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Der Neandertaler-Forscher Svante Pääbo.

© Foto: Christian Charisius/dpa

Update

Für Erkenntnisse zur menschlichen Evolution: Nobelpreis für Medizin geht an Svante Pääbo

Jedes Jahr wird die Auszeichnung in sechs Kategorien verliehen. Der Medizinnobelpreis geht in diesem Jahr an den in Leipzig forschenden Schweden Pääbo. Er gilt als Begründer der Paläogenetik.

Der Nobelpreis für Medizin geht in diesem Jahr an den in Leipzig forschenden Schweden Svante Pääbo „für seine Erkenntnisse über die Genome ausgestorbener Menschenartiger und die menschliche Evolution“. Das teilte das Karolinska-Institut am Montag in Stockholm mit.

Pääbo gilt als Begründer der Paläogenetik, der Analyse von Erbinformation vergangener Lebensformen. Sie geht auch der grundlegenden Frage nach, was den modernen Menschen einzigartig macht. Pääbos Erkenntnisse zeigen auf, wie sich Homo sapiens von bereits ausgestorbenen Verwandten wie den Neandertalern und den Denisovaner-Menschen unterscheidet.

Der Mediziner und Biologe isolierte erstmals die Erbsubstanz DNA aus 1856 in der Nähe von Düsseldorf ausgegrabenen, rund 40.000 Jahre alten Fossilien von einem Neandertaler. Dabei handelte es sich um DNA aus Mitochondrien, Zellorganellen, die für die Energieversorgung zuständig sind.

Sie werden von Müttern an ihre Kinder vererbt. Im Vergleich zum Genom im Zellkern ist das der Mitochondrien klein. Für die Suche nach uralten Überresten der Erbsubstanz ist aber von Vorteil, dass es in jeder Zelle in tausenden Kopien vorliegt. Der Vergleich der mitochondrialen DNA aus den Fossilien mit Mitochondrien-Erbgut von modernen Menschen und unseren nächsten lebenden Verwandten, den Schimpansen (Pan troglodytes), zeigte Gemeinsamkeiten, aber auch erste Unterschiede.

2006 initiierte Pääbo am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig das Neandertaler-Genom-Projekt. In den Untersuchungen entwickelte Pääbos Gruppe Techniken, mit denen sie die DNA von Neandertalern effizienter aus fossilen Knochen herauslösen und analysieren konnten. Anhand von drei Fossilien aus Deutschland, Russland und Spanien gelang es dem Team, bis zum Jahr 2010 eine erste Version eines vollständigen Neandertaler-Genoms zusammenzusetzen.

Die Schwierigkeit bei solchen Rekonstruktionen liegt darin, dass das gesuchte Erbgut in geringer Menge und nur in kurzen Bruchstücken vorliegt. Dagegen enthalten die Knochen von Neandertalern nach Jahrtausenden im Boden bis zu 99,9 Prozent Erbgut von Bakterien und Pilzen. Pääbos Team arbeitete unter „Reinraum-Bedingungen“, um zu verhindern, dass sie versehentlich ihre eigene DNA in die Entschlüsselung einbrachten, und mit komplexen Computerprogrammen, die die DNA-Schnipsel mit Genomen von Schimpansen und Menschen verglichen. So konnte das Genom der Neandertaler rekonstruiert werden.

Gemeinsamkeiten nach getrennten Wegen

In der Evolution hatten sich die Entwicklungslinien von modernem Mensch und Neandertaler (Homo neanderthalensis) vor rund 800.000 Jahren getrennt. Die beiden Menschenarten lebten aber auch zeitgleich in den gleichen Gebieten, nachdem der moderne Mensch vor etwa 70.000 Jahren aus Afrika in andere Gebiete einwanderte. Pääbos Untersuchungen belegten erstmals, dass Neandertaler und moderne Menschen auch zusammen Nachkommen hatten und sich Neandertaler-Gene deshalb bis heute in unserem Genom finden. Dieser Genfluss beeinflusst zum Beispiel, wie unser Immunsystem auf Infektionen reagiert.

Die Nachbildung eines Neandertalers steht im Neanderthal Museum in Mettmann.
Die Nachbildung eines Neandertalers steht im Neanderthal Museum in Mettmann.

© Foto: Oliver Berg/dpa

Pääbos Team untersuchte auch die Beziehungen zwischen Neandertalern und modernen Menschen aus verschiedenen Teilen der Welt. Die vergleichenden Analysen zeigten, dass die DNA-Sequenzen von Neandertalern den Sequenzen von heutigen Menschen aus Europa oder Asien ähnlicher sind als denen von heutigen Menschen aus Afrika. Bei heutigen Menschen europäischer oder asiatischer Abstammung stammen etwa ein bis vier Prozent des Genoms von den Neandertalern.

Ein neuer Mensch aus Sibirien

Pääbos Gruppe gelang es mit genetischen Untersuchungen eines Knochens aus der Denisova-Höhle im südlichen Sibirien zudem, eine völlig neue ausgestorbene Menschengruppe zu identifizieren. Die Denisova-Menschen sind nahe verwandt mit Neandertalern und haben Gene an heutige Menschen aus Asien und Ozeanien weitergegeben.

Im Jahr 2013 publizierten die Forschenden um Pääbo eine genaue Rekonstruktion des Genoms eines 50.000 Jahre alten Neandertalers in bis dahin für eine ausgestorbene Lebensform unerreichter Qualität. Der Vergleich mit der Erbinformation des heutigen Menschen zeigt, wo dessen evolutionären Alleinstellungsmerkmale liegen. Die biologischen Bedeutungen der genetischen Unterschiede zwischen modernem Menschen, Neandertaler und Denisovaner sind Gegenstand aktueller Forschung weltweit.

Weitere Preise folgen

Am Dienstag und Mittwoch werden die Preisträger für Physik und Chemie, am Donnerstag für Literatur und am Freitag für Frieden bekanntgegeben. Am darauffolgenden Montag bildet die Bekanntgabe des Preisträgers für Wirtschaftswissenschaften den Abschluss. Überschattet wird die Bekanntgabe der Preisträger in diesem Jahr vom Ukraine-Krieg.

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Jeder Preis ist mit zehn Millionen schwedischen Kronen (rund 914.000 Euro) dotiert. Auch Organisationen können nominiert werden. Ins Leben gerufen wurde die Auszeichnung 1901 auf Initiative des damals bereits verstorbenen schwedischen Erfinders Alfred Nobel. Die Kategorie Wirtschaft wurde erst 1968 durch die Schwedische Nationalbank hinzugefügt.

Die Nominierung für die Preise erfolgt jeweils bis Februar durch ausgewählte Personen, etwa Mitglieder der Nobelkomitees oder ehemalige Kandidat:innen. Die schlussendliche Entscheidung trifft dann das für die jeweilige Kategorie zuständige Komitee, die Liste der Nominierten bleibt geheim.

Vergangenes Jahr zählten zwei Deutsche zu den Preisträgern: Der Hamburger Klaus Hasselmann wurde für seinen Beitrag zu einer „zuverlässigen Vorhersage der Erderwärmung“ mit dem Physik-Nobelpreis geehrt, Benjamin List vom Max-Planck-Institut für Kohlenforschung war einer der Träger des Chemie-Nobelpreises.

Die Verleihung der Nobelpreise erfolgt im Dezember im norwegischen Oslo und im schwedischen Stockholm. (Tsp, AFP)

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