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Gendefekt in der Geschlechtsentwicklung: Kann das den Massenmörder Hitler erklären?
Ein britisches Forschungsteam hat aus Blutresten Adolf Hitlers dessen DNA extrahiert. Sie stießen auf eine Genveränderung, die die Entwicklung der Geschlechtsorgane beeinflusst.

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Als sich Adolf Hitler am 30. April 1945 im Führerbunker in Berlin erschoss, floss Blut. Ein paar Tropfen davon landeten auf dem Sofabezug, von dem ein blutbeflecktes Stück seit 80 Jahren in einem US-amerikanischen Museum aufbewahrt wird.
Nun soll ein Team um die britische Genetikerin Turi King von der Universität Leicester die DNA aus diesen Blutresten extrahiert und untersucht haben. Demnach habe Hitler eine Genmutation gehabt, die zum Kallmann-Syndrom führt. Es kann die Entwicklung der Geschlechtsorgane beeinträchtigen. So wird es in einer TV-Dokumentation des britischen Senders Channel 4 dargestellt, eine wissenschaftlich geprüfte Veröffentlichung gibt es noch nicht.

© Doris Spiekermann-Klaas TSP
Beim Kallmann-Syndrom ist die hormonelle Kontrolle der Geschlechtsentwicklung gestört. Das kann etwa dazu führen, dass sich nur ein verkleinerter Penis entwickelt oder die Hoden in der Pubertät nicht oder nur teilweise in den Hodensack wandern. Tatsächlich hatte der Arzt, der Hitler zu Beginn seiner Haft in Landsberg am Lech 1923 untersucht hatte, einen einseitigen Hodenhochstand festgestellt.
Behandelt wird das Syndrom mit Hormongaben und Aufzeichnungen seines Leibarztes Theodor Morell zufolge bekam Hitler zumindest seit 1944 tatsächlich regelmäßig Testosteron.
Kann das nun erklären, warum Hitler zum Diktator und Massenmörder wurde? Der „Times“ zufolge sagt Forscherin King zwar, dass „die Genetik sein Handeln in keiner Form entschuldigen kann“. Doch in der TV-Doku wird dann doch darüber spekuliert, wie ein womöglicher „Mikropenis“, den Hitler der Mutation zufolge mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 zu 10 gehabt habe, seinen Werdegang erklären könne.
Das Syndrom könne die „Abkehr vom Privatleben“ und „vollständige Hingabe zur Politik“ erklären, wird der Historiker Alex Kay von der Uni Potsdam zitiert.
DNA ist nicht alles
Derartiges Gerede ist nicht nur Blödsinn, sondern gefährlich. Zum einen bleibt, selbst wenn die Mutation jetzt bekannt ist, unklar, wie stark sie sich überhaupt ausgewirkt hat. Genetiker sprechen von Penetranz einer Mutation, die stark schwanken kann. Für einen „Mikropenis“ etwa gibt es keine Hinweise.
Zum anderen werden jetzt viele Menschen stigmatisiert, bei denen das Kallmann-Syndrom festgestellt wurde oder wird – bei Männern ist etwa jeder Zehntausendste betroffen, bei Frauen ist es seltener (1:50.000). Weder neigen diese Menschen zur Kriegstreiberei, noch zum Judenhass oder Größenwahn. Es gibt keine Genmutation, die dazu in der Lage wäre.
Denn Hitler war, wie jeder Mensch, nur zum Teil ein Produkt seiner Gene. Der andere, für menschliches Verhalten und politische Überzeugungen weit wichtigere Anteil wird durch Erziehung und vor allem die Umwelt bestimmt, die beeinflusst, was ein Mensch, denkt und tut. Und was man ihn tun lässt. Darüber haben Millionen Deutsche mitbestimmt, die sicher alle irgendwelche Mutationen in ihrem Erbgut trugen. Von denen aber keine einzige sie 1933 dazu zwang, Adolf Hitler zu wählen.
Der „Erbonkel“ – Geschichten rund um Gene, jedes Wochenende.
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