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Die Forschenden bei der Feldarbeit am Schafberg in Österreich.

© Beat Stierli

Mikroben fressen Plastik : Neue umweltfreundliche Lösung gefunden

Viele Bakterien verwerten bei höheren Temperaturen Kunststoffe, was aber viel Energie kostet. Nun haben Forscher in kühlen Regionen nach solchen Mikroorganismen gesucht.

Von Stefan Parsch

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Dass Mikroorganismen Plastik verdauen können, ist bereits bekannt. Allerdings ist der Prozess im industriellen Maßstab bisher nur bei Temperaturen über 30 Grad möglich, was die Methode bisher teuer und nicht klimaneutral macht. Doch es gibt eine mögliche Lösung für das Problem: die Suche nach spezialisierten, kälteangepassten Mikroben, deren Enzyme bei niedrigeren Temperaturen arbeiten.

Energiesparendes Recycling

Schweizer Forschende haben 34 Mikroorganismen gefunden, die bei einer Temperatur von 15 Grad Celsius Kunststoffe abbauen können. Die bisher bekannten plastikfressenden Organismen brauchen mindestens eine Temperatur von 20 Grad, viele deutlich mehr.

Die Entdeckungen könnten helfen, neue, energiesparende Recyclingmethoden für Kunststoffe zu entwickeln. Das Team um Joël Rüthi und Beat Frey von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL in der Schweiz hat seine Studie in der Fachzeitschrift „Frontiers in Microbiology“ veröffentlicht.

Diese Organismen könnten dazu beitragen, die Kosten und die Umweltbelastung eines enzymatischen Recyclingprozesses für Kunststoff zu reduzieren.

Joël Rüthi, Eidgenössische Forschungsanstalt WSL / Schweiz 

Die Wissenschaftler:innen wussten, dass man vereinzelt auch in kühlen Regionen kunststoffabbauende Bakterien und Pilze finden kann. Sie suchten deshalb gezielt auf Grönland, auf Spitzbergen, im Schweizer Kanton Graubünden und auf dem Schafberg in Österreich nach Mikroorganismen. Die Plastikstücke, auf denen die Forscher sie entdeckten, hatten sie größtenteils selbst dort deponiert; zum Teil wurden auch Kunststoffabfälle eingesammelt.

15
Grad Celsius betrug die Temperatur, bei der ein Optimum an Wachstum erreicht wurde.

Die Studienautor:innen fanden 19 Bakterienstämme und 14 Pilze. Die Forscher isolierten die einzelnen Stämme und platzierten sie in ein Kulturmedium, das keine andere Kohlenstoffquelle als einen Kunststoff enthielt. Die Umgebungstemperatur hielten sie auf 15 Grad. „Wir wissen aber, dass die meisten der getesteten Stämme gut zwischen vier Grad und 20 Grad wachsen können, mit einem Optimum bei etwa 15 Grad“, erklärte Frey.

Die Forschenden suchten auch am Schafberg in Österreich nach geeigneten Mikroorganismen.

© Beat Stierli

„Es war für uns sehr überraschend, dass wir festgestellt haben, dass ein Großteil der getesteten Stämme in der Lage war, mindestens einen der getesteten Kunststoffe abzubauen“, wird Rüthi in einer Mitteilung der Fachzeitschrift zitiert. Organismen, die sich erfolgreich vermehrten, wurden weiter getestet.

Dabei stellten Rüthi, Frey und Kollegen fest, dass es auch vom Kulturmedium abhängt, wie schnell sie die Plastikmasse reduzieren. Die Mikroorganismen erwiesen sich dabei als wählerisch, kein Medium war für alle Bakterien und Pilze gleichermaßen gut geeignet. „Diese Organismen könnten dazu beitragen, die Kosten und die Umweltbelastung eines enzymatischen Recyclingprozesses für Kunststoff zu reduzieren“, so Rüthi.

Der Kunststoff ecovio® wird er von einem der Pilze abgebaut wurde.

© Joël Rüthi

Die Forscher testeten Kunststoffe, die als biologisch abbaubar gelten, wie Polyurethane (PUR), Polybutylenadipat-co-terephthalat (PBAT) und Polymilchsäure. Außerdem machten sie Versuche mit Polyethylen (PE), dem üblichen Kunststoff von Plastikflaschen – diesen konnte jedoch keiner der Mikroorganismen abbauen. 14 Mikroorganismen waren in der Lage PUR in größerem Umfang als Nahrungsquelle zu nutzen. Ähnlich viele können den kommerziellen Kunststoff ecovio® abbauen, der unter anderem PBAT und Milchsäure enthält.

Enzyme zerlegen Polymere

Auf die Frage, wie Bakterien und Pilze überhaupt die Fähigkeit entwickeln können, Kunststoffe zu zerlegen, haben die Forscher ebenfalls eine Antwort. Da Kunststoffe erst seit den 1950er Jahren gibt, war die Fähigkeit, Kunststoff abzubauen, mit ziemlicher Sicherheit kein Merkmal, das ursprünglich von der natürlichen Selektion angestrebt wurde.

„Es hat sich gezeigt, dass Mikroben eine Vielzahl von polymerabbauenden Enzymen produzieren, die am Abbau von Pflanzenzellwänden beteiligt sind“, erklärt Beat Frey. Insbesondere werde oft berichtet, dass pflanzenschädigende Pilze Polyester biologisch abbauen, da sie in der Lage sind, Cutinasen zu produzieren. Diese zersetzen das Pflanzenpolymer Cutin, das Ähnlichkeiten mit den Kunststoffpolymeren habe.

„Die nächste große Herausforderung wird darin bestehen, die von den Mikrobenstämmen produzierten kunststoffabbauenden Enzyme zu identifizieren und den Prozess zu optimieren, um große Mengen an Proteinen zu erhalten“, sagt Frey. Hilfreich könnten dabei vor allem die Pilzgattungen Neodevriesia und Lachnellula (Nadelholz-Haarbecherchen) sein, die in der Lage waren, alle der biologisch abbaubaren Kunststoffe (also alle getesteten außer Polyethylen) zu verwerten. (mit Kix)

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