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Masernausbruch in Europa: Ein Virus nutzt unsere Nachlässigkeit aus
Die Masernfälle in Europa haben den höchsten Stand seit den 1990ern erreicht – und auch in den USA breitet sich das Virus aus. Das ist kein Zufall. Wie es so weit kommen konnte und was passieren muss.
Stand:
Ein Virus, das längst besiegt schien, ist zurück. 2024 registrierten die Länder der EU und des Europäischen Wirtschaftsraums (EU/EEA) 32.265 Masernfälle – fast zehnmal so viele wie im Jahr zuvor. 38 Menschen starben. „Es ist der höchste Stand in Europa seit den späten 1990er-Jahren“, sagt Helen Bedford, Kindergesundheitsexpertin am University College London.
Der Grund für diese Entwicklung ist klar: Zu wenige Menschen sind geimpft. 90 Prozent der Erkrankten hatten keinen Impfschutz, berichtet die europäische Gesundheitsbehörde ECDC jetzt. Besonders gefährdet sind Babys unter einem Jahr, die noch zu jung für die Impfung sind. Aber auch Erwachsene stecken sich zunehmend an.
Masern sind eines der ansteckendsten Viren überhaupt. Schon ein kurzer Kontakt reicht für eine Infektion. Um die Ausbreitung zu stoppen, müssen mindestens 95 Prozent der Bevölkerung geimpft sein. Erst dann entsteht Herdenimmunität – also der Schutz für alle, auch für jene, die nicht geimpft werden können.
Masern breiten sich in den USA rasant aus
Doch viele Länder liegen unter dieser Grenze. „Die sinkenden Impfquoten in den USA und Europa haben die aktuellen Masernausbrüche direkt verursacht“, sagt Andrew Pollard, Direktor der Oxford Vaccine Group an der University of Oxford gegenüber dem Science Media Center UK (SMC).
Masern galten in den USA im Jahr 2000 als ausgerottet. Wenn überhaupt, traten nur vereinzelte Fälle auf, meist durch ungeimpfte Reisende. Doch jetzt erlebt Texas den größten Masernausbruch seit sechs Jahren – mit mehr als 250 bestätigten Fällen.
Experten gehen von einer hohen Dunkelziffer aus. „Mein Bauchgefühl sagt mir, dass es ungemeldete Fälle gibt“, meint Katherine Wells, Leiterin des Gesundheitsamts in Lubbock, Texas, gegenüber „STAT News“.
Schon leichte Rückgänge der Impfquote führen unweigerlich zu neuen Ausbrüchen.
Michael Head, Experte für globale Gesundheit an der University of Southampton
Fälle wurden inzwischen auch in New Mexico, Oklahoma und im Nachbarland Mexiko gemeldet. Besonders auffällig ist der hohe Anteil erwachsener Patienten. Wer in den 1990er- und 2000er-Jahren nicht geimpft wurde, trägt das Virus jetzt weiter.
Todesfälle werfen Fragen auf
Im Februar starb ein gesunder, ungeimpfter Sechsjähriger in Texas – der erste Maserntodesfall in den USA seit zehn Jahren. Behörden prüfen derzeit einen weiteren Fall in New Mexico.
Statistisch sterben 1 bis 3 von 1000 Infizierten. Doch zwei Todesfälle bei nur 259 gemeldeten Fällen? Fachleute halten das für statistisch unwahrscheinlich.
In den USA fiel die Impfquote während der Covid-19-Pandemie auf 93 Prozent und hat sich bis heute nicht erholt. Besonders problematisch: Die Impflücken sind nicht gleichmäßig über die Bevölkerung verteilt.
In Texas etwa sind 94 Prozent der Kinder vor Schuleintritt geimpft – doch in der Region, in der der jüngste Ausbruch begann, liegt die Quote nur bei 82 Prozent. „In solchen Gruppen mit vielen ungeschützten Menschen kann sich die Krankheit leicht ausbreiten“, sagte die Sozialepidemiologin Ashley Gromis gegenüber „Nature“.
