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Gezielte Angriffe auf Forscher: Wer waren die getöteten iranischen Physiker?
In einer koordinierten Aktion hat Israel vor einer Woche neun iranische Wissenschaftler getötet. Kann man so die Entwicklung von Atomwaffen aufhalten – oder handelt es sich um einen symbolischen Akt?
Stand:
Inmitten der Kriegsnachrichten mit ihren immensen Opferzahlen sind es nur einige weitere Tote: Bei Israels Angriff auf den Iran starben neun iranische Wissenschaftler. Sie kamen nicht zufällig ums Leben, etwa weil sie sich in Atomforschungsanlagen befunden hätten. Vielmehr wurden sie von israelischen Geheimdiensten ausgewählt und in den frühen Morgenstunden des 13. Juni gezielt in einer konzertierten Aktion getötet.
Über die genauen Umstände der Tötungen ist wenig bekannt. In den sozialen Medien kursieren verschiedene Aufnahmen eines Wohnhauses, in dem der Physiker Mohammad Mehdi Tehrantschi zusammen mit einem Leibwächter ums Leben gekommen sein soll. Die Bilder zeigen ein Hochhaus, dessen Fassade großflächig aufgerissen ist, dazu Feuer und Rauchentwicklung. Es könnte sich dabei um den Einschlag einer ferngelenkten Waffe handeln.
Wer waren die neun Wissenschaftler, die am 13. Juni starben – und welche Bedeutung hatten sie für das iranische Programm zum Bau einer Atombombe?
Geheimdienstanalysen über mehrere Jahre
Laut ersten Informationen des iranischen Staatsfernsehens handelte es sich um sechs getötete Wissenschaftler, Israel hat später neun Namen bekanntgegeben. „Alle Wissenschaftler und Experten, die eliminiert wurden, waren wichtige Wissensquellen für das iranische Atomprojekt und verfügten insgesamt über jahrzehntelange Erfahrung in der Entwicklung von Atomwaffen“, behauptet das israelische Militär (IDF) gegenüber der Onlinezeitung „Times of Israel.“
Die Tötung der Wissenschaftler sei das Ergebnis einer langjährigen, geheimen Operation gewesen. Laut IDF haben Dutzende Geheimdienstanalysten über mehrere Jahre hinweg im Rahmen eines streng abgeschotteten Projekts an der Verfolgung zentraler Akteure im iranischen Atomprogramm gearbeitet.
Am besten belegt ist die Rolle von Fereydoon Abbasi. Er war Professor für Kernphysik an der Shahid Beheshti Universität und leitete von 2011 bis 2013 das nationale iranische Atomprogramm. „Wenn ich den Befehl erhalte, [eine Atombombe] zu bauen, werde ich es tun“, so äußerte er sich noch am 26. Mai 2025 in einem Interview mit dem regierungsnahen Sender SNN.
Wenn ich den Befehl erhalte, eine Atombombe, zu bauen, werde ich es tun.
Fereydoon Abbasi, iranischer Physiker, wenige Wochen vor seinem Tod.
Der Iran sei bereits seit zwei Jahrzehnten in der Lage, eine nukleare Waffe herzustellen, behauptete Abbasi in dem Interview und bekundete seine Verbundenheit mit dem Militär im Kampf gegen Israel: „Wir müssen fest hinter unseren Streitkräften stehen und ihnen sagen, dass sie denjenigen, der uns bedroht, wo auch immer er sein mag, angreifen sollen.“ Das zionistische Regime habe unzählige Morde begangen. Jeder habe die Chance auszuwandern, alle anderen seien „Hardcore-Zionisten.“
Ein weiterer prominenter ermordeter Wissenschaftler war Mohammad Mehdi Tehrantschi, Präsident der größten Universität des Iran, der Islamischen Azad-Universität. Tehrantschi war Professor für Festkörperphysik und leitete Forschungsprojekte zu magneto-optischen Materialien, Nanostrukturen und Photonik. Er prägte maßgeblich die wissenschaftliche Entwicklung und Nachwuchsförderung im iranischen Hochschulsystem.

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Laut Andrea Stricker, Iran-Expertin bei der gemeinnützigen Stiftung „Foundation for Defense of Democracies“, belegen Dokumente, die Israel 2018 aus dem Iran herausgeschmuggelt hatte, seine Beteiligung an der Entwicklung von Atomwaffen im Rahmen des iranischen Amad-Projekts.
Informationen aus Geheimdokumenten
Bei „Amad“ handelte es sich um ein verstecktes Waffenprogramm mit dem Ziel, fünf nukleare Sprengköpfe für Raketen zu bauen und auf einen möglichen unterirdischen Test hinzuarbeiten. „Amad“ war laut der Internationale Atomenergie-Organisation IAEA 2003 gestoppt worden. Israel will belegt haben, dass es insgesamt und dezentralisiert fortgesetzt wurde, eine Deutung, der sich die IAEA jedoch nicht anschloss.
Es könnte eine Botschaft sein, dass alle Wissenschaftler jederzeit mit dem Tod rechnen müssen.
Götz Neuneck, Physiker und Friedensforscher
Über die weiteren sieben getöteten Wissenschaftler ist öffentlich weit weniger bekannt. Forschung zu Nuklearwaffen besteht aus praktischen Experimenten; es geht darum, durch eine konzentrische Explosion eine kritische Masse von spaltbarem Material so zu verdichten, dass es zur Kettenreaktion und einer enormen Energiefreisetzung kommt.

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„Dafür braucht man physikalische Kenntnisse, aber die Grundlagen sind allgemein bekannt – es existieren Anleitungen dafür“, sagt der Physiker und Friedensforscher Götz Neuneck. Dass Physiker und Techniker involviert waren, stehe außer Frage, doch deren Namen werden natürlich vom iranischen Regime nicht öffentlich gemacht.
„Es ist schwer zu sagen, welche zentrale Stellung diese Forscher in den Nuklearprogrammen hatten“, sagt Neuneck, Vorsitzender der Arbeitsgruppe „Physik und Abrüstung“ der Deutschen Physikalischen Gesellschaft. Man könne spekulieren, dass es sich um die entscheidenden Leute handelte, die nun tot sind. Es könne aber auch eine eher symbolische Handlung gewesen sein: „Als eine Botschaft, dass Atomforscher im Iran nicht sicher sind, dass alle Wissenschaftler jederzeit mit dem Tod rechnen müssen. Und dies ist ethisch höchst problematisch.“
Privatwohnungen sind leichtes Ziel
Es sei mit heutiger Waffentechnik keine große Hürde mehr, gezielt eine Privatwohnung oder einen Konvoi zu treffen, auch wenn dabei immer sogenannter Kollateralschaden entstehe, sagt Neuneck. Die größere Schwierigkeit sei zu wissen, wo sich jemand wann genau aufhalten werde. Es sei daher denkbar, dass die Wissenschaftler nicht nur nach ihrer Bedeutung ausgewählt wurden, sondern auch nach ihrer Erreichbarkeit.

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Dass der Tod der Wissenschaftler den Fortgang eines Atomwaffenprogramms aufhalten kann, glaubt Neuneck, der selbst in Teheran Gespräche geführt hat, nicht. „Es sind niemals nur einzelne Leute, andere werden doppelt so motiviert weiterarbeiten.“ Der Tod der Wissenschaftler wird in vielen Beiträgen in sozialen Medien als Märtyrertod bezeichnet.
Nuklearprogramm wohl nicht zerstört
Fereydoon Abbasi wurde in dem Interview im Mai gefragt: „Wenn wir beschließen, Atomwaffen zu bauen, und in der Zeit, die wir brauchen, um sie zu bauen, greifen sie unsere Infrastruktur an und zerstören sie – was sollen wir dann tun?“ Die Antwort des Physikers: „Es würde nichts passieren. Unsere Kompetenzen sind über das ganze Land verteilt. Wenn sie die Produktionsstätten ins Visier nehmen, wird das für unseren Zeitplan keine Rolle spielen.“
Der Angriff und die Tötung einzelner Wissenschaftler löst nicht das Problem.
