
© Wissenschaftskolleg/Gesine Rodewald
Neue Fellows am Wissenschaftskolleg: „Seltene Vögel“ im Grunewald
Als Stipendiat ans Wissenschaftskolleg zu Berlin eingeladen zu werden, ist eine der höchsten Auszeichnungen. Am Mittwoch begrüßte das Haus neue Gäste aus 24 Ländern.
Stand:
Inmitten des Grunewaldviertels leuchtet die Villa des Berliner Wissenschaftskollegs an diesem Abend besonders hell. Der neue Jahrgang wird vorgestellt, mit 44 Stipendiaten aus 24 Ländern. Bei Häppchen und Drinks fesseln die anschließenden Gespräche aktuelle und ehemalige Stipendiat:innen, Berliner Professorinnen und Kulturschaffende bis Mitternacht. Nach zweieinhalb Pandemiejahren ist die Freude über solche Geselligkeiten noch immer groß.
Ganz vergessen ist die Pandemie aber nicht. Barbara Stollberg-Rilinger, die Direktorin des Kollegs des „Wiko“, bittet die dicht versammelten Gäste, während der Begrüßungsreden Maske zu tragen. Und sich für den anschließenden Empfang auf die Bibliothek, den Speisesaal und die zwei Terrassen des Hauses zu verteilen.
Angetreten war Stollberg-Rilinger 2018 mit dem Vorsatz, mehr Genderparität am Kolleg zu erreichen. Jetzt kann sie erstmals verkünden, dass die Frauen in der knappen Mehrheit sind. In den 1980er Jahren, dem Gründungsjahrzehnt des Wiko, war es mit wenigen Ausnahmen noch ein reiner Herrenclub.
Im neuen Jahrgang kommen die Fellows neben acht Deutschen aus den USA, Israel, der Ukraine, Russland, Kenia, Ghana, Australien, den Arabischen Emiraten und anderen Ländern. Ausgewählt wurden nach zwei thematischen Schwerpunkten: Zum einen geht es um Probleme rund um Nationalität, Nationalismen und Grenzen, zum anderen um Fragestellungen zu Wahrheit, Wissensherstellung und Authentizität.

© Maurice Weiss/Wissenschaftskolleg
Die ukrainische Historikerin Kateryna Burkush etwa beschäftigt sich mit dem Bau von Kanälen und Wasserspeichern in der Sowjetzeit, unter anderem auf der Krim, und den bis heute präsenten Folgen für die Region. Um Gewässer dreht sich auch das Projekt „Fantastic Oceans“ der aus Indien stammenden Juristin Surabhi Ranganathan, die untersucht, wie eigentlich Nutzung und Pflege der Weltmeere rechtlich geregelt sind.
Der israelische Genetiker Ben-Zion Shilo wiederum will an seinem Buch über unseren „Dialog mit dem Erbgut“ schreiben, das den rasanten Fortschritt der Gentechnologie auch in gesellschaftlicher Hinsicht beleuchtet. Und die Serbin Milica Nikolić fragt, wie sich das Erröten bei Kindern als psychisches und körperliches Phänomen erklären lässt.
Mit einem Stipendium für mehrere Monate oder Jahre in der schmucken Altbauvilla im Grunewald zu arbeiten und sich mit Kolleg:innen aus der ganzen Welt auszutauschen ist für Postdocs, Professorinnen und Künstler eine besondere Anerkennung ihrer Arbeit. Wer es in die Auswahl schafft, bekommt in der Denkenklave Gelegenheit, einer außergewöhnlichen Fragestellungen nachzugehen und sich von der Begegnung über die disziplinären Grenzen inspirieren zu lassen.
Auch prominente Schriftstellerinnen sind in diesem Jahr dabei: die Russin Marina Stepanova, NoViolet Bulawayo aus Ghana sowie die Ukrainerin Kateryna Mishchenko. Bis zur ihrer Flucht lebte sie in Kiew, am Wissenschaftskolleg wird sie an Essays über die Kriegserfahrung und ihre existenziellen wie sprachlichen Auswirkungen arbeiten.
Und nach welchem Geheimrezept stellt das Auswahlkomitee die Jahrgänge zusammen? „Man muss versuchen, die seltenen Vögel der Wissenschaft zu finden“, verrät Daniel Schönpflug, Programmleiter am Kolleg, bei einem Wein auf dem Empfang. Nur dann würden in den Kolloquien, zu denen die Fellows während des Aufenthalts regelmäßig zusammenkommen, keine „Mainstreamdebatten“ geführt. Es geht am Kolleg also nicht nur um Exzellenz, sondern auch darum, „irgendwie anders“ zu sein, wie es Schönpflug ausdrückt. Für den Programmleiter ist das höchste Ziel des Wiko, dass „Unerwartetes“ entsteht.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: