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Monster-Hurrikan „Melissa“ trifft Jamaika: Der Klimawandel intensiviert Wirbelstürme
Hurrikan „Melissa“ erreicht historische Stärke. Immer häufiger erreichen Stürme der Kategorie 4 und 5 Rekordwerte. Was bedeutet das für die Zukunft der Hurrikane?
Stand:
Der Hurrikan „Melissa“ wird zum Monstersturm – Jamaika droht Katastrophe historischen Ausmaßes. Der Wirbelsturm in der Karibik hat sich mittlerweile zu einem Sturm der höchsten Kategorie 5 entwickeln – mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 280 Kilometern pro Stunde.
Nach Einschätzung von Meteorologen steht Jamaika vor einer extremen Naturkatastrophe. In der Forschung geht man mittlerweile davon aus, dass tropische Wirbelstürme auch durch den Klimawandel beeinflusst werden.

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Ungefähr bis 14 Uhr deutscher Zeit soll der Wirbelsturm den Karibikstaat am Dienstag erreicht haben. Neben Orkanböen drohen vor allem extreme Regenfälle, die ganze Landstriche verwüsten könnten. Prognosen zufolge sind über 500, örtlich bis zu 700 Millimeter Niederschlag möglich – mehr, als in Städten wie etwa Berlin im gesamten Jahr (etwa 600 Millimeter) fällt.
Es könnte der verheerendste Hurrikan sein, der Jamaika je getroffen hat.
Leanne Archer, Klimaforscherin der University of Bristol
Im Süden Jamaikas wird zudem mit einer Sturmflut gerechnet. Die Behörden warnen vor „katastrophalen Überschwemmungen“ und flächendeckenden Zerstörungen. Am Mittwoch wird „Melissa“ dann voraussichtlich den Südosten Kubas als Kategorie 4-Hurrikan erreichen. Sollte er sich bis dahin nicht etwas abgeschwächt haben, drohen auch dort extreme Schäden.
Langsamer Sturm, verheerende Wucht
Problematisch ist, dass sich „Melissa“ nur sehr langsam vorwärtsbewegt – zeitweise mit gerade einmal sieben Kilometern pro Stunde, was in etwa einem schnell gehenden Fußgänger entspricht. Der Hurrikan könnte dadurch lange über Land bleiben – und deutlich größere Schäden anrichten als schnell ziehende Wirbelstürme.

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Meteorologen erwarten Sturzfluten und Erdrutsche. Die Verwüstungen könnten Ausmaße erreichen wie bei den Hurrikanen „Maria“ (2017) oder „Katrina“ (2005).
Eine verlangsamte Zuggeschwindigkeit von Wirbelstürmen führt zu größeren Regenmengen über Land. Klimaforschende haben mittlerweile festgestellt, dass veränderte Windmuster bei Hurrikanen häufig für eine verlangsamte Fortbewegung sorgen, was die Überschwemmungsgefahr erhöht.
Der Luftdruck von „Melissa“ dürfte auf bis zu 901 Hektopascal sinken – extrem niedrig. Damit könnte der Sturm zum bisher achtstärksten Wirbelsturm seit Messbeginn über dem Atlantik werden.
Das ganze Land wird durch ,diese Bestie eines Sturms’ tiefe und bleibende Narben davontragen.
Hannah Cloke, Professorin für Hydrologie an der University of Reading
Hannah Cloke, Professorin für Hydrologie an der University of Reading, hebt die Rolle des steigenden Meeresspiegels hervor: Immer mehr Küstengemeinden sind dadurch Sturmfluten ausgesetzt und müssen sich auf Überschwemmungen und Erdrutsche vorbereiten.
„Melissa“ war zu Beginn ein ungewöhnlicher Hurrikan, „der sich im Atlantik herumtrieb und in Schüben stärker wurde“, so Cloke. Solche raschen Intensivierungen dürften sich mit dem Klimawandel noch verstärken. „Dies ist eines dieser Worst-Case-Szenarien, von denen man hofft, dass sie nie eintreten“, sagt die Hydrologin. Das ganze Land werde schwere Verwüstungen durch „diese Bestie eines Sturms“ erleiden.
Intensiver, aber nicht häufiger
Werden Hurrikane durch den Klimawandel häufiger oder stärker? Die Forschung geht mittlerweile davon aus, dass die Gesamtzahl der Stürme zwar nicht zunimmt, besonders heftige Wirbelstürme aber immer häufiger auftreten. Besonders starke und damit hoch zerstörerischer Wirbelstürme der Kategorien 4 und 5 sollen aufgrund des Klimawandels zunehmen. „Der Anteil der Stürme mit besonders hohen Windgeschwindigkeiten in Nordatlantik nimmt zu, auch wenn die Gesamtzahl der Stürme leicht abnehmen könnte“, sagte Klimaforscher Christian Otto vom PIK dem „Tagesspiegel“.
Dass die Stürme durch die Erderwärmung intensiver, insgesamt aber nicht unbedingt häufiger werden, liegt an veränderten Strömungsmustern. Die Windscherung werde durch die Erwärmung voraussichtlich zunehmen – was die Bildung von Hurrikanen eigentlich erschwert – und daher die Anzahl tropischer Stürme begrenzt.
Zum anderen verstärkt die Erwärmung die Wirbelstürme aber auch. „Hurrikane benötigen eine feuchte Atmosphäre, warme Meerestemperaturen und nur wenig Windscherung, also wenig Änderung in der Windgeschwindigkeit oder -richtung“, erklärt Klimaforscher Karsten Haustein von der Universität Leipzig.
Bedingungen werden günstiger
Globale Daten zeigen tatsächlich, dass die reine Anzahl tropischer Wirbelstürme eher unverändert bleibt oder leicht zurückgeht. Gleichzeitig nimmt der Anteil sehr starker Hurrikane (Kategorie 3 bis 5) signifikant zu, was inzwischen auch der Weltklimarat (IPCC) festgestellt hat. „Wenn die Bedingungen günstig sind und sich Hurrikane bilden können, neigen sie dazu, schneller stärker zu werden“, so Haustein.
Die Bedingungen für die Verstärkung von Hurrikanen wird durch den Klimawandel immer günstiger: Die wärmere Luft kann mehr Wasserdampf aufnehmen – wodurch Stürme schneller an Energie gewinnen. Mit jedem Grad mehr kann die Luft etwa sieben Prozent mehr Wasserdampf aufnehmen. Forschende der ETH Zürich konnten bereits 2018 in einer Studie zeigen, dass das zusätzliche Wasser in der Luft vor allem bei starken Regenfällen wieder herunterkommt.

