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Alles nicht so schön bunt hier: Gerade die Mischung von Stoffen, Zuatzstoffen, Farben und ähnlichem macht es schwierig, Plastik gut zu recyclen.

© Marc Newberry

Plastik-Gipfel in Genf: Lieber gar kein Abkommen als ein schlechtes Abkommen

Das Ringen um ein Welt-Plastikabkommen ist gescheitert. Die Bedrohung für Umwelt und Mensch bleibt. So schlimm das ist: Es muss jetzt weitergehen im Kampf gegen den Müll.

Richard Friebe
Ein Kommentar von Richard Friebe

Stand:

Man zitiert ja heute nicht mehr so gerne Christian Lindner. Aber, in leichter Abwandlung, soll er hier noch einmal die Ehre bekommen: Besser gar kein Abkommen als ein schlechtes Abkommen.

In Genf gibt es nun gar kein Abkommen dazu, wie man in Zukunft die Plastikproduktion und das Kunststoffrecycling verbindlich organisieren soll. Soweit bekannt, haben sich vor allem die Staaten quergestellt, deren Staatsfirmen und Herrscherfamilien mit den Grundstoffen für die Plastikproduktion, vor allem Erdöl, viel Geld verdienen.

Dazu kam die seit langer Zeit sehr gut organisierte Lobbyarbeit vieler Unternehmen weltweit, auch in Deutschland. Sie flüstern ihren Regierungen ein, dass nicht sie das Problem sind, sondern die Lösung, der Wohlstandsgarant – und auch ein Faktor, der über Convenience-Produkte mit dazu beiträgt, dass die Bevölkerung nicht so murrt.

Der Plastik-Tsunami kommt erst noch

Und vielleicht haben es viele wirklich noch nicht begriffen. Oder längst begriffen, aber schon kapituliert: Das Plastikproblem, das wir heute haben, ist winzig im Vergleich zu dem Plastikproblem, das auf uns zukommt. Es fängt alles erst an.

Etwa 90 Prozent des Kunststoffes, der seit etwa 100 Jahren intensiv produziert wird, liegt heute, noch einigermaßen intakt, irgendwo herum: auf Deponien, in Wäldern und auf Feldern, auf dem Meeresboden. All dieses Zeugs beginnt erst zu zerfallen. Täglich kommen Unmengen dazu, die weltweite Produktion steigt, die Recycling-Quote nicht in dem Maße, um hier auch nur mitzuhalten.

Wir wissen, dass wir in den Meeren, in den Böden, ja in der Luft und sogar auf den entferntesten Gletschern schon jetzt ein riesiges Problem mit Mikroplastik haben. Es wird noch größer, wenn das Mikroplastik weiter zerfällt und zu Nanoplastik wird.

Wir wissen, dass jene 90 Prozent und all das, was jetzt noch dazukommen wird, weiter zerfallen werden. Wir wissen, dass dann oft Substanzen entstehen, die für Pflanzen, Menschen und Tiere ungesund sind, sich vielleicht langfristig katastrophal auswirken.

Wir wissen, was mit Mikro- und Nanoplastik sowie zusätzlich jenen Substanzen passiert, die die Eigenschaften von Kunststoff angeblich verbessern, wie etwa die Chemikaliengruppe der als gesundheitlich hochproblematisch eingestuften PFAS: Sie reichern sich in der Umwelt an, aber auch in unseren Gehirnen, unseren Hoden und Eierstöcken und Placenten.

In unseren Lebern. In unserem Leben.

Man könnte das Nicht-Ergebnis von Genf als Katastrophe bezeichnen. Aber man könnte auch einen anderen, etwas in der Versenkung verschwundenen Zitate-Profi heranziehen: Oliver Kahn. Dessen Mantra war stets: „Immer weiter!“

Wirklich: So schlimm das Scheitern von Genf ist, es muss jetzt weitergehen. Wenn nicht alle mitmachen wollen, dann eben mit einer „Koalition der Willigen“. Die Menschheit muss das Plastikproblem in den Griff bekommen. Und dafür ist keine Zauberei nötig, nicht einmal besonders viel Verzicht. Sondern nur Vernunft.

Eine sinnvolle, gezielte, den Wohlstand und die Bequemlichkeit überhaupt nicht bedrohende Produktion von Kunststoff, gepaart mit effektiven, wirtschaftlich funktionierenden Systemen zur Wiederverwertung, ist möglich. All das würde auch Arbeitsplätze schaffen. Die Technologien dafür gibt es, bessere sind in der Entwicklung.

Es ist gut, dass es jetzt gar kein Abkommen gibt, anstelle eines schlechten. Jetzt heißt es: Aus dem Scheitern lernen und weitermachen. Es ist, vielleicht, noch nicht ganz zu spät.

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