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„Magic Mushrooms“ bringen nicht nur menschliche Gehirne durcheinander.

© Getty Images/CreativeDesignArt / Bearbeitung: Tagesspiegel

Gedanken kontrollierende Pilze: Die Droge, die das Hirn kapert

Wer an „Magic Mushrooms“ knabbert, wird Opfer eines uralten Verteidigungstricks der Pilze, mit psychoaktiven Substanzen das Gehirn ihrer Fressfeinde zu übernehmen.

Sascha Karberg
Eine Kolumne von Sascha Karberg

Stand:

„Die eine Seite macht dich größer“, sagte die Wasserpfeife rauchende Raupe aus Lewis Carrolls Roman zu „Alice im Wunderland“ und deutete auf den Pilz, auf dem sie saß, „die andere Seite macht dich kleiner“.

Und tatsächlich wurde das Mädchen erst „sehr schnell kleiner“ und bekam dann „einen ungeheuer langen“, schlangenartigen Hals, sobald sie von der anderen Seite kostete.

Alice im Wunderland im Gespräch mit einer Raupe über den Pilz, auf dem sie sitzt, der „größer und kleiner macht“

© IMAGO/imagepluss

Was Menschen empfinden, wenn sie „Magic Mushrooms“, psychedelische Pilze wie Psilocybe cyanescens, Gymnopilus dilepis und Panaeolus cyanescens probieren, ist eine sehr individuelle Erfahrung. Die einen fühlen sich plötzlich größer oder kleiner, wie Alice. Andere, ließ sich der Erbonkel berichten, meinen, „die Welt endlich völlig verstanden zu haben“. Nun ja. Bekanntlich erwachte Carrolls Alice am Ende aus einem Traum und auch die vermeintliche Magie der Magic Mushrooms ist nur Hirngespinst. Allerdings ein sehr effektives.

Denn wie eine Untersuchung der Genome von drei dieser psychedelischen Pilzsorten ergab, schützen Psilocybin und ähnliche Inhaltsstoffe der Magic Mushrooms die Pilze vor Insekten oder anderen Fressfeinden. Allerdings machen Psilocybine die Pilze eben nicht einfach giftig oder ungenießbar, sondern verändern gezielt das Verhalten all jener Tiere, die es wagen, an ihnen zu knabbern.

Die Gene für die Herstellung des Halluzinogens Psilocybin sind nicht über Vererbung, sondern über horizontalen Gentransfer in über 200 verschiedene Pilzarten gelangt.

© Getty Images/Yarphoto

Erst im Darm der Insekten, oder eben neugieriger Menschen, wird Psilocybin verdaut und in die aktive Form Psilocin überführt, die dann an bestimmte Rezeptormoleküle in den Nervenzellen des Gehirns bindet. Dadurch funktioniert der Botenstoff Serotonin nicht mehr korrekt. Das führt bei Ameisen, Fliegen und Käfern zu Verhaltensänderungen, etwa einer veränderten Fressgeschwindigkeit. Eine „direkte Manipulation der neurologischen Steuerungsmechanismen“, so die Studienautoren.

Die Gene, die den Pilzen die Fähigkeit zum Beeinflussen der Gehirne ihrer Feinde gaben, entwickelten sich nicht mehrfach in verschiedenen Pilzarten, ergab die Untersuchung. Sondern offenbar waren bestimmte Erbgutabschnitte von der einen Pilzart in die andere geraten. Ein sogenannter „horizontaler Gentransfer“ zwischen Arten, womöglich vermittelt über Bakterien als Erbguttransporter.

Inwieweit vom Pilz-Snack „breite“ Insekten plötzlich „die Welt verstehen“ oder sich wie Alice größer oder kleiner oder schlangenartig fühlen, ist nicht bekannt. Bei Menschen ist die halluzinogene Wirkung hingegen hinreichend belegt, Selbstexperimente sind daher weder notwendig noch empfehlenswert. Es sei denn, man ist einer der Patienten, an denen in den klinischen Studien und unter ärztlicher Aufsicht untersucht wird, ob Psilocybin Depressionen, Angst- und Zwangsstörungen oder Migräne lindern kann.

Der „Erbonkel“ – Geschichten rund um Gene, jedes Wochenende.

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