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Wärmere Meere verdunsten zudem tendenziell mehr Wasser, geben Stürmen also mehr Energie. „Das sich verändernde Meeresklima im Atlantik hat das Potenzial, extreme Stürme und Hurrikane hervorzubringen“, so der Klimaforscher Eugene Farrell von der Universität Galway. In Kombination mit einer tendenziell langsameren Zuggeschwindigkeit der Wirbelstürme im Nordatlantik könne die feuchtere Luft zu lokal höheren Niederschlagsmengen führen, ererklärt PIK-Forscher Otto.
Müssen Hurrikan-Stufen erweitert werden?
Auch wird angenommen, dass höhere Meerestemperaturen potenziell zu geringeren Kerndrücken von Stürmen und damit zu höheren Windgeschwindigkeiten führen, wie Andreas Fink vom Karlsruhe Institute of Technology (KIT) angesichts der Rekordwerte des Ozeanwassers von 2023 bis 2024 sagte.
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Der deutsche Ozeanologe und Klimaforscher Stefan Rahmstorf verweist vor diesem Hintergrund darauf, dass eine Erweiterung der bisherigen Skala diskutiert werden müsse. „Seit 2013 hätten fünf tropische Wirbelstürme der Kategorie 6 entsprochen – wenn die traditionelle Hurrikanskala nicht bei 5 aufhören würde“, schreibt Rahmstorf auf der Plattform Bluesky.
Eine Analyse der Forschungs-Initiative World Weather Attribution (WWA) ergab, dass die heftigen Regenfälle und Windgeschwindigkeiten des Hurrikans „Helene“ 2024 in den USA durch den Klimawandel verstärkt wurden: „Ohne die menschengemachten Klimaveränderungen wäre der Wind um etwa elf Prozent schwächer und der Regen um etwa zehn Prozent geringer ausgefallen“, schreiben die Forschenden.

© dpa/MATIAS DELACROIX
Eine Studie der Organisation Climate Central kam zu dem Ergebnis, dass erhöhte Meerestemperaturen im Südwesten des Golfs von Mexiko die „explosive“ Intensitätszunahme von Hurrikan „Milton“ 2024 verursachten. Die Analyse ergab, dass die erhöhten Wassertemperaturen im Golf in den letzten zwei Wochen 400 bis 800 Mal wahrscheinlicher durch den menschlichen Klimawandel verursacht wurden.
Der Einfluss des Klimawandels auf tropische Wirbelstürme sei bereits messbar, und die mit diesen Stürmen verbundenen Risiken werden sich im Zuge der weiteren Erderwärmung voraussichtlich weiter erhöhen, sagte der PIK-Forscher Otto. Sicher sei zudem, dass der Anstieg der Meeresspiegel das Risiko schwerer Sturmfluten durch tropische Wirbelstürme erhöht.
Hotspot in der Karibik
Neue Forschungsergebnisse deuten auch darauf hin, dass sich Hurrikane heute deutlich schneller verstärken als früher, teils innerhalb weniger Stunden. Besonders die nordöstliche US-Küste und Regionen wie Karibik und Golf von Mexiko stehen laut neuesten Studien vor einem deutlich erhöhten Risiko, da jetzt auch dort stärkere Hurrikane auftreten als in der Vergangenheit.
Der aktuelle Karibik-Hurrikan „Melissa“ ist nach Einschätzung des Klimaforschers Ralf Toumi vom Imperial College London, ungewöhnlich stark, Hurrikane der Kategorie 5 sind selten. „Die Meeresoberflächentemperatur in der Karibik ist höher als normal, und wir wissen, dass der Klimawandel dazu beigetragen hat“, so Toumi.
Toumi geht davon aus, dass die Häufigkeit dieser stärksten Stürme zunehmen wird, wenn die Erderwärmung nicht durch die Reduzierung der Treibhausgasemissionen gestoppt werde.
Der Hurrikan „Melissa“ sei ein gutes Beispiel für einen besonders starken, langsam ziehenden Hurrikan, der dadurch große Niederschlagsmengen über Jamaika „abladen” konnte und hohe Sturmflutschäden verursacht, sagte PIK-Forscher Otto.
Jamaika erlebte 1903 einen verheerenden Hurrikan. Analysen zeigen jedoch, dass derselbe Sturm heute aufgrund des Klimawandels noch intensiver gewesen wäre, sagt die Klimaforscherin Leanne Archer von der University of Bristol. „Das deutet darauf hin, dass Hurrikan ‚Melissa‘ der verheerendste Hurrikan sein könnte, der Jamaika je getroffen hat – verstärkt durch unseren sich erwärmenden Planeten.“
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