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Segler im Wind. Der nachgebaute Normalsegelapparat im Windkanal im niederländischen Marknesse bei Emmeloord am 12.05.2016.

© dpa/DLR

Luftfahrt: Warum Otto Lilienthal abstürzte

Forscher testen den Normalsegelapparat im Windkanal - und sind begeistert. Ein Problem hatte das Flugzeug jedoch, es kostete den Flugpionier schließlich das Leben.

Heller Baumwollstoff auf Rippen aus Weidenholz – dieses altertümlich anmutende Fluggerät passt so gar nicht zu den übrigen Hightech-Exponaten, die gewöhnlich auf der Luft- und Raumfahrtmesse ILA zu sehen sind. Und doch gehört es unbedingt dazu, es ist gewissermaßen der Urahn der aktuellen Modelle: der sogenannte Normalsegelapparat von Otto Lilienthal. Vor 125 Jahren machte der Luftfahrtpionier die ersten kurzen Gleitflüge, sie gelten als Beginn der Luftfahrt. Anlässlich dieses Jubiläums hat das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) einen Nachbau des Normalsegelapparats in Auftrag gegeben, der von Montag an auf der Messe in Schönefeld zu sehen ist.

„Wie aus dem Lehrbuch, eine absolut saubere Aerodynamik“

Er sollte aber nicht nur gut aussehen, sondern den Forschern helfen, ihre Fragen zu Lilienthal und seinen Entwicklungen zu beantworten. „Da klaffte eine große Lücke“, sagt Andreas Dillmann, Leiter des DLR-Instituts für Aerodynamik und Strömungstechnik in Göttingen. Was wusste Lilienthal über Flugphysik? Und: Was taugte der Normalsegelapparat? Gerade im Ausland werde die Bedeutung Lilienthals für das Flugwesen mitunter bestritten, sagt Dillmann.

In diesem Monat machten er und seine Kollegen Tests in einem Windkanal in den Niederlanden (wo der 6,70 Meter breite Gleiter gerade so hineinpasste) sowie in Göttingen – und waren begeistert. „Wie aus dem Lehrbuch, eine absolut saubere Aerodynamik“, schwärmt der DLR-Forscher. Der Apparat habe eine Gleitzahl von vier, das bedeutet: Je einem Meter Höhe kann er vier Meter weit gleiten. Vom 70 Meter hohen Gollenberg im Westhavelland, wo Lilienthal ab 1893 zahlreiche Flugversuche unternahm, hätte er theoretisch 280 Meter Strecke schaffen können. Aufzeichnungen belegen, dass er tatsächlich bis zu 250 Meter weit kam.

Mehr als 2000 Flüge hatte Lilienthal absolviert

Im Gegensatz zum motorisierten „Wright-Flyer“ der amerikanischen Luftfahrtpioniere von 1903, der bei jeder Geschwindigkeit instabil war, flog der Lilienthal-Gleiter stabil. Ein Problem hatte das Flugzeug jedoch, zeigten die aktuellen Tests. War der Anstellwinkel zwischen der Horizontalen und der Längsachse des Fliegers zu groß, wurde er instabil. „Dann bäumt er sich auf und man bekommt ihn nicht mehr unter Kontrolle“, erläutert Dillmann. Das kostete Lilienthal das Leben. Am 9. August 1896 war das Wetter unruhig. „Vermutlich kam eine Böe und zog die Nase hoch“, sagt der Forscher. Das passe zu den Berichten, laut denen Lilienthal samt Flieger in der Luft fast stehen blieb und wie ein Stein zur Erde fiel. Erfahrung hatte er allemal, schließlich hatte er mehr als 2000 Flüge gemacht. „Doch er wurde immer wagemutiger und flog auch bei ungünstigem Wetter, das wurde ihm zum Verhängnis.“ Am 10. August 1896 erlag Lilienthal seinen Verletzungen.

Vier Monate dauerte es, um aus Weidenholz und Baumwollstoff den Gleiter nachzubauen.
Vier Monate dauerte es, um aus Weidenholz und Baumwollstoff den Gleiter nachzubauen.

© dpa/DLR

Er war nicht nur ein begabter Konstrukteur und Pionier auf dem Gebiet der Aerodynamik, sondern auch ein Geschäftsmann in der jungen Luftfahrtbranche. Den Normalsegelapparat baute er in Serie und verkaufte neun Stück. Den Käufern gab er zudem Flugunterricht.

Ein paar seiner Gleiter sind bis heute erhalten und unter anderem in Washington, London und Moskau zu sehen. Hinzu kommen etliche Nachbauten, die unter anderem von Mitarbeitern des Otto-Lilienthal-Museums in seiner Geburtsstadt Anklam gebaut wurden. Dort entstand auch der aktuelle Nachbau. Vier Monate habe es gedauert, sagt Peer Wittig vom Lilienthal-Museum. „Für die Bespannung wurden Originalproben analysiert und eine Spezialweberei gesucht, die den Stoff entsprechend anfertigte.“ Das Ergebnis ist ein Leichtgewicht von 25 Kilo mit 14 Quadratmeter Fläche. Die Kosten von 18 000 Euro bezahlt das DLR.

Piloten mussten ausgesprochen sportlich sein

Das Geld sei gut angelegt, findet Dillmann. Die Tests hätten wissenschaftlich belegt, welch gute Flugeigenschaften Lilienthals Gleiter hatte. Das hätte in den USA schon einige Diskussionen zu seiner Rolle angestoßen. „Die Region Berlin und Brandenburg sollte ruhig ein bisschen mehr stolz sein auf ihren Flugpionier“, sagt Dillmann.

Auf die Frage, ob sie selbst mit dem Gleiter fliegen würden, zögern sowohl Dillmann als auch Wittig. „Nun ja, es ist nicht ungefährlich“, sagen beide. „Aber wenn die Chance bestünde, vielleicht doch.“ Sportlich müsste man in jedem Fall sein. Ein Student, der während der Tests als Lilienthal-Double im Flieger hing, fiel nach 30 Sekunden entkräftet aus der Konstruktion, berichtet DLR-Forscher Dillmann. Der Flugpionier hingegen habe sich mit 48 Jahren mehr als eine Minute im Fluggestell gehalten.

Flugpionier Otto Lilienthal (1848 bis 1896).
Flugpionier Otto Lilienthal (1848 bis 1896).

© picture-alliance / dpa

Tatsächlich haben sich bereits einige Hängegleiterpiloten als Testflieger angeboten. Aber daraus wird wohl nichts. Keiner soll sich in echte Gefahr begeben, der Apparat des Pioniers bleibt auf dem Boden.

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