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Nachhaltige Bildung: Klüger lernen

Die Universität muss Wissen nachhaltig vermitteln, denn Wissen ist der Rohstoff für Bildung. Eine Kolumne von HU-Präsident Jan-Hendrik Olbertz.

Alle Welt diskutiert im Vorfeld des UN-Klimagipfels in Paris derzeit das Thema Nachhaltigkeit, so auch diese Tagesspiegel-Beilage der Humboldt-Universität. Der ursprüngliche Gedanke kommt aus der Forstwirtschaft: In den Wäldern sollten nur so viele Bäume geschlagen werden, wie im gleichen Gebiet nachwachsen konnten. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts kam dafür der Begriff „Nachhaltigkeit“ auf. Das war ein früher Vorgriff auf Debatten, die in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts vom Club of Rome angestoßen wurden („Grenzen des Wachstums“) und den schonenden Umgang mit begrenzten Ressourcen zum Thema hatten. Seitdem spricht die Wirtschaft von „geschlossenen Kreisläufen“, Produktionsprozesse setzen auf „nachwachsende Rohstoffe“. Und seit der sogenannten Energiewende, eigentlich aber schon seit Tschernobyl, wird auf Alternativen zur Kernkraft, also unbegrenzt vorhandene, risikoarme Ressourcen (Sonne, Wind, Wasser) gesetzt.

Vor diesem Hintergrund muss es erstaunen, dass der wichtigste nachwachsende Rohstoff, das kreative Potenzial der Menschen, ihre Lern- und Wandlungsfähigkeit, in diesen Debatten kaum eine Rolle spielt. Was bedeutet Nachhaltigkeit für Bildungsprozesse oder anders gefragt: Was ist nachhaltiges Wissen und wie muss es vermittelt oder erlernt werden?

Lernen ist zum globalen Problem avanciert, und zwar nicht nur im Hinblick auf die sich immer schneller ablösenden Lerninhalte, sondern auch auf Probleme des Lernens selbst, hinsichtlich seiner Methoden, gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Formen. Junge Menschen müssen sich auf Anforderungen vorbereiten, die noch niemand genau kennt.

In der Schule gehören daher solides Grundwissen und entsprechendes Können zu den Prämissen nachhaltiger Bildung. Dahinter verbirgt sich vor allem das Rüstzeug, ein Leben lang weiter zu lernen und den jeweiligen Lernbedarf rechtzeitig und selbständig zu erkennen. Es gibt dafür den vergleichsweise nüchternen Terminus „Kulturtechniken“.

An der Universität geht es dagegen um die Fähigkeit, wissenschaftlich an die Welt heranzugehen und zugleich das Wissen und Können zu mehren, das in der Schule den „Lernstoff“ bildet, also die Wissenschaft voranzutreiben. Landläufig sagt man Forschung dazu, aber auch hier ist Nachhaltigkeit nur vorstellbar, wenn sie mit der Lehre und der Heranbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses verknüpft wird. Mit gutem Grund geht es an der Universität um die „Einheit von Forschung und Lehre“.

Aber hier wie dort bezieht sich der Anspruch der Nachhaltigkeit weniger auf quantifizierbares Wissen als vielmehr auf die Beherrschung der Methoden seines Erwerbs und seiner Anwendung. Nachhaltige Bildung heißt also in erster Linie, das Lernen zu lernen. Nicht die Geltungsansprüche der Fächer oder ihrer Vertreter gehören in ein schulisches oder akademisches Curriculum, sondern sinnvolle Ableitungen, die zu neuer Erkenntnis führen.

Die Universität steht vor der Aufgabe, die Spannung zwischen dem Universalitätsanspruch von Bildung und dem Spezialisierungsbedarf der Wissenschaft aufzulösen. Sie muss das Universelle im Speziellen finden und das Spezielle mit universellem Anspruch betreiben. Zugleich ist sie aufgefordert, sich in den Curricula von der Fiktion der Vollständigkeit zu trennen und stattdessen das Exemplarische in den Vordergrund zu stellen. Überfrachtete schulische Lehrpläne und aufgeblähte Studienprogramme stehen vor demselben Problem: „Selbstbildung“ durch freies Suchen und Ausprobieren wird erschwert, Nachhaltigkeit verhindert.

Denn Wissen kann man quantifizieren, Bildung jedoch bedeutet, Wissen zu qualifizieren. Wissen ist der Rohstoff für Bildung – nachhaltig lässt er sich einsetzen, wenn man es ordnet und verknüpft, aber auch kritisch prüft und auswählt, methodisch herleitet, an Sinn und Einsicht knüpft. Eingebettet in ein Kontinuum von Menschlichkeit und Kultur wird dann aus Bildung ein nachhaltiges Projekt.

- Dieser Text erschien in der Beilage "Humboldt-Universität 2015".

Jan-Hendrik Olbertz

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