Fledermäuse sind bei ihren nächtlichen Jagdtouren auch nicht zimperlich. Erst vor kurzem hatte ein anderes Berliner Team aufgedeckt, dass die größte Fledermausspezies Europas neben Insekten auch Jagd auf Singvögel macht. Anhand von Funksendern beobachteten sie, wie Riesenabendsegler Rotkehlchen und Sperlinge erlegen.
Die kleinen Singvögel wiederum können in der Brutsaison extrem aggressiv werden: Forscher der Universität Groningen beobachteten schon 2019, dass Kohlmeisen andere Vögel wie Trauerschnäpper im Kampf um Nistplätze angreifen und töten. Oft pickten sie dann sogar Gehirngewebe als Proteinquelle aus den toten Vögeln.
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