Götz Neuneck, Physiker und Friedensforscher
Auch Neuneck geht davon aus, dass das militärische Nuklearprogramm der Iraner durch die Anschläge nicht zerstört, sondern nur beeinträchtigt ist. Der Angriff hätte zu einem Zeitpunkt stattgefunden, in dem noch Verhandlungen mit den USA stattfanden, eine unmittelbare Bedrohung bestand nicht. Noch vor wenigen Wochen seien Mitglieder des Pugwash-Netzwerks zu Gesprächen in Teheran gewesen. Pugwash, benannt nach dem kanadischen Tagungsort und 1995 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet, setzt sich seit Jahrzehnten dafür ein, verfeindete Parteien miteinander ins Gespräch zu bringen und Massenvernichtungswaffen abzuschaffen.
Der Angriff und die Tötung einzelner Wissenschaftler löst nicht das Problem, glaubt Neuneck, Vorsitzender des Pugwash Councils. „Die Lobby derer, die Atomwaffen entwickeln wollen, hat nun ein weiteres Argument, mehr geheime Forschung zu betreiben.“
Die Idee, Wissenschaftler auszuschalten, um Atomwaffen zu verhindern, reicht zurück in die Anfänge der Bombenentwicklung und kam ursprünglich sogar von Wissenschaftlern selbst. Als während des Zweiten Weltkriegs die Amerikaner im Manhattan-Projekt unter Leitung von Robert Oppenheimer ihre erste Atombombe entwickelten, gab es unter ihnen die große Sorge, dass der deutsche Physiker Werner Heisenberg Hitler zu einer deutschen Atombombe verhelfen würde.
Mit der Pistole in Heisenbergs Vorlesung
Zunächst entstand der Plan, Heisenberg zu entführen, schließlich beschloss der amerikanische Geheimdienst einen Anschlag. Als bekannt wurde, dass Heisenberg sich in der Schweiz aufhalten würde, entsandte man den Agenten Moe Berg, der mit einer Pistole in der Tasche eine Vorlesung Heisenbergs in Zürich aufsuchte. Er sollte allerdings erst auf Anzeichen achten, ob es wirklich ein fortgeschrittenes deutsches Projekt zum Bau einer Atombombe gab. Moe kam zu dem Schluss, dass dieses nicht existierte – und Heisenberg überlebte.
„Der Fall Heisenberg zeigt, wie schwierig es sein kann, zu wissen, was ein bestimmter Wissenschaftler tut“, argumentierte der US-amerikanische Abrüstungsexperte William Tobey vor einigen Jahren in einem Essay. Tobey, Sicherheitsberater unter drei Präsidenten, hält es aus einer Reihe von Gründen für einen Irrweg, Atomphysiker umzubringen, um Bomben zu verhindern: Die Tötungen würden eine Kooperation mit der Internationale Atomenergie-Organisation IAEA beenden, den Druck zur Geheimhaltung erhöhen, Misstrauen und Feindseligkeit verstärken und außerdem Gegenschläge provozieren.
Vergeltung gegen israelische Wissenschaft
Irans Gegenschläge haben in der traurigen Eskalation inzwischen auch die israelische Wissenschaft getroffen: Am frühen Morgen des 17. Junis wurden mehrere Gebäude des renommierten Weizmann-Insitutes schwer beschädigt. Die auf dem Campus lebenden Forscher und ihre Familien konnten sich nach einem Sirenenalarm rechtzeitig in Sicherheit bringen, Todesfälle gab es keine. Doch in den getroffenen Laboren sind Proben, Zellkulturen und Unterlagen vernichtet worden.
Indirekt könnte auch dieser Angriff Leben kosten, denn verloren sind unter anderem Forschungsergebnisse zu Herzkrankheiten und personalisierter Medizin. Die israelische Zeitung Haaretz berichtet von der Verzweiflung der Forschenden. „Das ist ein Lebenswerk, und plötzlich ist alles zerstört“, so Eran Segal, Professor für Systembiologie.
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