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Schülerinnen sitzen in der Gedenkstätte Topographie des Terrors auf einer Mauerkante.

© Thilo Rückeis

Unterricht zum Holocaust: Mitgefühl ohne erhobenen Zeigefinger

Schüler reagieren emotional auf den Holocaust-Unterricht, Lehrkräfte wissen oft nicht, wie sie damit umgehen sollen. Was Psychologen der Uni Köln empfehlen.

Wie verarbeiten Schüler den Unterricht zum Holocaust – und wie gehen Lehrkräfte mit den Reaktionen um? Die Psychologin Silviana Stubig von der Uni Köln hat Gymnasiasten in Nordrhein-Westfalen nach den Emotionen gefragt, die dieses Thema bei ihnen hervorruft. In einer Online-Befragung wollte sie von den Schülern wissen, was sie angesichts von Bildern zum Holocaust im Geschichtsbuch empfinden. „Es waren überwiegend negative Emotionen: Hass, Ekel, Wut“, sagt Stubig. „Auf der anderen Seite gab es polarisierende Emotionen wie Erschrecken, Mitleid oder Schuldgefühle.“

Auf eine so große Bandbreite von Emotionen sind Pädagogen nicht vorbereitet, fand Stubig in einer parallelen Befragung von Lehrern heraus. „Einige glauben, dass ihre Schüler beim Thema Nationalsozialismus schon abgebrüht sind.“ Das Gegenteil sei jedoch der Fall: Wenn es um die NS-Zeit gehe, würden vielfältige Emotionen ausgelöst, viele Lehrer müssten aber noch lernen, darauf einzugehen. Wenn Emotionen allerdings überhandnähmen, könne Faktenwissen von Schülern schlecht verarbeitet werden.

Lehramtsstudierende erinnern sich an überforderte Lehrer

In einer weiteren Teilstudie befragte Stubig Studierende nach ihren Erfahrungen mit dem schulischen Geschichtsunterricht. „Hier konnte ich bereits Belastungstendenzen erkennen“, sagt Stubig. In einer Gesprächsrunde erinnerten sich die Studenten an weinende Mitschüler, überforderte Lehrern und zurückgewiesene Fragen. Viele Schüler hätten zudem das Gefühl, dass sie sich im Geschichtsunterricht statt Faktenwissen eine sozial erwünschte Denk- und Redensweise zum Nationalsozialismus aneignen sollen. Grund seien didaktische Methoden: emotionalisierende Bilder, moralisierende Filme, Gedenkstättenbesuche.

Forschung über den Geschichtsunterricht zum Thema Nationalsozialismus sei für Wissenschaftler ein heikles Thema, sagt Stubig. „Es ist eine Art Blackbox, bei der sich die Lehrer ungern auf die Finger schauen lassen.“ Mit der Thematik seien große Erwartungen verbunden, Lehrer wollten nicht nur über eine wichtige Epoche informieren, sondern auch Fremdenhass vorbeugen und Toleranz fördern. Die befragten Lehrkräfte hätten allerdings keine konkreten Vorstellung, in welche Richtung sich ihr Unterricht auswirkt.

Nach dem Unterricht weniger stolz, Deutsche zu sein

Tatsächlich fördert das Thema nicht in dem Ausmaß Toleranz und Fremdenfreundlichkeit, wie sich das Geschichtsdidaktiker und Pädagogen wünschen. Die Psychologin empfiehlt Lehrkräften, auf den moralisch erhobenen Zeigefinger zu verzichten und stattdessen den Schülern mehr Vertrauen zu schenken. „Auf das Thema Holocaust reagieren Schüler empathisch, ohne dass Lehrer Mitgefühl didaktisch forcieren müssen.“

Darüber hinaus hat der Unterricht der Studie zufolge große Auswirkungen auf den Nationalstolz von Jugendlichen. „Nach dem Unterricht sind Schüler weniger stolz darauf, Deutsche zu sein“, sagt Stubig. Vor allem Mädchen distanzierten sich nach den Geschichtseinheiten zur NS-Zeit von ihrer nationalen Identität.

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