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Himmelslabor. Die Internationale Raumstation umkreist die Erde in 400 Kilometern Höhe. Sie ist dauerhaft mit sechs Raumfahrern besetzt.

© Nasa

Kolumne "Was Wissen schafft": Kalter Krieg im Weltraum

Russland droht und Europa ist zerstritten. Trotzdem wird die Internationale Raumstation noch eine ganze Weile erhalten bleiben, meint unser Autor.

Im Kinofilm „Gravity“ ging es ganz schnell: Von Weltraumschrott getroffen taumelt die Internationale Raumstation (ISS) am Firmament entlang. Bald darauf folgt die nächste Salve, sie zerstört das mühsam errichtete Bauwerk vollends. Das teuerste Labor der Menschheit ist dahin, das Symbol der Völkerfreundschaft ein Haufen Schrott.

Das reale Ende der Station wird – wenn die Überwachungsprogramme für Raketentrümmer und Asteroiden weiterhin rechtzeitig zu Ausweichmanövern aufrufen – eher ein planmäßiges sein. Eines mit Ansage. Was Dmitri Rogosin, russischer Vizeregierungschef, vor wenigen Tagen sagte, sollte als eine solche Ansage verstanden werden: Sein Land wolle aus dem Gemeinschaftsprojekt aussteigen.

Die Station kann nicht einfach getrennt werden

Der erwartete Aufschrei folgte prompt. Es ist klar, dass die ISS ohne Russland nicht funktioniert. Erstens der Transport: Seit dem Ende der Spaceshuttles können Astronauten nur noch mit „Sojus“- Raumschiffen das 400 Kilometer hoch fliegende Labor erreichen – so wie auch der Deutsche Alexander Gerst, der in einer Woche seinen ersten Raumflug antreten soll. Zweitens die Station selbst: Der russische Teil ist entscheidend, um das fußballfeldgroße Konstrukt zu manövrieren. Die Module können nicht einfach stillgelegt oder abgekoppelt werden.

So weit wird es nicht kommen, zumindest nicht so schnell. Rogosin, der mit seiner Ankündigung den Westen herausfordern wollte, bezog sich auf die Zeit nach 2020. Dort lässt es sich weitgehend folgenlos spekulieren. Denn für das nächste Jahrzehnt haben die fünf beteiligten Raumfahrtagenturen – USA, Russland, Europa, Japan und Kanada – noch keinen verbindlichen Vertrag geschlossen, der sie zur Zusammenarbeit verpflichtet. Im Gegenteil, die Europäer ringen sogar noch um eine Zusage ab 2018. Deutschland als maßgeblicher Finanzier und somit Nutznießer der Station will sie so lange wie möglich erhalten. In Frankreich und Italien ist die Begeisterung für das Himmelslabor ziemlich abgekühlt. Außerdem haben die Länder begriffen, dass sie bei den Verhandlungen zu europäischen Raumfahrtprojekten eine bessere Position haben, wenn sie sich bei der Station etwas stur stellen.

Amerikanische Astronauten sind auf die russischen Kapseln angewiesen

Das Bild vom engen Schulterschluss der ISS-Nationen, der nun von Russland aufgekündigt wird, ist daher falsch. Das zeigt auch ein Blick auf die Amerikaner. Zwar haben sie Anfang des Jahres erklärt, die Station bis 2024 halten zu wollen. Nur sind zehn Jahre eine lange Zeit. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein neuer Präsident die Schwerpunkte in der Raumfahrt ändert und große Pläne vom Tisch fegt. Wie stark Washington in die Belange der Nasa eingreift, zeigt etwa das Verbot, mit China zu kooperieren, sowie die Anweisung aus diesem Frühjahr, die Kommunikation mit russischen Forschern weitgehend einzustellen. Explizit ausgeklammert ist alles, was mit der ISS zu tun hat. Dort hätte es nämlich richtig wehgetan, weil streng genommen das Training von amerikanischen Astronauten in Russland nicht mehr möglich gewesen wäre – und damit die Mitfluggelegenheit zur ISS in Sojus. Ein harter Schlag, denn die ersehnten „Taxi-Raketen“ kommerzieller Anbieter aus den USA werden wohl erst in drei Jahren fliegen.

Mitten im Kalten Krieg: friedliche Annäherung im All

Offensichtlich haben die Regierungen Russlands und der USA die Raumfahrt als Bühne für ihre Außenpolitik wiederentdeckt. Zum Glück blieb das bisher weitgehend folgenlos. Die Zusammenarbeit in Sachen Raumstation läuft weiter wie bisher, beteuern alle Beteiligten. Sie beschwören das berühmte Apollo-Sojus-Manöver: 1975, mitten im Kalten Krieg, koppelten ein amerikanisches und ein russisches Raumschiff aneinander an, bewegten sich beide Mannschaften buchstäblich über alle Grenzen hinweg.

Die ISS, errichtet ab 1998, war ausdrücklich auch als Symbol der Völkerverständigung gedacht. Abgesehen von der Weigerung der Amerikaner, Chinesen anreisen zu lassen, ist das gelungen. Doch diese Funktion allein rechtfertigt nicht die immensen Kosten von mehr als 100 Milliarden Dollar allein für den westlichen Teil der Station. Sicher, es gibt viele Experimente, die gute Ergebnisse liefern. Aber lohnt sich der ganze Aufwand wirklich? Diese Frage hat Dmitri Rogosin ebenfalls aufgeworfen. Darauf müssen wir eine ehrliche Antwort finden. Für heute, und erst recht für die Zeit nach 2020.

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