Politik spielt das Problem herunter
„Die USA stehen kurz davor, ihren Status als masernfreies Land zu verlieren“, warnt Epidemiologin Margaret Doll vom Albany College of Pharmacy and Health Sciences weiter. Doch statt entschlossen gegenzusteuern, verharmlost die Politik das Problem. US-Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr., bekannt für seine Anti-Impf-Haltung, behauptete auf Fox News, dass der Masernimpfstoff jedes Jahr Todesfälle verursache.

© REUTERS/NATHAN HOWARD
Forschende widersprechen ihm deutlich: Nur eine sehr kleine Gruppe von Menschen mit geschwächtem Immunsystem darf die Impfung nicht erhalten. Für alle anderen ist sie sicher und lebensrettend. Eine 2024 in „The Lancet“ veröffentlichte Studie zeigt: Masernimpfstoffe haben zwischen 1974 und 2024 weltweit 93,7 Millionen Todesfälle verhindert.
Trotzdem behauptete Kennedy Jr., Vitamin A und Lebertran könnten bei Masern helfen – dafür gibt es keinerlei Belege.
Masern sind nicht harmlos
„Die Covid-19-Pandemie hat gezeigt, wie schnell sich Fehlinformationen über Impfstoffe verbreiten können“, sagt Michael Head, Experte für globale Gesundheit an der University of Southampton gegenüber dem SMC.
Besonders in den USA sei mit einer weiteren „Zunahme von Impfgegner-Propaganda“ zu rechnen, die sich auch international auswirken könnte. Die USA drohen mit Kürzungen bei internationalen Gesundheitsprogrammen, was langfristig auch in Europa die Zahl der Masernfälle steigen lassen könnte.
Viele unterschätzen das Virus. „Masern sind eine Ursache für Taubheit und können eine Gehirnentzündung auslösen, die ein Kind mit dauerhaften Schäden zurücklässt“, warnt Paul Hunter, Medizinprofessor an der University of East Anglia. Besonders gefürchtet ist Subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE) – eine tödliche Spätfolge, die erst Jahre nach einer Infektion auftritt.
Wie lassen sich weitere Ausbrüche verhindern?
Mit den Osterferien steigt die Gefahr neuer Ausbrüche. Mehr Reisen, mehr Kontakte – perfekte Bedingungen für das Virus. Die Weltgesundheitsorganisation WHO meldete 2024 für Europa 127.350 Masernfälle – mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr. Die Hälfte der Masernpatienten musste ins Krankenhaus. 38 Menschen starben an der Infektion.
„Die Lösung ist einfach: Impfen“, sagt Helen Bedford. „Der MMR-Impfstoff (Masern, Mumps, Röteln) ist kostengünstig, hochwirksam und sicher. Es ist nie zu spät, versäumte Impfungen nachzuholen – auch im Erwachsenenalter.“
Auch Michael Head betont, dass Masern sich durch Impfungen fast vollständig verhindern lassen. „Zwei Dosen des Impfstoffs schützen vor Ansteckung, Erkrankung und Weitergabe des Virus. Schon leichte Rückgänge der Impfquote führen unweigerlich zu neuen Ausbrüchen.“
Nur eine hohe Impfrate kann Menschen schützen
Doch es braucht mehr als individuelle Impfentscheidungen. Neben gezielten Informationskampagnen sind auch praktische Maßnahmen wichtig – etwa kostenlose Impfangebote und Nachholkampagnen.
Großbritannien hat hier bereits erste Erfolge erzielt: 2024 gab es in England und Wales 8677 Masernfälle – so viele wie seit 1994 nicht mehr. 2025 fallen die Zahlen bislang niedriger aus: 420 Fälle in den ersten zehn Wochen – verglichen mit 2866 im Vorjahreszeitraum.
„Die nationale Reaktion auf die Masernausbrüche 2024 hat besonders in benachteiligten Gemeinden die Impfrate gesteigert“, sagt Ben Kasstan-Dabush von der London School of Hygiene & Tropical Medicine.
Doch das reicht nicht aus. „Wir können uns nicht darauf verlassen, dass andere immun sind“, warnt Medizinprofessor Paul Hunter. „Nur eine hohe Impfrate kann Menschen wirklich schützen.“
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