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Eine Wissenschaftlerin im Labor.

© IMAGO/Rachael Porter

Leopoldina zum Medizinforschungsgesetz: „Wird dem Anspruch seines Titels nicht gerecht“

Durch den Gesetzentwurf zur Medizinforschung soll der Standort Deutschland gestärkt werden. Es seien „deutlich umfassendere“ Maßnahmen notwendig, um die drohende Abwanderung von Forschern und Pharmaunternehmen zu verhindern, zu dem Schluss kommt nun die Leopoldina.

Stand:

Die Zahl der klinischen Studien in Deutschland ist seit Jahren rückläufig. Mit dem vom Bundeskabinett beschlossenen Medizinforschungsgesetz (MFG) soll daher der Forschungsstandort Deutschland gestärkt werden. Ein Gesetzesentwurf wurde Ende März 2024 vom Bundeskabinett beschlossen, nun äußert sich die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina erstmals dazu.

Rund 20 Wissenschaftler:innen haben an der Stellungnahme mitgewirkt, darunter Christof von Kalle, der das Klinische Studienzentrum von Berlin Institute of Health (BIH) und der Charité leitet sowie Eva Winkler, Heisenberg-Professorin und geschäftsführende Direktorin vom Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg.

Die im MFG vorgesehenen neuen Regelungen sollen eine Reihe von Hürden und Hemmnissen im Bereich der Arzneimittelforschung abbauen. Künftig sollen schnelle und unbürokratische Verfahren möglich sein.

Das MFG werde dem „umfassenden Anspruch seines Titels nicht gerecht“, heißt es in einer Stellungnahme, die dem Tagesspiegel vorliegt, weil es nur punktuelle Verbesserungen in der Arzneimittel- und Medizinprodukteforschung nach sich ziehen werde.

Es seien „deutlich umfassendere“ Maßnahmen notwendig, um die Forschungs- und Versorgungsangebote für Patientinnen und Patienten sicherzustellen und die drohende Abwanderung „exzellenter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie pharmazeutischer Unternehmen“ zu verhindern.

Innovationen müssten schneller in Produkte und Anwendungen überführt werden. Außerdem müsse die klinische Forschung als „unabdingbare Voraussetzung“ für eine Zukunftsbranche weiterentwickelt werden.

Die Leopoldina-Arbeitsgruppe betont insbesondere die folgenden Punkte, die im MFG nicht oder nur teilweise angesprochen werden:

1 Gesamtstrategie für biomedizinische Forschung 

Die Leopoldina empfiehlt, eine ressortübergreifende Gesamtstrategie zur „langfristigen Stärkung“ der biomedizinischen Forschung in Deutschland zu entwickeln, um Forschungsergebnisse aus dem Labor besser in die klinische Praxis zu übertragen. Umgekehrt sollten Erfahrungen aus Studien und klinischer Praxis direkter für die Grundlagenforschung genutzt werden.

Die biomedizinische Forschung benötige eine „tragfähige Grundfinanzierung“, um international konkurrenzfähig zu sein. „Soweit erforderlich, sollten hierfür die Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern neu geregelt werden“, schreibt die Arbeitsgruppe. Auch müssten Vergütungsrichtlinien harmonisiert und langfristige Karrierewege erschaffen werden. Zudem sollten Hürden für den Daten-, Material- und Wissenstransfer zwischen Einrichtungen abgebaut werden.

2 Tierversuchsgesetz einführen

Der Schutz von Versuchstieren, die zu wissenschaftlichen Zwecken eingesetzt werden, sollte laut Leopoldina in einem eigenen Tierschutzgesetz verankert werden. Die Zuständigkeit hierfür sollte beim Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) liegen.

3 Künstlicher Intelligenz (KI) „angemessen“ regeln

Die Forderung nach menschlicher Aufsicht sollte angemessen geregelt werden. Hochrisiko-KI-Systeme im Gesundheitswesen müssten zusätzliche Anforderungen erfüllen, heißt es weiter, um potenzielle Gefahren für Gesundheit, Sicherheit und Grundrechte zu minimieren.

4 Datenschutzrechtliche Rahmenbedingungen verbessern

„Die föderale Fragmentierung des Forschungsdatenschutzrechts sollte überwunden werden“, heißt es in der Stellungnahme. Die Möglichkeit einer einwilligungsunabhängigen oder eine Sekundärnutzung von Patientendaten zu Forschungszwecken sollte weiter ausgebaut werden.

5 Antragsverfahren vereinfachen

Die Bundesregierung wird von der Leopoldina „nachdrücklich gebeten“, die volle Funktionsfähigkeit und Nutzerfreundlichkeit von des Clinical Trials Information System (CTIS) sicherzustellen. CTIS unterstützt den Informationsfluss zwischen Sponsoren klinischer Prüfungen, den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU), den Ländern des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) und der Europäischen Kommission.

Außerdem empfiehlt die Leopoldina, die Einrichtung einer zusätzlichen Ethik-Kommission auf Bundesebene zu hinterfragen und Alternativlösungen abzuwägen.

6 Publikationspflicht für klinische Studien

Die Leopoldina empfiehlt die Einführung einer Pflicht, alle klinischen Studien zu registrieren und ihre Ergebnisse zu veröffentlichen – allerdings ohne zusätzliche bürokratische Hürden für Forschende zu erzeugen.

Der Gesetzesentwurf sollte in seiner vorliegenden Fassung als erster Schritt zur Verbesserung der Situation klinischer Forschung in Deutschland insgesamt betrachtet werden. Eine enge Abstimmung zwischen Bund und Ländern sei Voraussetzung für eine „erfolgreiche und nachhaltige Stärkung der biomedizinischen Forschung“, heißt es zum Abschluss der Stellungnahme. Angesichts des schnellen wissenschaftlichen Fortschritts bestehe dringender Handlungsbedarf.

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