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Geboren, um Musik zu lieben: Die Macht der Melodien

Eigentlich sind’s doch nur Geräusche. Dennoch trifft Musik ins Herz, lässt Tränen fließen und löst Freude und Ekstase aus – bei Homo sapiens. Warum eigentlich?

Sascha Karberg
Eine Kolumne von Sascha Karberg

Stand:

„Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen“, schrieb einst Martin Luther. Die Frage, warum Menschen Musik mögen, ist mit dem Fingerzeig zum Himmel allerdings nicht wirklich beantwortet. Warum wird eine Melodie – physikalisch nicht mehr als schnöde Schallwellen – mal als traurig, mal als euphorisierend empfunden? Und warum lässt „Yesterday“ den einen kalt und rührt andere zu Tränen?

Dass Musik in der menschlichen Evolution eine wichtige Bedeutung gehabt haben muss, ahnte schon Charles Darwin. Der Begründer der Evolutionstheorie vermutete, „dass musikalische Töne und Rhythmus zuerst von den männlichen oder weiblichen Urerzeugern des Menschen erlangt wurden zu dem Zwecke, das andere Geschlecht zu bezaubern“. Offenbar war selbst dem viktorianisch-britischen Darwin, der von „Sex, Drugs and Rock’nRoll“ noch nichts ahnen konnte, die emotionale, mitunter sexuelle Anziehungskraft, die Musizierende auf das jeweilige Publikum ausüben, nicht entgangen.

Doch selbst wenn es nicht in erster Linie um den Fortpflanzungserfolg geht, wirkt Musik auf Menschengruppen zweifelsohne wie Superkleber: Ob Techno-Beats oder Orgel- und Chormusik – beides ist identitätsstiftend.

Ist es dem Menschen also angeboren, Musik zu mögen, bei geliebten Melodien eine Gänsehaut zu bekommen, beim richtigen Beat in Ekstase zu geraten? Oder wird es seit tausenden von Generationen immer wieder neu gelernt, weitergegeben, geübt und perfektioniert?

Die Musik bleibt bis zum Schluss

Um das herauszufinden, verglichen Forschungsteams der Max-Planck-Institute für Psycholinguistik und empirische Ästhetik in Nijmegen und Frankfurt jetzt das Musikempfinden 9000 eineiiger und zweieiiger Zwillinge. Der Studie zufolge ähneln sich eineiige Zwillinge deutlich stärker in ihrer Reaktion auf Musik als zweieiige. Daraus lässt sich abschätzen, dass die Unterschiede im Musikempfinden von Menschen zu 54 Prozent über die Verschiedenheit ihrer Gene zu erklären ist und zu 46 Prozent durch unterschiedliche Umwelteinflüsse.

Wie man auf Musik reagiert, ob ekstatisch tanzend, selbst klampfend oder lieber allein im Sessel vor den Lautsprechern genießend, hängt dabei wohl auch davon ab, welche Genvarianten man von den Eltern – ob Hippies oder Heino-Hools – mitbekommen hat.

Ob man der Musik genetisch nun mehr oder weniger zugeneigt ist, sicher ist, dass sie „das letzte ist, was uns bleibt“, schrieb der Psychologe Oliver Sacks in seinem Buch Musikophilia. Denn selbst wenn das gealterte Gehirn sich an nichts mehr erinnert und die Demenz es verstummen lässt, die Lieder und Melodien aus der Kindheit bleiben abrufbar. Das ist in der Tat eine „himmlische“ Vorstellung.

Der „Erbonkel“ – Geschichten rund um Gene, jedes Wochenende.

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